zdf iran250 prominente Franzosen fordern die führenden Imame ihres Landes auf, bestimmte Verse des Koran für obsolet zu erklären, Teil 2/2

Matthias Küntzel

Hamburg (Weltexpresso) - Diese Erwartung wurde zu einem guten Teil, jedoch nicht völlig enttäuscht. Am 24. April dokumentierte Le Monde unter dem Titel “Wir, empörte Imame, sind bereit, unserem Land zu dienen“ einen von Oubrou und Dlioueh und 28 weiteren Imamen unterzeichneten Offenen Brief.[11] Darin gehen sie mit dem Zustand ihrer Religion in Frankreich zu Gericht. Muslimische Jugendliche würden mit einer „verstörenden Kombination aus Verbrechen und Religion ihr Spielchen spielen“.
Unter den Muslimen tobten sich „subversive Ausdrucksformen des Islam“ und eine „religiöse Anarchie“ aus. Leider hätten „einige Imame ... dazu beigetragen“, heißt es weiter in diesem Dokument, die noch nicht begriffen hätten, welch „schädliche psychologischen Wirkungen“, ihre aufwiegelnden Predigten haben. Der Text ruft alle „aufgeklärten Imame“ auf, sich am Kampf gegen „alle Formen des Extremismus, die direkt oder indirekt zum Terrorismus führen“, zu beteiligen.[12]

Mit diesem Brief erkannten die Sprecher wichtiger muslimischer Zentren in Frankreich an, dass islamische Auslegungen beim muslimischen Antisemitismus und Terrorismus eine Rolle spielen, sodass sich auch die Repräsentanten dieser Religion im Kampf dagegen engagieren müssen.

Von dieser Einsicht ist man in Deutschland ein gutes Stück entfernt. Vielleicht hat sich hierzulande für das französische Manifest auch deshalb so gut wie niemand interessiert: weder diejenigen, die mit dem politischen Mainstream dazu tendieren, den Islam gegen Antisemitismus- und Terrorismusvorwürfe in Schutz zu nehmen, noch diejenigen, die mit der AfD den Islam in seiner Gänze dämonisieren. Auch deshalb liegt erst jetzt, mit viermonatiger Verspätung, eine deutsche Übersetzung der Erklärung vor[13]:

Manifest gegen den neuen Antisemitismus

Der Antisemitismus ist nicht das Problem der Juden, er ist das Problem aller. Die Franzosen, deren demokratische Reife wir nach jedem islamistischen Angriff ermessen konnten, erleben eine Zeit paradoxer Tragik. Ihr Land wurde zum Schauplatz eines mörderischen Antisemitismus. Dieser Terror breitet sich aus und ruft einerseits die Verurteilung seitens der breiten Öffentlichkeit hervor und andererseits ein Schweigen in den Medien, das kürzlich der „Weiße Marsch“ aufzubrechen half.[14]

Wenn ein Premierminister [Manuel Valls] in der Nationalversammlung unter dem Beifall des ganzen Landes erklärt, dass “Frankreich ohne die Juden nicht mehr Frankreich ist”, dann handelt es sich nicht um eine schöne tröstliche Phrase, sondern um eine feierliche Warnung, denn unsere europäische Geschichte, insbesondere die französische Geschichte, ist aus geographischen, religiösen, philosophischen und rechtlichen Gründen zutiefst mit verschiedenen Kulturen verbunden, unter denen das jüdische Denken entscheidend ist. In unserer jüngsten Vergangenheit wurden elf Juden, weil sie Juden waren, von radikalen Islamisten ermordet und einige von ihnen gefoltert.

