Bildschirmfoto 2018 08 11 um 08.07.43Israels Nationalstaatsgesetz ist zwei Wochen alt – in einer Verlautbarung zeigen ehemalige israelische Diplomaten Solidarität mit nicht jüdischen Israeli

Jacques Ungar

Tel Aviv (Weltexpresso) - Nachrichten von Feuersbrünsten, ausgelöst im Süden Israels durch Brandbomben und Feuerdrachen palästinensischer Terroristen des Gazastreifens, gehören mitunter zu den Neuigkeiten, die kaum noch jemandem auf der israelischen Seite die Gemütsruhe stehlen können. Zu sehr sind Meldungen von hunderten von Quadratmetern zerstörten Wald- oder Weidelandes inzwischen schon zur Routine geworden, die vielleicht noch Bedauern und Frustration auslöst, generell aber kaum mehr als gelangweiltes Gähnen.

Wie labil die gegenwärtige Situation ist, lässt sich unter anderem daran ablesen, dass die Feuerintensität aus dem Gazastreifen zwar leicht nachgelassen hat, dass aber Zwischenfälle diese Woche nicht ausschliessen lassen, dass die Palästinenser versuchen wollen, in der Westbank eine neue «Brand-Front» zu eröffnen.


Ideologische Gemgenlange

Zur terroristischen Feuerplage kommt in Israel seit einigen Tagen die ideologische Seite dazu, die momentan noch in ihren Kinderschuhen steckt, die unter Umständen aber das innenpolitische Gefüge im Land in seinen Grundfesten erschüttern könnte.

Noch während am Samstagabend auf dem Tel Aviver Rabin-Platz fast 90 000 Menschen gegen das umstrittene Nationalstaatsgesetz demonstrierten (tachles und tachles online berichteten), sprachen sich 40 ehemalige israelische Botschafter und hochrangige Diplomaten unumwunden und kompromisslos gegen das Gesetz aus. Einige Auszüge aus der publizierten Verlautbarung zeigen die Brisanz der Initiative der ehemaligen Diplomaten:

«Während unserer Dienstjahre für den Staat Israel konnten wir den Nationen der Welt stets in die Augen blicken und ihnen mit ehrlichem Herzen erklären, dass Israel als die einzige Demokratie im Nahen Osten effektiv ein stolzer jüdischer Staat ist, aber einer, der gemäss dem Geist der Propheten Israels geführt wird und die Gleichberechtigung zwischen seinen verschiedenen Komponenten aufrechterhält. Dazu gehört auch das Beibehalten der arabischen Sprache als eine offizielle Sprache neben dem Hebräischen.»


Persönlichkeiten des Staates Israel

Bei den Verfassern des Textes handelt es sich nicht etwa um subalterne Aktivisten, die sich im Augenblick profilieren wollen. Vielmehr finden sich unter den Mitautoren Persönlichkeiten, die während vieler Jahre an zentraler Stelle die Geschicke des Staates geleitet haben. So gehören zu den Diplomaten vier ehemalige Generaldirektoren des Aussenministeriums – Nissim Ben Shitrit, Alon Liel, Rafik Barak und der nicht zuletzt auch im Geheimdienstbereich effizient und erfolgreich aktiv gewesene Reuven Merhav sowie zwei stellvertretende Direktoren im Aussenministerium, Pinchas Avivi und Ran Curiel.

Die Diplomaten schreiben weiter: «Wir waren stolz auf das uns verliehene Recht, den Staat Israel zu repräsentieren, öffentlich zu verteidigen, seine Interessen zu fördern, seine Sicherheit und die Politik unserer Regierung, sowie im Dienste der Förderung von Wissenschaft, Wirtschaft und Kultur in Israel tätig zu sein. Heute bringen wir unseren Protest gegen die Gesetzgebung zum Ausdruck, die die Minderheiten unter uns ausschliesst – Araber, Muslime, Drusen, Christen, Tscherkessen und andere.» Weiter heisst es: «Wir sind stolz darauf, dass es unsere Pflicht war, unserem Land zusammen mit drusischen, christlichen, und muslimischen Botschaftern und Diplomaten zu dienen, und damit Israels pluralistische Botschaft in der Welt zu verbreiten. Wir unterstützen unsere Brüder und Schwestern, die israelischen Diplomaten aus diesen Bevölkerungssegmenten und teilen ihren Schmerz», fügten die Ex-Diplomaten und Ex-Botschafter hinzu. «Gleichberechtigung kommt aus unserer Unabhängigkeitserklärung, die das konstitutionelle Dokument unserer Unabhängigkeit in unserem Land ist.» Und schließlich: «Wir sind heute peinlich berührt und schmerzlich getroffen von dem, was unserem guten, herrlichen Land zugefügt worden ist, und rufen dazu auf, den Schaden dieser jüngsten Gesetzgebung zu beheben.»


Grenze überschritten

Laut Baruch Bina, dem früheren Vizedirektor in Nordamerika, der auch als Israels Botschafter in Norwegen diente, entstand die Idee für diese öffentliche Verlautbarung während eines Treffens von Veteranen des Außenministeriums in Tel Aviv. Die Teilnehmer fanden, sie könnten nicht passiv dabeistehen, wenn «unsere Kollegen im Außenministerium – Drusen, Christen und Muslime – durch das Gesetz verletzt werden».

Zu anderen Mitunterzeichnern der öffentlichen Verlautbarung zählen nebst vielen anderen Aryeh Mekel, der ehemalige CEO der israelischen Rundfunkbehörde, der auch Botschafter in Griechenland war, Ehud Gol, Ex-Botschafter in Portugal und Italien, Yossi Regev, ehemaliger Vizedirektor für Administration und Ex-Botschafter in Chile, die ehemalige Knessetabgeordnete Colette Avital, die auch Verantwortliche für Westeuropa und Generalkonsulin in New York war, Daniel Shek, Ex-Botschafter in Frankreich, Dorit Shavit, ehemalige Vizedirektorin für Lateinamerika und Botschafterin in Argentinien und Rafael Eldad, Ex-Botschafter in Chile.


Zeit der Beschaulichkeit vorbei

Die ersten Reaktionen auf die diplomatische Verlautbarung zum Nationalstaatsgesetz lassen zwar vieles an Spontaneität und Emotionen vermissen. Es ist jedoch nicht ausgeschlossen, dass das Dokument früher oder später den Nukleus für eine seriöse innen­politische Auseinandersetzung bilden wird, die je nach Gang der Dinge vielleicht sogar in eine Krise münden könnte. Die Knesset befindet sich derzeit zwar in den Sommerferien, doch die Zeiten der Beschaulichkeit dürften für Israels­ politische Entscheidungsträger vor­über sein).

Foto:
Wie pluralistisch soll Israel sein? Solidaritätskundgebung von Samstagabend in Tel Aviv mit Drusen und anderen nicht jüdischen Minderheiten
© tachles

Info:
Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 10. August 2018