Manuel Battegay wird am Sonntag offiziell das Amt des Präsidenten der Israelitischen Gemeinde Basel von Guy Rueff übernehmen
Yves Kugelmann
Basel (Weltexpresso) - Manuel Battegay ist in stiller Wahl zum neuen Gemeindepräsidenten der Israelitischen Gemeinde Basel gewählt worden – tachles hat mit ihm über seine Motivation, seine Ziele und sein Vorstandsteam gesprochen.
tachles: Was hat Sie dazu bewogen, in einer Krisensituation für das Amt des Präsidenten der Israelitischen Gemeinde Basel (IGB) zu kandidieren?
Manuel Battegay: Meine Hauptmotivation liegt in der Tatsache, dass nun in der Gemeinde Verantwortung übernommen werden muss. In unserer IGB geht es jetzt speziell darum, dass der Charakter der Einheitsgemeinde wieder gelebt wird. Aufgrund meiner Führungserfahrung traue ich mir zusammen mit einem engagierten Vorstand zu, hier einen Beitrag zu leisten. Aufgrund meiner beruflichen Tätigkeit, die sehr intensiv ist und in den nächsten Jahren auch bleiben wird, ist das IGB-Präsidium nun eine wirkliche Zusatzaufgabe und -verantwortung.
Was ist Ihre Vision von einer Einheitsgemeinde?
Bevor wir Visionen entwickeln, muss die Gemeinde zuerst einmal funktionieren, dies ist unser Kernanliegen. Das Thema Einheitsgemeinde muss vom Vorstand zusammen mit der Gemeinde bearbeitet werden. Aber ich denke, die IGB muss für möglichst alle Mitglieder der Gemeinde wieder eine inspirierende Gemeinde werden. Dies ist zurzeit nicht genügend der Fall, und wir sollten wieder mehr miteinander schauen, dass sich effektiv alle in der Gemeinde zu Hause fühlen. Das ist ein Anliegen, welches wir diskutiert haben. Das breite Spektrum der gesamten Gemeinde wird durch den neuen Vorstand gut abgebildet, so dass sehr verschiedene Interessen wieder besser zum Tragen kommen können.
Was bedeutet das breite Spektrum der Einheitsgemeinde für Sie – zum Beispiel in der aktuellen Debatte über das gemischt religiöse Grabfeld?
Meine Position in dieser Frage möchte ich jetzt offenlassen, aber es ist wichtig, dass unser sehr engagierter Rabbiner Mosche Baumel in seinen Ideen und Projekten unterstützt wird. Wir bewegen uns im Rahmen der Halacha, und hier gibt es Spielraum – dies auch im Rahmen des Gottesdienstes. Dieser sollte auch für die Frauen attraktiver werden. Ich möchte hier anmerken, dass für mich die Einheitsgemeinde eine wunderbare Art ist, wie eine jüdische Gemeinschaft Judentum lebt. Es ist gegenseitig inspirierend, wenn wir von uns mehr lernen, uns zuhören und so selber dazu beitragen, dass die Diversität des Judentums wieder mehr gelebt wird. Wir werden im ersten Jahr in den Kommissionen und im Vorstand konkrete Vorschläge erarbeiten und vertieft diskutieren, um programmatisch nach den ersten sechs Monaten bereits Konkretes vorzuschlagen. Die IGB könnte künftig verstärkt für Diversität und Miteinander stehen.
Wird die Gemeinde also künftig mehr in Diskussionen einbezogen werden als bisher?
Ja! Insbesondere in der Kommissionsarbeit. Als Präsident und als Vorstand möchten wir natürlich im Rahmen der Statuten eine neue Kompetenzstruktur einbringen. Prinzipiell möchte ich Verantwortung delegieren, in die Kommissionen, in denen auch Ad-hoc-Experten ihren Input geben, in denen Gemeindemitglieder mitarbeiten und mitbestimmen. Wir müssen uns klar darüber werden, wo auch eine Vernehmlassung wichtig ist. Und wenn es dann eine Diskussion innerhalb der Gemeinde gibt, dann ist sie echt. Allerdings gibt es auch Projekte, bei denen wir entscheiden müssen, aber auch hier ist eine zeitnahe Information essenziell. Dann bin ich überzeugt und freue mich, dass es auch innerhalb des Vorstands konstruktive Debatten geben wird, da die Diversität stark vorhanden ist.
