Bildschirmfoto 2018 09 25 um 08.48.54Wird die Suppe so heiss gegessen wie sie gekocht worden ist? Gedanken zum Abschuss der Iljushin über Syrien

Jacques Ungar

Tel Aviv (Weltexpresso) - Der Zwischenfall vom Montag Nacht, als im syrischen Luftraum der Abschuss einer russischen Iljushin-20-Maschine den Tod von 15 russischen Wehrleuten forderte, hat Israel in eine extrem schwierige Lage mit den Russen manövriet, schiebt Moskau doch doch die volle Verantwortung für die Sache den Israeli zu.

Jerusalem könnte, wenn es hart auf hart gehen sollte, die dringend nötige strategische Handlungsfreiheit seiner Luftwaffe an der Nordfront ganz oder zumindest teilweise verlieren. Dass es wahrscheinlich dazu nicht kommen wird, tönte Präsident Vladimir Putin an, der Israel von der Schuld am Abschuss der Maschine freisprach, welcher das Resultat einer «tragischen Kette von Umständen» gewesen sei.

Während das jüdische Israel zusammen mit den Juden in aller Welt sich am Dienstag Nachmittag anschickte, den Fasttag des Jom Kippur zu begehen, den wichtigsten Tag im jüdischen Festagskalender, herrschte in Israels Nachbarschaft, aber auch in Moskau alles andere als Feiertagsstimmung. Zuerst warf Moskau Israel vor, die volle Verantwortung zu tragen für den Abschuss der russischen Iljushin 20-Maschine mit 15 Mann Besatzung an Bord. Das Flugzeug stürzte im Mittelmeer vor der syrischen Küste ab, getroffen von der syrischen Flugabwehr; alle Besatzungsmitglieder fanden den Tod.

Die Russen warfen Israel die Durchführung einer «feindseligen Provokation» vor mit seiner ungewöhnlichen Attacke gegen Einrichtung in der syrischen Hafenstadt Latakia in der Nacht auf den Dienstag. Israel hat laut  Version des Moskauer Verteidigungsministeriums eine «gefährliche Situation» geschaffen, unter anderem dadurch, dass es die Russen nur gerade eine Minute vor der Aktion gegen Ziele um Latakia von seinen Pläne in Kenntnis gesetzt habe. Das sei viel zu wenig gewesen, um das mit elektronischen Geheimdiensteinrichtungen ausgerüstete Flugzeug noch in Sicherheit zu bringen, werfen die Russen Israel vor.

All dies passe schlecht zu einem Staat, der mit Russland seit längerer Zeit schon im syrischen Luftraum eine gut funktionierende Kooperation und Koordination betreibe, die vor allem der Vermeidung von Zwischenfällen wie dem von Montag Nacht gedient hätten. Das habe seit drei Jahren stets geklappt, einschliesslich der Benutzung einer «Hotline» zwischen der russischen Luftwaffenbasis Khmeimim in Syrien und dem israelischen Luftwaffen-Hauptquartier in Tel Aviv. Jetzt aber seien nach Ansicht des Moskauer Verteidigungsministeriums 15 Militärs wegen «Israels verantwortungslosen Handlungen» gestorben. Die Iljushin-Maschine war in den Feuerlinien zwischen syrischen und wahrscheinlich israelischen Raketen und Kampfflugzeugen rettungslos verloren. Dass Russland auch den Franzosen vorwarf, in der Nähe der syrischen Küste Raketen abgefeuert zu haben, ging im Lärm erster anti-israelischer Reaktionen aus Moskau praktisch unter. Paris dementierte, mit dem Absturz der Maschine irgendetwas zu tun gehabt zu haben, wies aber den Vorwurf wegen des Einsatzes von Raketen interessanterweise nicht zurück.

