kpm Demonstration fur die Rettung von Fluchtlingen aus Seenot in FrankfurtAuf die Lebensrettung muss die Befreiung folgen

Klaus Philipp Mertens

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – In Frankfurt am Main findet seit Ende der 90er Jahre eine besondere Form erfolgreicher Migration statt.

Kapital- und Steuerflüchtlinge, insbesondere aus dem arabischen Raum und aus Ländern der ehemaligen Sowjet Union, zunehmend auch aus China, Japan, Südkorea und Singapur, genießen ihr Asyl in Luxuswohnanlagen. Besonders beliebt sind offensichtlich der Neue Henninger Turm und der Westhafen. Die Ärmeren unter den Reichen strömen in die traditionell besseren Wohngebiete in Bockenheim und im Westend. Oder sie besetzen die edelsanierten und zu Eigentumswohnungen umgewandelten bürgerlichen Mietshäuser in anderen Stadtteilen – einschließlich der neu gebauten Altstadt. Frankfurt wandelt sich zusehends zu einer gentrifizierten Zone.

Wer hingegen ohne Geld und vielfach nach lebensgefährlicher Flucht die Mainmetropole erreicht, wird meist ein Ausgegrenzter und ein zur Verelendung Verurteilter bleiben. Doch das entbindet weder Einzelne noch Hilfsorganisationen von der Pflicht, Leben zu retten. Allerdings können Rettungsaktionen nur die ersten Schritte sein. Neben die Nothilfe gehört unverzichtbar, dass die soziale Frage deutlich und überall vernehmbar gestellt wird. Flotte Sprüche gegen Horst Seehofer und dessen bayerische Kamarilla reichen nicht aus.

Denn die Menschen, die in Deutschland ankommen, gehören zu den statistischen sieben von zehn, die in Ländern leben bzw. von dort stammen, wo die wirtschaftliche Ungleichheit während der letzten 30 Jahre drastisch zugenommen hat. Der Armutsbericht der Hilfsorganisation Oxfam weist für das Jahr 2014 nach, dass die reichsten 80 (in Worten: achtzig) Menschen der Welt so viel besitzen wie die 3,5 Milliarden umfassende ärmere Hälfte der Weltbevölkerung. Im gleichen Umfang mit Ausbeutung und Verelendung steigt die Ressourcenverschwendung, die sich z.B. in der Klimakatastrophe manifestiert. Die durch Klimawandel und Stellvertreterkriege der Großmächte Vertriebenen folgen (nicht immer bewusst) ihren Ausbeutern in die Wohlstandsdomizile des Westens. So auch nach Frankfurt am Main.

Dort treffen sie auf die Vorurteile eines Teils der einheimischen Bevölkerung, der selbst eine besondere Variante der Vertreibung erfahren hat und weiterhin erfährt. Nämlich den aus Wohnungen, die er sich nicht mehr leisten kann. Oder der Opfer von Stellenabbau wurde oder den ein solches Schicksal erwarten könnte, weil die Unternehmen lieber in Billiglohnländern produzieren lassen. Ja, auch dort, von wo so viele Menschen fliehen, weil das Elend unerträglich wurde.

Eigentlich müssten sich die Geflohenen und die hierzulande Ausgesonderten vereinen – ganz im Sinne jener internationalen Solidarität, die am Ende des 19. Jahrhunderts die Welt noch zu bewegen vermochte. Und die in einem berühmt gewordenen Lied ihren Ausdruck fand:

„Es rettet uns kein höheres Wesen,
kein Gott, kein Kaiser noch Tribun.
Uns aus dem Elend zu erlösen,
das können wir nur selber tun.“