Sie haben betont, dass das Thema Sicherheit für Sie zurzeit Priorität hat und nicht etwa die Finanzen. Weshalb legen Sie diesen Fokus?
Ja, das ist korrekt. Sicherheit ist für mich ein viel umfassender Begriff. Es geht konkret um das Sicherheitsgefühl der Menschen in unserer Gemeinde. Unsicherheit ist das, was Juden in Frankreich dazu bewegt, zu Tausenden auszuwandern, auch in England ist diese Tendenz zu beobachten. In Deutschland fürchten sich Juden wieder. Unsicherheit korrodiert jüdisches Leben. Das Sicherheitsgefühl, das Sich-Wohl-Fühlen und das Sich-Zuhause-Fühlen hängen massgeblich von der Sicherheit ab. Wenn man ehrlich ist, fühlt jeder von uns sich sehr schnell unwohl, wenn Unsicherheit besteht. Daher ist die Sicherheit für mich ein ganz wichtiger Punkt, und ich hoffe sehr, das Projekt Sicherheit mit der Basler Regierung und der Basler Polizei umzusetzen.
Sicherheit ist aber auch ein Thema, das immer dann aufkommt, wenn man die echten Probleme nicht lösen möchte.
Wenn die Sicherheit mal gelöst ist, dann gebe ich Ihnen recht. Dann ist der Inhalt des jüdischen Gemeindelebens wichtig. Das ist ein Hauptanliegen des neuen Vorstands: Wir wollen eine konstruktive Stimmung und eine positive Perspektive innerhalb der Gemeinde erreichen. Es passiert ja viel Positives in der IGB. Bei angespannter finanzieller Situation werden wir allerdings eine klare Diskussion darüber führen müssen, welche Projekte mit Gemeindegeldern und welche teilweise oder ganz mit Drittmitteln finanziert werden sollen. Ein gutes Beispiel ist die Karger-Bibliothek. Ohne dem Ressort vorgreifen zu wollen, glaube ich, hier muss eine Diskussion darüber stattfinden, wie wichtig einer jüdischen Gemeinde eine Bibliothek ist. Wie können wir das Finanzielle gestalten? Gibt es Möglichkeiten von Joint Ventures mit Drittmitteln, zum Beispiel mit Eingaben an Stiftungen? Auf diesem Gebiet habe ich aufgrund der vor allem durch Drittmittel finanzierten Arbeit in der Forschung Erfahrung. Hier sollten Möglichkeiten vorhanden sein, wenn wir davon als Gemeinde überzeugt sind.
Auch die Finanzierung der jüdischen Schule stand in der Vergangenheit immer wieder zur Debatte. Wie stehen Sie zur jüdischen Primarschule?
Diese Frage kann ich jetzt noch nicht beantworten, denn auch dieses Thema möchte ich, wie die Bibliothek, im Vorstand angehen. Wir müssen zuerst die Wertefrage als erste Frage in den Raum stellen und die Priorität. Die Bildung spielt eine eminent wichtige Rolle für das Judentum, das ist klar. Wenn wir hier ja sagen und uns ganz bewusst zur Schule bekennen, dann müssen wir schauen, welche Modelle nachhaltig sind. Mir ist wichtig zu betonen, dass wir künftig zu den Dingen viel klarer ja sagen, und wenn wir ja sagen, dann auch präzise Überlegungen über die finanzielle Nachhaltigkeit anstellen werden.
Worin liegen Ihre weiteren Ziele als Präsident der IGB?
