Kurt Nelhiebel
Bremen (Weltexpresso) – Wer sich ein Bild über den politischen Rechtsruck in Deutschland machen will, darf den Blick nicht auf die AfD beschränken. Sie ist letztlich nur das Symptom einer Entwicklung, die ihren Ursprung in der unbewältigten Vergangenheit hat, zu der auch die Nachkriegsgeschichte gehört. Zu schnell wollten allzu Viele, dass die Nazizeit begraben und vergessen wird.
Aber nur, wenn nicht vergessen wird, wie das begann, was mit Auschwitz und Abermillionen Kriegstoten endete, kann verhindert werden, dass die Gespenster der Vergangenheit noch einmal Macht über uns bekommen. Das ging schon einmal ganz schnell. „Das deutsche Volk hat sich fast widerstandslos, ja zum Teil mit Begeisterung gleichschalten lassen“. Der Satz stammt nicht von mir. Er steht in einem Brief, den Konrad Adenauer 1946 an einen katholischen Geistlichen in Bonn schrieb. (Zitiert nach Pax Christi (Hrsg): 75 Jahre katholische Friedensbewegung in Deutschland, Idstein 1995, S.59).
Nach seiner Wahl zum Bundeskanzler versprach Adenauer den Juden in Deutschland: „Wir werden jeden Antisemitismus nicht nur bekämpfen, weil er uns innenpolitisch und außenpolitisch unerwünscht ist, sondern weil wir ihn aus Gründen der Menschlichkeit mit aller Entschiedenheit ablehnen. (Allgemeine Wochenzeitung der Juden in Deutschland 25. November 1949).
Drei Jahre später sagte derselbe Konrad Adenauer: „Wir sollten jetzt mit der Naziriecherei Schluss machen.“ Für einen jungen CDU-Abgeordneten namens Helmut Kohl, der später als Bundeskanzler von sich reden machte, war es 1962 noch zu früh für ein abschließendes Urteil über den Nationalsozialismus. Ist der richtige Zeitpunkt vielleicht verpasst worden? 70 Jahre nach Gründung der Bundesrepublik müssen jüdische Einrichtungen in unserem Land unter Polizeischutz gestellt werden, müssen Kinder an einer jüdischen Schule in Berlin unter Polizeischutz lernen, werden Menschen, die sich durch ihre Kopfbedeckung als Juden zu erkennen geben, auf der Straße angepöbelt, von allem Anderen ganz zu schweigen. Was für eine Schande.
Den Rechtstrend gibt es nicht erst, seit es die Alternative für Deutschland gibt. Hass und Verleumdung gibt es schon lange, und sie richteten sich nicht bloß gegen Menschen mit anderer Hautfarbe oder anderen Glaubens, sondern gegen Menschen aus der Mitte der eigenen Gesellschaft. Über die Politik des sozialdemokratischen Bundeskanzlers Helmut Schmidt hieß es in dem vom CSU-Vorsitzenden Franz Josef Strauß herausgegebenen „Bayern-Kurier“ vom 6.September 1975:
„Unser Staat befindet sich in einer tiefen und schweren Krise. Dilettanten, Scharlatane, Spruchbeutel und Gernegroße, denen nichts fremder ist, als das Wort Redlichkeit, machen sich endgültig daran, das Erbe des Fleißes und des Einfallsreichtums, der Tapferkeit, der Geduld und des Freiheitswillens der Deutschen aufs Spiel zu setzen. Sie nennen sich Sozialisten, diese Leute.“ CSU-Generalsekretär Gerold Tandler unterstellte dem von den Nazis in die Emigration getriebenen Willy Brandt Feigheit und nationale Unzuverlässigkeit. Während Strauß mit Zehntausenden an der Front gestanden habe, so Tandler, habe Brandt diese Zeit in Norwegen verbracht. (Frankfurter Rundschau , 14.4.1975). Die Fernsehserie Holocaust bezeichnete der CDU-Vorsitzende Strauß als „Geschichtsverfälschung“. So lange nicht auch andere grausame Kapitel der Zeitgeschichte gezeigt würden, könne man einer solchen Serie nicht die angeblich gewünschte Bedeutung zuordnen. (Bayern-Kurier 3.2. 1979).
