p cdu parteivorsitz merz verspricht enge zusammenarbeit mit merkel bildquelle dpa wolfgang kummich Friedrich Merz will sich für Auschwitz nicht mehr in Haftung nehmen lassen

Conrad Taler

Hamburg (Weltexpresso) – Keiner hatte Friedrich Merz auf dem Merkzettel, als Angela Merz nach einer Serie von Wahlniederlagen ihren Rückzug vom Amt der CDU-Vorsitzenden bekannt gab. Während seiner Zeit als Vorsitzender der Unionsfraktion im Bundestag machte Merz mehrfach von sich reden. Unter anderem mit der Aussage, seine Generation wolle sich nicht mehr für Auschwitz und die deutsche Vergangenheit in Haftung nehmen lassen. Heute könnte er sich damit auch bei den Rechtspopulisten bewerben. Unser Mitarbeiter Conrad Taler beschreibt in seinem 2005 erschienen Buch „Der braune Faden“ das damalige politische Umfeld und die Reaktionen auf die provokante Forderung von Merz. Nachfolgende Auszüge passen in die politische Landschaft. Die Redaktion

Eine Forsa-Umfrage ergab 1999, dass jeder fünfte Deutsche latent antisemitisch eingestellt ist. Zur selben Zeit behauptete Bundespräsident Johannes Rau, es gebe in Deutschland keine nennenswerte rechtsradikale Bewegung, allerdings ab und zu Untaten, »zum Glück in Einzelfällen« (Frankfurter Rundschau 16. 8. 1999). Im Jahr darauf – das Emnid-Institut hatte bei einer repräsentativen Umfrage festgestellt, dass jeder fünfte Jugendliche von Auschwitz als Vernichtungslager noch nie gehört hat – räumte Rau in seiner »Berliner Rede« ein, dass in Deutschland eine »aggressive Intoleranz gegenüber Ausländern« existiere; es gebe »Ausländerfeindlichkeit, ja Hass«. Im selben Jahr ergab eine Shell-Studie, dass jeder vierte Jugendliche ausländerfeindlich eingestellt ist.

Nach einer Langzeitstudie der Universität Bielefeld aus dem Jahr 2003 ärgern sich 69,9 Prozent der Deutschen darüber, dass ihnen auch heute noch »die Verbrechen an den Juden vorgehalten werden«. 2004 waren laut Umfragen 56 Prozent der Deutschen der Meinung, die Juden redeteten »immer noch zu viel darüber, was mit ihnen im Holocaust geschehen« sei. Der Vizepräsident des Zentralrates der Juden in Deutschland, Salomon Korn, wies gegenüber dem Nachrichtenmagazin »Der Spiegel« vom 15. 3. 2004 darauf hin, dass – wie Umfragen seit Jahren belegten – 15 bis 20 Prozent der Deutschen, also bis zu 16 Millionen Menschen, judenfeindlich eingestellt seien.

Der »Aufstand der Anständigen« gegen die Umtriebe der Neonazis, einst von Bundeskanzler Gerhard Schröder gefordert, habe nicht stattgefunden, eher habe es verschiedentlich einen »Aufstand der Unanständigen« gegeben, resümierte im Jahr 2000 der Nachfolger von Ignatz Bubis im Amt des Präsidenten des Zentralrates der Juden, Paul Spiegel. In ungewöhnlich scharfer Form kritisierte Spiegel den damaligen Vorsitzenden der Unionsfraktion im Bundestag, Friedrich Merz, wegen dessen Äußerung, seine Generation wolle sich nicht mehr für Auschwitz und die deutsche Vergangenheit in Haftung nehmen lassen. Das sei ein »Schlag ins Gesicht der Opfer und Überlebenden des Naziregimes«. Mit dem »Abstreifen der Verantwortung für die Lehren der Geschichte«, so Spiegel weiter, »wird der untaugliche Versuch unternommen, sich von einem Schuldgespenst freizusprechen, das längst nicht mehr existiert hat, und gleichzeitig der fatale Fehler begangen, rechtsradikale Parolen und Fremdenfeindlichkeit salonfähig zu machen.« (AP 31. 3. 2000).

Damit stand Paul Spiegel wieder dort, wo fünf Jahre zuvor Ignatz Bubis gestanden hat, als konservative Politiker, Publizisten und Wirtschaftsvertreter zum 50. Jahrestag des bedingungslosen Kapitulation Hitlerdeutschlands den Versuch unternahmen, die Millionen Opfer des Naziterrors gegen die deutschen Opfer zu verrechnen. In einem gemeinsamen Aufruf erklärten sie, der 8. Mai 1945 habe auch den »Beginn von Vertreibungsterror und neuer Unterdrückung im Osten und den Beginn der Teilung unseres Landes« bedeutet. Ignatz Bubis bezeichnete die Unterzeichner, darunter der frühere Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, Alfred Dregger, und der Bundesminister Carl-Dieter Spranger (CSU), als »Ewiggestrige, die am liebsten alles, was zwischen ‘33 und ‘45 passiert ist, fortsetzen würden – vielleicht in einer gemäßigteren Form, ohne gleich Völkermord zu betreiben.«

Bundeskanzler Kohl brachte es nicht fertig, sich anlässlich des Gedenktages auf die Seite der Opfer des Naziterrors zu stellen und den 8. Mai 1945 als Tag der Befreiung zu bezeichnen. Er schlug sich auf die Seite der Indifferenten und erklärte, niemand habe »das Recht, festzulegen, was die Menschen in ihrer Erinnerung zu denken« hätten (Chronik ‘95, Chronik-Verlag, S. 46). Der Vizepräsident des Zentralrates der Juden in Deutschland, Salomon Korn, erklärte Ende Mai 2000: »Die Erinnerung an das nationalsozialistische Jahrhundertverbrechen ist nicht wirklich Teil einer nationalen deutschen Identität geworden«. Die Hoffnung, Auschwitz könne vor Rückfällen in Antisemitismus und Rassismus schützen, habe sich als Illusion erwiesen.

Drei Jahre später, nach der Aufdeckung eines geplantes Anschlages auf das jüdische Gemeindezentrum in München, machte Korn darauf aufmerksam, dass bei aller berechtigten Empörung über die Untaten des vulgären Rechtsradikalismus nicht übersehen werden dürfe, was sich hinter dem Verlangen des Bürgertums nach »Normalität« verberge. »Man sollte eher ein Auge auf zentrale gesellschaftliche Entwicklungen werfen, weil es in der Mitte der Gesellschaft weiterhin hartnäckige Vorurteile gegenüber Menschen anderer Hautfarbe, anderer Herkunft und anderer Religion gibt.« (Frankfurter Rundschau 24. 9. 2003).

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