Die jüdische Gemeinde Basel ist gesamthaft zu sehr nach innen, auf Struktur und Probleme, gerichtet. Trotzdem sind die Finanzen ins Lot zu bringen, und zwar schnell. Dies ist klar eine der Prioritäten in der ersten Phase, in der wir uns zuerst einen Überblick verschaffen müssen. Der Kontakt zu Mitarbeitenden der Gemeinde ist eine weitere wichtige Tätigkeit des gesamten Vorstandes. Selber werde ich jede Woche zwei Stunden im Gemeindehaus sein. Dies wird mir helfen, ein differenziertes Bild zu erhalten. Der Vorstand hat sich als Ziel gesetzt, die Arbeit effizienter zu gestalten. Wir müssen uns hinsichtlich der Finanzen nach der Decke strecken, denn eine zusätzliche Abgabe über die Steuern halte ich nicht für richtig. Da ist eine vermehrte ehrenamtliche Tätigkeit ebenfalls wichtig. Wir müssen schauen, Projekte bei Stiftungen einzugeben. Ich möchte aber hier keine leeren Versprechungen machen, aber ich hoffe, dass wenn die Struktur und vor allem die Kompetenzstruktur transparent erarbeitet ist und die Verantwortung delegiert wird, dies zu einer Dynamik führt. Das heisst, Mitglieder der Gemeinde werden sich selber mit sehr guten Vorschlägen inklusive Budgetüberlegungen einbringen. Der Vorstand wird nicht überall entscheiden, sondern es wird viel mehr in den Kommissionen entschieden, die auch – je nach Fragestellung – erweitert werden können. Die Struktur ist viel wichtiger, als die Leute denken, denn nur wenn sie funktioniert, können die Ideen spriessen. Genauso wie die Struktur aber sind auch die Finanzen kein Selbstzweck. Sie sind auch kein Programmpunkt, sondern schnell ins Lot zu bringen. Ein hohes Gut ist das ausgezeichnete Kulturprogramm der IGB, und wir sollten weiterhin im Kulturleben in Basel einen wichtigen Platz einnehmen.
Es wird aber immer schwieriger, Fördergelder für jüdische Belange zu generieren.
Da bin ich nicht sicher – es ist viel Goodwill und Wertschätzung für jüdische Institutionen vorhanden. Ein Vorhaben kann exzellent sein und doch nicht mit Gemeindegeldern finanziert werden müssen. Wie gesagt, wir müssen künftig grundsätzlich schauen, welche Projekte sich auch mit Drittmitteln finanzieren lassen könnten. Dann sollten wir mit Überzeugung und Begeisterung an Stiftungen oder andere Geldgeber herantreten. Wenn eine Gemeinde nur über ihre eigenen Probleme spricht und dann Geld sucht, ist es schwierig. Die Förderer möchten doch Inspiration spüren und etwas wachsen sehen. Uns ist es wichtig, Enthusiasmus für Neues zu wecken, und das gilt für viele Bereiche.
Ein grösserer Enthusiasmus innerhalb der Gemeinde könnte auch attraktiv für Neuzuzügler und potenzielle neue Mitglieder sein.
Absolut. Auch da werden wir einen Schwerpunkt setzen. Wir werden sehr gut zuhören und überlegen, was wie gemacht werden könnte, damit neue Mitglieder in die Gemeinde kommen. Dies ist essentiell, das hat auch unser Rabbiner immer wieder betont, zum Beispiel, wie wir Expats dafür gewinnen können, der IGB beizutreten. Wir können schauen, wie andere europäische Gemeinden dies lösen, wir müssen ja nicht alles neu erfinden. Aus der ganzen Prioritätenliste sehen Sie aber, das eine gute Basisstruktur wichtig ist.
Worin sehen Sie die Unterschiede zwischen einem ehrenamtlichen und einem beruflichen Engagement?
