p mauer2018Zum Tag der deutschen Einheit 2018

Conrad Taler

Bremen (Weltexpresso) - Wenn es einen Feiertag gibt, der in den Herzen der Menschen keine Wurzeln geschlagen hat, dann ist es der Tag der deutschen Einheit. „Nur mit Euch“ lautete das diesjährige Motto. Wer denkt sich so etwas aus? Soll das Volk, „der große Lümmel“, über dieser Anbiederei vergessen, was ihm seit Wochen und Monaten zugemutet wird? Seit dem Fall der Mauer hat es für keine Bundesregierung so finster ausgesehen wie am Tag der deutschen Einheit im Jahr 2018.

Beim Festakt in Berlin rief Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble dazu auf, Demokratie und Rechtstaatlichkeit zu verteidigen. Er warnte davor, Minderheiten und Volksvertreter zum Feinbild zu machen. Aber waren es nicht gerade „die da oben“, die der Demokratie mehr Schaden zugefügt haben, als alle pöbelnden Neonazis zusammen? Niemand habe das Recht zu behaupten, er allein vertrete das Volk, sagte Schäuble unter großem Beifall, und er dachte dabei an die AfD. Hätte er das auch gesagt, als die Menschen in der DDR auf die Straße gingen und „Wir sind das Volk“ riefen?

Wer entscheidet darüber, auf wessen Seite das Recht steht? Nelson Mandela galt der weißen südafrikanischen Regierung Jahrzehnte lang als Terrorist, gestorben ist er als weltweit geachteter Kämpfer für Recht und Gerechtigkeit. Abgesehen davon - Arme und Reiche gibt es weiterhin. Was ist aus den blühenden Landschaften geworden, die den Menschen im Osten Deutschlands in Aussicht gestellt wurden? Vier Millionen Menschen sind seit dem Fall der Mauer aus dem Osten Deutschlands in den Westen abgewandert. Bei den wichtigsten ökonomischen Daten liegt der Osten trotz aller Fortschritte um 25 bis 40 Prozent hinter dem Westen zurück.

Zwei Millionen Menschen wählten den umgekehrten Weg, die meisten in der löblichen Absicht, die Ostmenschen vor einem Rückfall in sozialistischen Schlendrian zu bewahren. In der Justiz, bei der Polizei, in der Verwaltung, im Schulwesen, von der Wirtschaft ganz zu schweigen, überall wurden westliche Korsettstangen eingezogen. „Die Mehrheit der DDR-Bevölkerung erlebte die Einheits- und Marktwirtschaftsmaschinerie mit der Treuhand an der Spitze als systematische Demütigung“, schreibt Heribert Prantl in der „Süddeutschen Zeitung“ vom 2./3. Oktober.

Wer nach den Ursachen des Erstarkens von Rechtspopulismus und Neonazismus in den neuen Bundesländern sucht, sollte sich mit den Begleitumständen ihres Beitritts zur Bundesrepublik Deutschland befassen. Anders als behauptet, haben da nicht zwei Gleichberechtigte zueinander gefunden. Der siegreiche Westen hat den besiegten Osten als Beute vereinnahmt. Dass dabei Millionen menschliche Schicksale unter die Räder kamen, hat niemanden gestört. Jetzt endlich, nach 28 Jahren, dämmert es in manchen Köpfen, dass da etwas auf den Müllhaufen der Geschichte geworfen wurde, das dort nicht hingehört.

Der Rechtspopulismus ist kein ostdeutsches Phänomen, sondern breitet sich auch im Westen aus. Im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung hat das Wissenschaftszentrum für Sozialforschung in Berlin herausgefunden, dass populistische Positionen in der Mitte der Gesellschaft immer salonfähiger werden. Jeder dritte Deutsche steht ihnen positiv gegenüber. Davon profitiert die AfD.

Heribert Prantl bestreitet entschieden, dass die deutsche Einheit mit dem Beitritt der ostdeutschen Länder zur Bundesrepublik vollendet sei, wie die Präambel des Grundgesetzes behauptet. Es hätte eine neue gemeinsame Verfassung geschrieben werden und darüber in ganz Deutschland abgestimmt werden müssen. „So hätte ein Geburtsmakel des Grundgesetzes, die fehlende Zustimmung des Volkes, behoben werden können. Die rechtsstaatliche Tradition der alten Bundesrepublik wäre verknüpft worden mit der demokratischen Autorität des revolutionären Wandels in der DDR. Es war falsch, auf eine Legitimation dieser Güte zu verzichten.“ Das ist es wohl auch, weshalb der 3. Oktober als Feiertag in den Herzen der Menschen keine Wurzeln schlägt.

Foto:
Die Mauer ist wieder da - im Rahmen einer Installation am Brandenburger Tor. 
Wie vieles in Berlin dann gleich auf Englisch.
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