Es bleibt abzuwarten ob Moskau mit der Untersuchung der Hintergründe des Zwischenfalls ebenso rasch zur Hand sein wird, wie mit den harschen Vorwürfen an die Adresse Israels. Noch wichtiger aber wird sein, wie und ob der Tod der russischen Wehrleute infolge zumindest indirekter israelischer Handlungen die bisherige Kooperation zwischen den beiden Staaten in Syrien nachteilig beeinflussen wird. Zunächst zitierte Russland noch am Dienstag die stellvertretende israelische Botschafterin ins Moskauer Aussenministerium, wo sie die in solchen Fällen übliche Rüge entgegenzunehmen hatte. In einem ungewöhnlichen Schritt äusserte sich sodann der israelische Armeesprecher noch am Dienstagnachmittag zu den Vorwürfen. Zuerst sprach er Israels Bedauern über den Tod der russischen Militärs als Folge der syrischen Luftangriffe aus. Die volle Verantwortung liege laut dem Armeesprecher bei der syrischen Armee, aber auch bei Iran und der mit ihm alliierten Hizbollahmiliz, die trotz israelischer Warnungen unentwegt versuchten, die militärische Position der Islamischen Republik in Syrien für Angriffe gegen Israel mit Personal und Waffen zu stärken. Inzwischen betonten israelische Stellen, dass zur Zeit des Zwischenfalls mit der russischen Maschine alle israelischen Düsenjäger sich bereits wieder auf israelischem Territorium befunden hatten.
Angefangen hat die Eskalation mit einer Reihe «ungewöhnlicher Luftangriffe» gegen Syrien. Medienberichten zufolge wurden Raketen gegen militärische Ziele in der Nähe der syrischen Städte Latakia, Homs und Hama abgefeuert.

Die Syrer wollten wissen, dass ihre Luftabwehr eine Reihe der Raketen abfangen konnten. Arabische Medien wiederum berichteten, dass frühere Angriffe Waffendepots in von Iran kontrollierten Munitions-Produktionsstätten ins Visier genommen hatten. Der angebliche Angriff unweit von Latakia ist alleine schon deshalb ungewöhnlich weil die Hafenstadt sich in Nähe der von den Russen benutzten Luftwaffenbasis Khmeimim und der Marinebasis Tartus befindet. Dort sind auch russische Düsenjäger und ein Luftabwehrsystem vom Typ S-400 stationiert. Seitdem die Russen sich dort niedergelassen haben, hat Israel in der Gegend praktisch keine Angriffe mehr durchgeführt. In der Nacht auf Dienstag sprachen russische Meldungen davon, dass eine ihrer Maschinen über dem Mittelmeer vermisst werde, die vermutlich, so die Russen, von falsch geleiteten syrischen Raketen getroffen worden sein soll, die israelische Raketen abfangen wollten. Die russische Maschine sei vom Radar verschwunden, lautete die anfängliche Meldung aus Moskau, die auch davon sprach, dass zur Zeit des Zwischenfalls israelische F-16-Flugzeuge in der Gegend operierten.

Alle diese Berichte kamen, kurz nachdem Russland erklärt hatte, als Folge eines Treffens zwischen Präsident Putin und dessen türkischen Amtskollegen Erdogan vom Montag sei die Offensive gegen das von Rebellen gehaltene Idlib vorerst verschoben worden. Das soll eine verlustreiche Offensive des syrischen Regimes gegen die Region verhindern. Stattdessen soll dort bis zum 15. Oktober eine entmilitarisierte Zone eingerichtet werden. – Am Montag hatte die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte aus London berichtet, Israel habe allein bei Angriffen auf Syrien im letzten Monat 113 Iraner getötet. Wie in solchen Fällen üblich reagierten israelische Stellen auf die Flut der Meldungen aus der Gegend von Latakia – dazu gehören auch die Gerüchte von einer französisch-israelischen Zusammenarbeit bei dem Angriff - zunächst mit Stillschweigen. Interessanterweise verteidigte die britische Regierungschefin Theresa May am Montagabend das Recht Israels auf Selbstverteidigung in einem öffentlichen Auftritt ausdrücklich.

Foto:
Russland zitierte noch am Dienstag die stellvertretende israelische Botschafterin, Keren Cohen Gat (links) ins Moskauer Aussenministerium.
© tachles

Info:
Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 20. September 2018