Einem ehrenamtlichen Gremium liegen andere Voraussetzungen zugrunde als im Beruf. Zum einen, weil nicht immer die benötigte Expertise vorhanden ist. Zum anderen kann rein aus Zeitgründen das Engagement nicht gleich hoch sein wie im Beruf. Der Hauptgrund, aus dem ich gesagt habe, dass ich nur mit dem Team, das nun mit mir am Start ist, arbeiten möchte, ist ein einfacher: Ich werde mich als Präsident sehr engagieren, aber aufgrund meiner heutigen Situation im Berufsleben als sehr eingebundener Chefarzt mussten die Bedingungen für mich, aber auch für uns als Vorstand optimal sein, insbesondere, um jetzt in einer schwierigen Zeit vertrauensvoll die Arbeit anzugehen und dem Wohl der Gemeinde zu dienen. Es besteht auch eine hohe Expertise und dies erhöht die Chancen, dass wir mit entsprechender Arbeit wenn nicht alle, so doch viele der gesteckten Ziel erreichen. Ich hoffe, dass bald die Freude darüber überwiegt, diese Aufgabe angenommen zu haben. Ich sehe die Tätigkeit als IGB-Präsident als grosse Herausforderung, aber auch als Ehre. Und sicher ist es innerhalb einer jüdischen Gemeinde eine schöne Herausforderung, dass alle gerne mitdiskutieren. Für mich war einfach wichtig, dass der Start optimal geregelt ist. Das ist auch ein Respekt gegenüber der Aufgabe. Um auf Ihre Frage zurückzukommen – auch in unserer ehrenamtlichen Tätigkeit ist es wichtig, schwierige Probleme miteinander anzugehen und sie zu lösen zu versuchen. Die schwierige Situation verlangt Expertise, die in unserem Team vorhanden ist. Da sind wir motiviert anzupacken, besitzen unterschiedlichste Erfahrungen und repräsentieren auch die Gemeinde gut. Im Moment braucht die IGB Organisation und Orientierung – Letzteres erfolgt immer auch als Prozess im Vorstand, und in den Kommissionen, aber um Entscheide kommen wir nicht herum.
Bezüglich der Diversität innerhalb des Vorstands werden die Diskussionen wohl heftig werden – zum Beispiel bei der Debatte um die Stelle des Chasan.
Es ist nicht an mir zu bestimmen, welche Diskussionen aufkommen. Der Vorstand, das heisst wir alle als Kandidaten – darüber bin ich sehr glücklich – haben eben nicht gesagt, dass wir alle der gleichen Meinung sein sollten. In der Diskussion um Mitarbeitende in der Gemeinde und um die Infrastruktur möchten der Vorstand und auch ich die Lage kennen. Erst dann können Möglichkeiten aufgezeigt werden und Entscheide auch in Abwägung und wertschätzender, ehrlicher Haltung getroffen werden. Insgesamt bin überzeugt davon, dass die Gemeinde sehr gut einbezogen werden wird, innerhalb der Kommissionen, aber auch sonst. Näheres werden wir am Sonntag bekannt geben, wenn wir uns der Gemeinde vorstellen und darüber informieren, wie die einzelnen Ressorts aufgeteilt werden. Am Sonntag wird auch die offizielle Amtsübergabe stattfinden.
Wie stehen Sie zum Schweizer Judentum und zum Schweizerischen Israelitischen Gemeindebund (SIG)? Finden Sie nicht, der Dachverband hat gerade beim Thema Sicherheit Chancen vertan?
Ich hatte sogleich nach der Wahl ein sehr gutes Telefongespräch mit Herbert Winter, welchen ich sehr schätze. Ihre Frage kann ich aber deshalb nicht wirklich beantworten, weil ich bisher nicht dabei war. Ich werde künftig im Centralcomité des SIG vertreten sein, dort will ich mich dann konstruktiv einbringen. Mir ist es ein Anliegen, im SIG die Sicherheitsfrage zu erörtern, auch den bisher gesprochenen, nicht hohen bundesweiten Beitrag. Da werde ich mich einbringen, so gut ich kann. In Basel habe ich dies ja bereits hinsichtlich der Sicherheitsfrage getan. Wie gesagt, wir werden uns stark engagieren.
Informationsabend am Sonntag, 21. Oktober,
19 Uhr, Gemeindesaal, IGB, Leimenstrasse 24, Basel.
Yves Kugelmann, Valerie Wendenburg
Foto:
Manuel Battegay
© tachles
Info:
Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 19. Oktober 2018