Kurt Nelhiebel
Bremen (Weltexpresso) - Von allem anderem abgesehen, dem Parteiengesetz zum Beispiel, das den Parteien die Annahme von Spenden aus dem Ausland bis auf gewisse Ausnahmen verbietet, muss die mit dem Namen Alice Weidel verknüpfte Spendenaffäre für die AfD doch ziemlich peinlich sein. Ausgerechnet die selbsternannten rechten Tugendwächter stehen vor aller Öffentlichkeit als ertappte Sünder da, die es nicht so genau nehmen mit Recht und Gesetz.
Eines der Felder, auf dem sie deutsche Tugenden, was immer sie darunter verstehen, vor Unbill bewahren möchten, ist die Kulturpolitik. „Die neuen Rechten betrachten Kultur nicht nur als Konfliktfeld, sie verstehen sich selbst explizit als kulturelle Bewegung“, erklärte der Geschäftsführende Direktor des Deutschen Bühnenvereins, Marc Grandmontagne, laut Süddeutsche Zeiitung vom 13. November. Ihr Ziel seien „kollektive Identitätsgemeinschaften", fügte er hinzu. Damit stießen sie in ein Vakuum.
Grandmontagne gehört zu den Unterzeichnern eines Aufrufes, mit dem sich 140 deutsche Theater, Bibliotheken, Galerien, Opern, Museen, Orchester, Akademien und andere Kultureinrichtungen dieser Tage an die Öffentlichkeit gewandt haben. Der Aufruf trägt den Titel „Die Vielen“. Die Beteiligten verstehen sich als solidarisches Bündnis, das der Verbreitung deutsch-völkischer Parolen und Denkweisen entgegen treten will. Peter Laudenbach schreibt im Feuilleton der SZ, da sei mehr als eine unverbindliche Geste, sondern die entschlossene Antwort darauf, dass die AfD und andere rechte Formationen ihre Polemik gegen liberale „Eliten“ intensivierten.
„Es beginnt immer mit der Sprache“ sagte die Intendantin des Berliner HAU-Theaters und eine der Erstunterzeichnerinnen des Aufrufs, Annemie Vanackere, der gleichen Quelle zufolge. Sie sieht im Vorgehen der neuen Rechten eine klare Strategie. Das mache sie so gefährlich. Ein anderer Erstunterzeichner, der Intendant des Berliner Friedrichsstadtpalastes Bernd Schmidt, bekam innerhalb weniger Tage mehr als 400 Hassmails und fünf Morddrohungen, nachdem er sich gegen die AfD ausgesprochen hatte. „Wer jetzt einen von uns angreift, bekommt es mit allen 140 Unterzeichnern zu tun“, freut er sich.
Zu den besonders Betroffenen einer offensichtlich doch nicht so gut aufgearbeiteten deutschen Vergangenheit gehören die jüdischen Mitbürger. Ihre Einrichtungen müssen 73 (!) Jahre nach dem Ende der Naziherrschaft immer noch von der Polizei bewacht werden, um sie vor Angriffen zu schützen, und das Tragen der Kippa in der Öffentlichkeit ist mancherorts immer noch oder schon wieder mit dem Risiko verbunden, angepöbelt oder gar körperlich attackiert zu werden.
Das Unheil beginnt in der Schule. Der Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland, Josef Schuster, hat die Darstellung des Judentums in deutschen Schulbüchern scharf kritisiert. „Es gibt dort zuweilen Bilder“, sagte er, „die von antisemitischen Stereotypen geprägt sind und damit eher an den ‚Stürmer’ erinnern, als dass sie eine sachliche Darstellung bieten würden.“ Schuster spielte damit auf ein antisemitisches Hetzblatt aus der Nazizeit an. Gegenüber der Deutschen Presse-Agentur vom 19. August 2018 bemängelte Schuster außerdem, dass viele Lehrbücher das Judentum nur sehr rudimentär darstellten. Besuche in KZ-Gedenkstätten sollten für Schüler zur Pflicht gemacht werden. Lehrkräfte an Schulen mit einer hohen Zahl von Schülern aus Migrationsfamilien sollten für den Umgang mit Antisemitismus geschult werden.
Einer von der Süddeutschen Zeitung am 8. November vorgestellten Studie der Universität Leipzig zufolge stimmten 26 Prozent der in Westdeutschland Befragten voll oder teilweise der Aussage zu, Juden hätten „etwas Besonders und Eigentümliches an sich und passen nicht so recht zu uns“. Im Osten Deutschland waren 39,6 Prozent der Befragten dieser Meinung. 36 Prozent der Deutschen vertreten die Ansicht, dass Ausländer nur hierher kommen, um den Sozialstaat auszunutzen. Dieselbe Anzahl gab an, die Bundesrepublik werde durch Ausländer in gefährlichem Maß überfremdet. Die Urheber der Studie zeigten sich alarmiert, da die erwähnten Einstellungen in der Forschung als „Einstiegsdroge“ in den Rechtsextremismus gälten.
Davon unberührt schrieb die kroatisch-deutsche Schriftstellerin Jagoda Marinic in der Süddeutschen Zeitung vom 3./4. November über die Deutschen: „Sie sind ein Volk, dem man viel Gutes zutraut.“ Da müssen sich die 140 deutschen Kultureinrichtungen mit ihrer Warnung vor der Gefahr von rechts wohl geirrt haben.
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