Der Vorwurf der Islamophobie, – die mit dem zu bekämpfenden anti-arabischen Rassismus nicht gleichzusetzen ist – verdunkelt jedoch die vom französischen Innenministerium veröffentlichten Daten: Die französischen Juden haben ein 25-mal höheres Risiko, angegriffen zu werden, als ihre muslimischen Landsleute. Zehn Prozent der jüdischen Bevölkerung aus der Region Paris – also etwa 50.000 Menschen – waren kürzlich gezwungen, umzuziehen, weil sie in einigen Orten nicht mehr sicher waren und ihre Kinder keine staatlichen Schulen mehr besuchen konnten. Im Land von Emile Zola und Clemenceau vollzieht sich beinahe geräuschlos eine ethnische Säuberung.

Warum herrscht dieses Schweigen? Weil die islamistische Radikalisierung – und der Antisemitismus, den sie mit sich bringt – von manchen Angehörigen der französischen Elite lediglich als Ausdruck einer sozialen Revolte betrachtet wird, obwohl sich dasselbe Phänomen auch in so unterschiedlichen Gesellschaften wie in Dänemark, Afghanistan, Mali oder Deutschland beobachten lässt. Weil zu dem alten Antisemitismus der extremen Rechten der Antisemitismus eines Teils der radikalen Linken hinzutritt, der im Antizionismus einen Vorwand gefunden hat, um aus den Henkern der Juden Opfer der Gesellschaft zu machen. [Und] weil das zutiefst verwerfliche Kalkül mit Blick auf die Wahlen besagt, dass die muslimische Wählerschaft zehnmal größer als die jüdische ist.

An dem „Weißen Marsch“ für Mireille Knoll nahmen jedoch Imame teil, denen bewusst ist, dass der muslimische Antisemitismus die größte Bedrohung für den Islam des 21. Jahrhunderts und für die Welt des Friedens und der Freiheit ist, in der zu leben sie sich entschieden haben. Die meisten [dieser Imame] stehen unter Polizeischutz – was viel über den Terror besagt, den die Islamisten unter den Muslimen in Frankreich verbreiten.

Als Konsequenz fordern wir, dass die Verse des Koran, die zur Ermordung und zur Bestrafung der Juden, der Christen und der Ungläubigen aufrufen, von den theologischen Autoritäten für obsolet erklärt werden – so wie die Widersprüche der Bibel und des katholischen Antisemitismus durch das Zweite Vatikanische Konzil aufgehoben wurden – damit sich kein Gläubiger auf einen heiligen Text berufen kann, um ein Verbrechen zu begehen.

Wir erwarten vom Islam in Frankreich, dass er vorangeht. Wir fordern, dass der Kampf gegen dieses Scheitern der Demokratie, das der Antisemitismus darstellt, zu einer nationalen Angelegenheit wird, bevor es zu spät ist. Bevor Frankreich nicht mehr Frankreich ist.


ANMERKUNGEN

[11] „Nous, imams indignés, sommes prets à nous mettre au service de notre pays“, Le Monde, 24.04.2018.

[12] Ben Cohen, ,Indignant‘ French Imams Issue Harsh Condemnation of Muslim Antisemitism, Terrorism, algemeiner.com, 24.04.2018.

[13] Übersetzung: Matthias Küntzel und Monika Gödecke. Der den Islam dämonisierende Weblog „Faktum“, hat das Manifest ebenfalls auf Deutsch präsentiert, jedoch grob entstellt. So wird hier „le racism anti-Arabe“ mit „arabischer Rassismus“ übersetzt. Siehe auf: http://www.faktum-magazin.de/2018/04/manifest-contre-antisemtisme-auf-deutsch/.

[14] „ Weißer Marsch“ (Marche Blanche), eine Form des Schweigemarschs, dessen Teilnehmer weiße Kleidung und/oder weiße Rosen tragen. Das „Manifest“ bezieht sich hier auf den „Weißen March“, der am 28. März 2018 in Paris zur Erinnerung an die von einem Islamisten ermordete Shoa- Überlebende Mireille Knoll durchgeführt wurde.

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Info:
Abdruck des in mena-watch.com am  30. August 2018 erschienenen Artikels mit freundlicher Genehmigung des Autors, seiner Webseite entnommen