Doch bereits bei Gott wird es schwierig. Denn die Neuankömmlinge sind überwiegend muslimischen Glaubens, gehören sogar dessen extrem konservativen Richtungen an. So müssen sich Frauen im Namen eines Gottes bzw. dessen Apologeten verschleiern und sich den Männern unterordnen. Weithin unbekannt ist den Neuangekommenen ein typischer Wesenszug menschlicher Freiheit, nämlich sich selbst für oder gegen etwas entscheiden zu können. Gerechtigkeit erreicht allenfalls das Niveau von individuell bemessener Barmherzigkeit. Fremd sind säkulare Gesellschaften und Demokratie. Folglich wird auch die politische Herrschaft selten grundsätzlich infrage gestellt. Wenn es zu Aufständen kommt, löst lediglich ein Diktator den anderen ab. Man kann das als ein besonderes Kulturverständnis definieren, das sich mit dem westlichen nicht vereinbaren lässt.
Tatsächlich geht es jedoch nicht um kulturelle Traditionen, vielmehr handelt es sich (um mit Karl Marx zu reden) um den unbewussten Aufschrei der bedrängten Kreatur, „die sich selbst entweder noch nicht erworben oder schon wieder verloren hat. Der Kampf gegen die Religion ist also mittelbar der Kampf gegen jene Welt, deren geistiges Aroma die Religion ist. [...] Religion ist das Gemüt einer herzlosen Welt, wie sie der Geist geistloser Zustände ist. Sie ist das Opium des Volkes.“

Diese Phänomene aus einer nicht befreiten Welt erleichtern es Rassisten aller Couleur, die islamische Religion wegen ihrer sklerotischen, arabozentristischen und verengten Sicht auf die reale Welt mit dem Charakter der Menschen gleichzusetzen. Vor allem die neuen „fünften Kolonnen“ des Kapitalismus, also rechtsradikale Parteien wie die AfD, proklamieren unablässig diese Gefahr und finden immer mehr Anhänger – vor allem unter denen, die bereits lange hier leben und denen Unrecht geschah oder die ein solches befürchten müssen. Und wenn sich die Stimmung einmal beruhigt hat, machen afghanische oder marokkanische junge Männer Schlagzeilen, weil sie im Gastland Frauen vergewaltigt oder gar ermordet haben, weil sie Frauen als Verfügungsmasse der Männer betrachten. Lösungen aus diesem Dilemma zeichnen sich derzeit nicht ab, zumal die Seehofersche Scheinheiligkeit auch in anderen Parteien weit verbreitet ist.

Zurück zu den Rettern, konkret zu den Aktiven und Unterstützern der „Seebrücke“: Es wird kein Weg daran vorbeiführen, sich als Teil einer internationalen antikapitalistischen und prosozialistischen Bewegung zu definieren und diese Motive den Geretteten zu vermitteln. Auf dem Weg in ein neues Leben, das hoffentlich eines der Freiheit und sozialen Gerechtigkeit sein wird, müssen religiöse, kulturelle und politische Engführungen über Bord geworfen werden. Mithin kann die Rettung der Geflüchteten nur als Teil einer weltweiten Befreiungsbewegung erfolgreich sein.

Dieses Selbstverständnis wäre zugleich eine Botschaft an die linken Parteien und Gruppen in Deutschland (ich denke dabei auch an Sahra Wagenknechts „Aufstehen“) und in den armen Ländern der Welt. Gleichzeitig könnte es der Start sein, europäische Städte, zum Beispiel Frankfurt, aus der Hand von Spekulanten zu befreien – durch zivilen Ungehorsam und gewaltfreie Aktionen.

Im Übrigen sei der Aktion „Seebrücke – schafft sichere Häfen“ dringend angeraten, ihr Facebook-Konto zu löschen. Denn es wäre politisch schizophren, mit einem Bein im Boot des Humanismus zu stehen und mit dem anderen im trüben Fahrwasser eines kommerziellen und dissozialen Netzwerks, das sowohl zur Stabilisierung als auch zur Verschleierung der nicht länger hinnehmbaren Verhältnisse entscheidend beiträgt.

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Demonstration in Frankfurt für die Rettung von Flüchtlingen aus Seenot
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