Die Schuld Nazideutschlands am Zweiten Weltkrieg relativierte Strauß mit den Worten: „Wir sollten die systematische Diffamierung des deutschen Volkes mit aller Entschiedenheit bekämpfen.“ Hitlers Einmarsch in Polen sei schließlich nicht denkbar geworden ohne die Haltung Großbritanniens, das Hitler in seinem Wahn bestärkt habe. (Frankfurter Allgemeine, 8.2.1965).
Der Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, Alfred Dregger, ging noch einen Schritt weiter. Er hielt den Angriff auf die Sowjetunion für prinzipiell gerechtfertigt. Falsch sei nur gewesen, dass er nicht als Beifreiungskrieg geführt sei, sondern als Eroberungskrieg. (Alfred Dregger, Der Preis der Freiheit, München 1985, S.11). Im selben Jahr rief Dregger die Deutschen auf, „aus dem Schatten Hitler herauszutreten“ und „normal zu werden. Was heißt in diesem Fall normal? Einfach alles unter den Teppich zu kehren, wie das Björn Höcke von der AfD macht, der ein Ende der „dämlichen Bewältigungspolitik“ und eine„erinnerungspolitische Wende um 180 Grad“ verlangt hat?
Höckes Schwamm-drüber-Mentalität hatte seit jeher Anhänger in der politischen Mitte. Friedrich Merz zum Beispiel sagte 2000 als Vorsitzender der Unionsfraktion im Bundestag: „Unsere Generation will sich nicht mehr derart in Haftung für unsere Vergangenheit nehmen lassen“. Das war während einer Debatte über das Asylrecht, bei der man sich von den Erfahrungen des Nationalsozialismus lösen müsse. Paul Spiegel vom Zentralrat der Juden empfand diese Äußerung als „Schlag ins Gesicht der Opfer und der Überlebenden des Naziregimes“, ( Süddeutsche Zeitung 23.11.2018).
Erstaunlich, dass Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble Friedrich Merz Jahre später ungeachtet dessen als Bewerber um die Nachfolge von Angela Merkel ins Spiel brachte und erklärte, es wäre „das Beste für unser Land“, wenn er an der Spitze der CDU stünde. Die Schlussstrich-Äußerung von Friedrich Merz unterscheidet sich nämlich in keiner Weise von dem Satz des AfD-Vorsitzenden Alexander Gauland, Hitler und die Nazis seien nur ein Vogelschiss in über 1.000 Jahren erfolgreicher deutscher Geschichte. Annegret Kramp-Karrenbauer, damals noch CDU-Generalsekretärin, machte Gaulands Äußerung nach eigenem Bekunden, „fassungslos“. Und wenn sich einer aus den eigenen Reihen von der Verantwortung für die Vergangenheit lossagt – macht sie das nicht fassungslos? Wo bleibt denn da Angela Merkels Bekenntnis zur „immerwährenden Verantwortung Deutschlands“, an die Verbrechen der Nazis zu erinnern, das sie in der israelischen Gedenkstätte Yad Vashem abgelegt hat?
Nein, die Entwicklung nach rechts lässt sich nicht allein an der AfD festmachen. Sie ist Ausdruck einer Renaissance rechtskonservativen Denkens, das mit der Demokratie seit jeher auf dem Kriegsfuß stand und dessen Grenzen zum Rechtsradikalismus immer fließend gewesen sind. Es war ein Fehler, dass die demokratischen Parteien den Schutz der Verfassung nicht selbst übernommen haben. Im neu eingerichteten Bundesamt für Verfassungsschutz und in den Landesämtern gaben sich ehemalige Angehörige der SS und der Geheimen Staatspolizei der Nazis ein Stelldichein. Deren Hauptaugenmerk richtete sich entsprechend ihrer Ausbildung gegen links. Als der erste Skandal aufflog – der Verfassungsschutz hatte Bundestagsabgeordnete rechtswidrig abgehört - verteidigte sich Bundesinnenminister Hermann Höcherl von der CSU mit der Sottise, seine Leute könnten nicht ständig mit dem Grundgesetz unter dem Arm herumlaufen.
