kpm Bots AufstehnWarum eine linke Sammlungsbewegung grundsätzlich nottut

Klaus Philipp Mertens

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – „Alle, die nicht schweigen, auch nicht, wenn sich Knüppel zeigen, soll‘n aufsteh‘n.“

Nein, das ist kein Satz von Sahra Wagenknecht, auch nicht von Oskar Lafontaine. Die Zeile ist einem Lied entnommen, das ab 1980 für einige Jahre sehr populär war. Es trug den Titel „Aufsteh’n“ und wurde von der niederländischen Gruppe „Bots“ gesungen. Auch mit einem anderen Lied ähnlichen Inhalts war diese sehr erfolgreich: „Das weiche Wasser bricht den Stein.“

Beide Botschaften wurden als politische Aufrufe verstanden. Sie einten über Parteigrenzen hinweg Jungsozialisten, ältere Sozialdemokranken vom linken Flügel der SPD, linke Grüne (vor allem solche, die über den Masseneintritt aus der Rechtspartei AUD empört waren) sowie nicht in den Parteien organisierte Atomkraftgegner und Friedensbewegte. Beide Titel waren sogar auf den Evangelischen Kirchentagen 1983 in Hannover und 1985 in Düsseldorf zu hören. Ebenso von Teilnehmern der Friedensdemonstration im Bonner Hofgarten (1981) und auf den Bonner Rheinwiesen (1982). Aber es waren nicht nur diese (und andere) Lieder, die eine Bewegung sichtbar machten, die augenscheinlich stärker war als die Studentenproteste der späten 60er Jahre. Ein erster politischer Erfolg war die rot-grüne Koalition in Hessen (1985). Und letztlich auch Gerhard Schröders Wahlsieg von 1998.

Mehr als drei Jahrzehnte danach wird medienwirksam erneut zum Aufstehen aufgerufen. Die Fraktionsvorsitzende der Linken im Bundestag, Sahra Wagenknecht, will unter diesem Motto eine Sammlungsbewegung linker Parteien, Gruppen und Einzelpersonen initiieren, um soziale Themen, die von der Großen Koalition zum Nachteil großer Bevölkerungsschichten verwässert wurden, wieder in den Mittelpunkt des gesellschaftlichen Diskurses zu stellen. Soziale Gerechtigkeit soll auch zur verbindlichen Messlatte für die anderen Politikfelder inklusive der Integration von Einwanderern sein.

Das Echo darauf ist geteilt, auch aus ihrer eigenen Partei werden Zweifel laut, was möglicherweise eher mit der gekränkten Eitelkeit von Mitgliedern des Bundesvorstands zu tun haben könnte. Wenig Chancen für ein solches Bündnis räumt auch der Politikforscher Ulrich von Alemann, emeritierter Professor der Universität Düsseldorf, der Initiative ein. In einem Interview mit der „Frankfurter Rundschau“, das am 9. August veröffentlicht wurde, äußerte er sinngemäß, dass eine neue Bewegung dem Thema „soziale Gerechtigkeit“, das zwar viele Menschen bewege, dennoch nicht zum Durchbruch verhelfen könnte. Vor allem erschiene ihm die Konstruktion als zu diffus. Diese bewege sich nach seiner Einschätzung zwischen Naivität und einem Wagenknechtschen Egotrip.

Die von Alemann diagnostizierte aktuelle Schwäche des linken Parteienspektrums, das bei der letzten Bundestagswahl lediglich 38 Prozent der Stimmen erlangen konnte, ist jedoch vor allem eine der SPD. Sie hat innerhalb von 19 Jahren knapp die Hälfte ihrer Wähler eingebüßt. Mutmaßlich wegen der Agenda 2010. Als Martin Schulz im Frühjahr 2017 Korrekturen an dieser Politik andeutete, stiegen die Umfragewerte – so lange, bis ihn der rechte Parteiflügel zum Umfallen zwang. Darauf wies vor wenigen Tagen der undogmatische Linke Fabio de Masi in einem Interview mit dem Deutschlandfunk hin. Und begründete damit auch sein Eintreten für die Sammlungsbewegung „Aufstehen“. Wörtlich sagte er:

„Deswegen geht es eben darum, die vielen Tausende anständige Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten, die nicht mit dem Kurs sagen wir von Olaf Scholz oder Andrea Nahles einverstanden sind, dass die eine Möglichkeit haben, sich gemeinsam mit Mitgliedern der Linken, mit Mitgliedern von Grünen, aber auch Parteilosen in einer Bewegung zu engagieren, bei der es nicht darum geht, ob man jetzt einen Schriftführer wählt in einem verrauchten Hinterzimmer einer Kneipe, sondern in der man sich für Themen engagiert. Denn Parteien sind ja kein Selbstzweck. Und wir wollen all die vielen Menschen gewinnen, die sagen, wir haben hier Gemeinsamkeiten. Das schließt übrigens nicht aus, dass man zu Europa oder auch in der Flüchtlingspolitik im Detail unterschiedliche Auffassungen hat. Man braucht eine hohe innere Toleranz. Aber wir sind uns einig, dass wir diese sozialen Themen wieder in den Mittelpunkt der Politik stellen müssen, und von daher ist es mir relativ egal, ob dies Projekt Herrn Scholz passt. Solange es dem Handwerker, der Krankenschwester, dem Taxifahrer passt, und das zeigen die Reaktionen, bin ich sehr glücklich.“

Auf normalem Wege, so hat es jedenfalls den Anschein, dürften SPD und Linke sowie der linke Flügel der Grünen eine rot-rot-grüne Koalition nicht hinbekommen. Es bedarf eines Drucks von unten - in diesem Punkt hat Ulrich von Alemann Recht. Doch wer verfügt über das notwendige Charisma, um ein solches Bündnis zu initialisieren und Strömungen zu kanalisieren? Andrea Nahles und Olaf Scholz scheiden aus, auch, weil sie es vermutlich gar nicht wollen. Sahra Wagenknecht könnte das gelingen, aber sie benötigte zusätzliche Unterstützung, sowohl von innerhalb als auch von außerhalb ihrer Partei. Und sie müsste auf die, welche sie einbinden möchte, offener zugehen.

Ein Blick nach rechts außen könnte die Notwendigkeit einer linken überparteilichen Sammlung besonders deutlich machen. Die AfD wurde auf einer Welle nach oben gespült, die von Pegida, NPD, Identitären, Querfront, Dritter Weg und nicht zuletzt von einer aktiven rechten Publizistik (Junge Freiheit, Antaios Verlag) in Bewegung gesetzt worden war. Alle, die nach einem neuen Reich mit den alten Verbrechen schreien, formieren sich längst. Die Linken und Linksliberalen hingegen warten mehrheitlich noch auf irgendeine Eingebung. Man möchte ihnen entgegenrufen: Aufwachen, Aufstehen!

Foto:
Cover der Single „Aufstehn“
© Bots