kpm Asoziale Netzwerke.72 dpi 1Blinder Aktionismus statt Problembewusstsein

Klaus Philipp Mertens

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Robert Habeck will seine Accounts bei Facebook und Twitter kündigen.

Diese waren offenbar das Einfallstor zu seinen privaten Daten, die trotz Kündigung bis zum Ende der Welt im Netz vagabundieren werden. Eigentlich hätte er damit rechnen müssen, er und alle anderen, deren Vertraulichkeiten den Internet-Voyeuren leichtsinnig preisgegeben wurden. Es bleibt abzuwarten, ob die Absichten des Ko-Vorsitzenden der Grünen länger halten als übliche Neujahrs-Vorsätze.

Katarina Barley hingegen, die Bundesjustizministerin, hat Habecks neuen Bewusstseinsstand noch längst nicht erreicht, wie ihre ersten Verlautbarungen belegen. Sie verlangt mehr Sicherheit in Internetforen wie Facebook & Co und übersieht dabei leichtfertig, dass der Zugriff auf Persönliches zum Kern des Geschäftsmodells gehört. Und was den Betreibern recht ist, ist den Hackern billig; denn beide schätzen dieselbe Währung: nämlich personenbezogene Daten.

Künftig könnte also noch eine weitere Gefahr hinzu kommen: Beispielsweise jene Cyber-Polizei, von der Barley und Seehofer schwadronieren. Diese wird sich Zugang zu den Posts verschaffen, sich aber mutmaßlich nicht auf die Unappetitlichkeiten der Eitlen und Verblödeten beschränken, sondern jenseits der asozialen Netze nach Informationen suchen, die eindeutig der zu schützenden selbstbestimmten Information im Sinn von Artikel 5, Absatz 1 des Grundgesetzes (Meinungs- und Pressefreiheit) dienen und nicht dem Klatsch.

Der janusköpfige Charakter des Internets (seriöse, vielfach kostenpflichtige Information einerseits, Klatsch und Pöbelei in Verbindung mit Datenzugriffen auf kommerziellen Plattformen andererseits) hätte im gesellschaftlichen Diskurs unter Beteiligung der Politik längst dazu führen müssen, dass die Gretchenfrage der Internet-Kommunikation gestellt wird, ähnlich wie nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs bei der Installierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks: Wie ist eine unabhängige und technisch gesicherte elektronische Kommunikation sämtlicher Bevölkerungsteile zu gewährleisten und wie muss diese finanziert werden?

Damals entschieden sich die West-Alliierten für das Modell der britischen, gebührenfinanzierten, BBC. Der Sender Hamburg, später in „Nordwestdeutscher Rundfunk“ umbenannt, war der Wegbereiter, dem bald weitere auf der Grundlage von Länderstaatsverträgen folgten. Erst Mitte der 1980er Jahre wurde ein privater Rundfunk ermöglicht, der sich durch Werbeeinnahmen finanziert.
ARD und ZDF sind jedoch längst zu Garanten eines im Prinzip unabhängigen, der Demokratie verpflichteten und öffentlich kontrollierten Senderverbunds geworden, selbst wenn es immer wieder Begehrlichkeiten von Parteien, gesellschaftlichen Gruppen und Verlegerverbänden gibt, die sich größere Einflussmöglichkeiten wünschen. Ohne diese Struktur hätte längst eine deregulierte Medien-Marktwirtschaft á la USA gedroht, die der Gefahr der Instrumentalisierung durch kommerzielle und politische Interessen ausgesetzt wäre.

Ein gebührenfinanziertes öffentlich-rechtliches Kommunikationsportal im Internet, das allen gesetzlichen Anforderungen gerecht würde, insbesondere den Rechten auf informelle Selbstbestimmung, Meinungsfreiheit und Datenschutz, wäre realisierbar und technisch sowie organisatorisch rasch umzusetzen – wenn man es denn wollte. Die aktuellen Äußerungen von Katharina Barley, Dorothee Bär oder Horst Seehofer deuten jedoch darauf hin, dass sich die Große Koalition dem Drängen der Wirtschaft auf Kommerzialisierung nahezu aller bürgerlichen Freiräume nicht entziehen will. Das könnte für das Internet bedeuten, dass es in weiten Teilen zu einem Schmuddelsektor aus Fakes und Fucks wird.

Digitalisierung beginnt beim Menschen und endet letztlich bei ihm – mit positiven oder negativen Folgen. Denn alles, was wir tun, tun wir für oder gegen uns. Die digitale Technik ist letztlich nur ein Instrument, entweder eines auf dem Weg in ein humanes Morgen und Übermorgen oder in die selbstverursachte Abhängigkeit.
Weltexpresso-Kollege Heinz Markert hat in seinem Beitrag „Naivität der Grünen im Hinblick auf Digitalisierung“ die Elemente dieser Technik einschließlich der Chancen und Gefahren für den Menschen detailliert und verständlich dargestellt.

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»Asoziale Netzwerke«
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Info:
Link zum erwähnten Beitrag von Heinz Markert:
(https://weltexpresso.de/index.php/wissen-bildung/14864-naivitaet-der-gruenen-im-hinblick-auf-digitalisierung)