Als der Minister den ersten Bericht des Verfassungsschutzberichts über extremistische Bestrebungen vorstellte, fasste die Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 17. April 1962 das Ergebnis unter der Überschrift zusammen: „Der Rechtsradikalismus in der Bundesrepublik Deutschland vereinsamt“. Nach Ansicht der Verfassungsschutzämter, so das Blatt, werde die Stärke des Rechtsradikalismus häufig falsch eingeschätzt. Das beruhe vor allem auf missverständlichen Zahlenangaben. Nicht selten seien solchen Zahlen als Hetze der Kommunisten erkannt worden. Diese Verharmlosung blieb nicht ohne Folgen. Zehn Jahre lang konnte der „Nationalsozialistische Untergrund“ unbehelligt von Polizei und Verfassungsschutz quer durch Deutschland ziehen und einen Mord nach dem anderen begehen. Die Täter wurden nicht im rechtsextremistischen Milieu gesucht, sondern in den Familien der Opfer. Im NSU-Prozess blieb der Skandal unaufgeklärt.
Den Aufstieg der AfD hat der Verfassungsschutz auch nicht verhindert. Im Gegenteil sein Präsident Hans-Georg Maaßen hat die rechtspopulistische Partei heimlich beraten, wie sie sich am besten der Beobachtung entzieht. Andererseits schwadronierte er von „linksradikalen Kräften in der SPD“, die den Bruch der Großen Koalition in Berlin provozieren wollten. Ein verirrter Einzelgänger? Als der Bundestagsabgeordnete Martin Hohmann wegen einer antisemitischen Rede aus der Unionsfraktion ausgeschlossen werden sollte, hielten ihm 20 Prozent der Fraktionsmitglieder die Stange. Das entspricht genau jenem Prozentsatz Unbelehrbarer, die sich immer wieder bei Umfragen zu deutsch-völkischen, antisemitischen und rechtsextremistischen Anschauungen bekennen.
Dass sich die CDU der AfD in ihrer „gegenwärtigen Verfassung“ zuwendet, hat Friedrich Merz „absolut und vollkommen“ ausgeschlossen. (Süddeutsche Zeitung, 13. November 2018). Der Satz hat es in sich. Da hat sich nämlich jemand ein Hintertürchen offen gehalten. So lange die Demokraten im Kampf gegen Rechts zusammenstehen und die klare Absage der CDU und der CSU an die Rechtspopulisten bestehen bleibt, können die Bäume der AfD nicht in den Himmel wachsen
Der Machtkampf in der CDU ist mit der Wahl von Annegret Kramp-Karrenbauer zur Parteivorsitzenden nicht beendet worden. Er kann schon Ende Mai nach der Europawahl und der Bürgerschaftswahl in Bremen wieder offen ausbrechen, spätestens aber nach den Landtagswahlen in Sachsen, Brandenburg und Thüringen. Ob die Große Koalition in Berlin dann noch hält oder ob Neuwahlen ins Haus stehen, wird von den Sozialdemokraten abhängen. Dann wird auch Friedrich Merz wieder aus der Deckung kommen und die Karten werden neu gemischt.
Fotos:
Karikaturen des Verfassers
© K.N.
Info:
Der Text basiert von einem Vortrag des Verfassers vom 29. Januar 2019 in Bremen
Der Text basiert von einem Vortrag des Verfassers vom 29. Januar 2019 in Bremen