Walser, Merz und Gauck und der Umgang mit Auschwitz
Constanze Weinberg
Buxtehude (Weltexpresso) – Welcher Teufel hat Martin Walser geritten, als er Golgatha, Verdun und Auschwitz 1968 in einem Atemzug nannte? Und weshalb hat er den unziemlichen Vergleich 50 Jahre danach aus der Schublade geholt und seinem Lesepublikum noch einmal präsentiert? Walser kann es einfach nicht lassen, zu provozieren. Auch vor 20 Jahren in seiner Paulskirchen-Rede hat er sich daran gehalten, als er von der „Instrumentalisierung unserer Schande“ sprach und von Auschwitz als „Moralkeule“, das sich dafür nicht eigne.
Den Rezensenten der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Christian Metz, der Walsers neues Buch mit dem Titel „Spätdienst“ in der Ausgabe vom 21. November besprochen hat, macht es fassungslos, dass der Erfolgsautor das „historische Notat“ ohne inhaltlichen Zusammenhang fünfzig Jahre später wiederholt. Er spricht von einer „dumpfen Geschichtsrevision“, ergänzt durch einen „altbekannten antisemitischen Topos“, als hätten die Juden den christlichen Gottessohn ermordet, was durch den massenhaften Mord an den Juden durch die Christen ausgeglichen worden sei. „Was für ein abscheuliches Phantasma einer vermeintlich historischen Gerechtigkeit.“
Walser relativiere und bagatellisiere Auschwitz, schreibt Metz in der FAZ, so wie er in der Frankfurter Paulskirche bei der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels „exakt jener Relativierung und Verharmlosung der Shoa das Wort redete, um sich dann darauf zurückzuziehen, dass es sich um ein Missverständnis gehandelt habe.“ Walser und sein Verlag wüssten um die Position des Schriftstellers im historischen Diskurs, fährt Metz fort.. Sie seien sich bewusst, welche Debatte er mit seiner damaligen Rede ausgelöst und für welche Positionen er als Legitimationsfigur gedient habe und weiterhin diene. Mit seinem neuen Buch konfrontiere Walser seine Leser provokativ „mit der Bagatellisierung von Auschwitz“.
In welcher politischen Nachbarschaft sich Martin Walser bewegt, offenbart Alexander Gaulands Bemerkung, gemessen an tausend Jahren deutscher Geschichte sei die NS-Zeit ein „Vogelschiss“. Der AfD-Vorsitzende hieb damit in die Kerbe seines Parteifreundes Björn Höcke, der in seiner Dresdner Rede vom 17. Januar 2017 ein Ende der – wie er sich ausdrückte – „dämlichen Bewältigungspolitik“ und „eine erinnerungspolitische Wende um 180 Grad“ verlangt hat.
Damit nicht genug. Derselbe Friedrich Merz, der sich jetzt als Nachfolger von Angela Merkel um den Parteivorsitz der CDU bewirbt und der die AfD laut Süddeutsche Zeitung vom 13. November für „offen nationalsozialistisch“ hält, befürwortete im März 2000 als Vorsitzender der Unionsfraktion im Deutschen Bundestag einen Schlussstrich unter die Vergangenheit. Die Nachrichtenagentur AP zitierte Merz am 31. März 2ooo mit den Worten, seine Generation wolle sich nicht mehr für Auschwitz und die deutsche Vergangenheit in Haftung nehmen lassen. Der Präsident des Zentralrats der Juden, Paul Spiegel empfand das als „Schlag ins Gesicht“ der Opfer und Überlebenden des Naziregime. Damit würden, so Spiegel, rechtsradikale Parolen und Fremdenfeindlichkeit salonfähig gemacht. Martin Walsers befindet sich mit seinen relativierenden Äußerungen über Auschwitz und die NS-Vergangenheit also in allerbester Gesellschaft, auch in der von Joachim Gauck.
Am 26. März 2006, sechs Jahre bevor der ehemalige Leiter der Stasi-Unterlagen-Behörde zum Präsidenten der Bundesrepublik Deutschland gewählt wurde, hielt er auf Einladung der Robert Bosch Gesellschaft in Stuttgart einen Vortrag zu dem Thema „Welche Erinnerungen braucht Europa?“. Darin bekannte sich Gauck als Anhänger des aus Polen stammenden Soziologen Zygmunt Bauman, dem er, wie Gauck sagte, eine „gewandelte Sicht auf den Holocaust“ verdanke. Ausführlich zitierte er Baumans Darstellung, Auschwitz, der sowjetische Gulag und der amerikanische Atombombenabwurf auf Hiroshima seien Phänomene einer antihumanen gottlosen Zivilisation gewesen und könnten sich wiederholen. „Folgen wir ihm“, rief Gauck den illustren Gästen emphatisch zu, nicht ohne im selben Atemzug das „Zulassen von Scham und Trauer“ zu verlangen. Dass Gauck die beiden Weltkriegsverbündeten USA und Sowjetunion auf eine Stufe mit Nazideutschland stellte, störte niemanden. Warum sollte sich angesichts dieser Stimmungslage ein Martin Walser, in seiner Selbstverliebtheit dem ehemaligen Pastor und Bundespräsidenten Gauck nicht unähnlich, beim Umgang mit Auschwitz Zurückhaltung auferlegen?