Kurt Nelhiebel
Bremen (Weltexpresso) - Die Würde des Menschen ist antastbar - obwohl im Grundgesetz das Gegenteil steht. Dort heißt es, und man kann es nicht oft genug zitieren. „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ Die Verletzung der Würde eines Menschen ist die Verletzung eines Menschen in seiner tiefsten Seele, eine Demütigung, die ein Leben lang schmerzt.
Tausende mussten diese Demütigung ertragen, als ihnen der demokratische Rechtsstaat wegnahm, was ihnen nach der Verfolgung durch die Nazis zustand – die Entschädigung für erlittenes Unrecht. Es war eine Demütigung in doppelter Hinsicht, hatte ihnen derselbe Rechtsstaat doch bescheinigt, „dass der aus Überzeugung oder um des Glaubens oder des Gewissens willen gegen die nationalsozialistische Gewaltherrschaft geleistete Widerstand ein Verdienst um das Wohl des deutschen Volkes und Staates war“. So steht es in der Präambel zum Bundesentschädigungsgesetz (BEG) vom 18. Sepember 1953.
Genommen wurde ihnen die Entschädigung aus politischen Gründen und damit im Widerspruch zum Grundgesetz, dessen Artikel 3 bestimmt, dass niemand wegen seiner politischen Anschauungen benachteiligt werden darf. Darüber setzten sich die Verfasser des Bundesentschädigungsgesetzes hinweg. Sie entschieden in Paragraph 6, dass von der Entschädigung ausgeschlossen ist, „wer nach dem 23. 5. 1949 die freiheitlich demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes bekämpft hat.“ Am 23. Mai 1949 trat das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland in Kraft.
Die Bestimmung richtete sich hauptsächlich gegen Kommunisten, die ihre Weltanschauung, deretwegen sie von den Nazis verfolgt worden sind, nicht aufgeben wollten und sich weiterhin politisch betätigten. Einer von ihnen war der erste Nachkriegsoberbürgermeister von Essen, Heinz Renner. Auf seinen Fall, der ein Stück Nachkriegsgeschichte verkörpert, bin ich jetzt in meinem Archiv gestoßen. Dort fand ich einen Zeitungsartikel vom September 1959 wonach Heinz Renner, ohne jemals rechtskräftig verurteilt worden zu sein, Entschädigungsleistungen in Höhe von 27.383,60 DM zurückzahlen musste und von weiteren Leistungen ausgeschlossen wurde. Bezogen hatte er diese Leistungen völlig zu Recht.
Als die Nazis in Deutschland die Macht übernahmen, musste sich der Vollblutpolitiker in Sicherheit bringen. Er emigrierte nach Frankreich und arbeitete dort als Generalsekretär der Fédération Immigrés d‘Allemagne en France, einer überparteilichen Hilfsorganisation, die sich um politische Flüchtlinge kümmerte. Er wurde in der Folgzeit an die deutsche Gestapo ausgeliefert und durch zahlreiche Gefängnisse geschleust. Auf dem Weg ins KZ Dachau erkrankte er und wurde von französischen Soldaten befreit.
Die Alliierten beriefen Heinz Renner 1946 für kurze Zeit zum Oberbürgermeister von Essen. Abgelöst wurde er bei der ersten Kommunalwahl nach dem Krieg von Gustav Heinemann, damals CDU. Anschließend war Renner Mitglied des nordrhein-westfälischen Landtages, Sozial- und Verkehrsminister in der Landesregierung unter Ministerpräsident Karl Arnold (CDU) und danach Mitglied des ersten Deutschen Bundestages, wo er mit mehr als 400 Redebeiträgen zu den häufigsten Debattenrednern der ersten Legislaturperiode gehörte. Über seine weitere politische Tätigkeit heißt es im Bescheid der Landesrentenbehörde von Nordrhein-Westfalen vom 31. Januar 1959 über die Aberkennung seiner Entschädigungsrente:
„Nach den getroffenen Feststellungen sind Sie in der Zeit nach dem 23. 5. 1949 als einer der maßgeblichsten Wortführer der durch Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom 17. 8. 1956 für verfassungswidrig erklärten und daher verbotenen KPD publizistisch und in einer Fülle von öffentlichen und parteiinternen Veranstaltungen in Erscheinung getreten.. Ihre Funktionärstätigkeit innerhalb der KPD gab verschiedentlich Anlass zur Einleitung strafrechtlicher Ermittlungsverfahren. Obwohl eine rechtskräftige Verurteilung bisher nicht erfolgt ist, kann es nach dem gegebenen Sachverhalt keinem Zweifel unterliegen, dass Sie als führender Funktionäre der KPD die auf die Beseitigung der freiheitlich demokratischen Grundordnung gerichteten Bestrebungen dieser Partei maßgeblich gefördert haben. Der festgestellte Betrag von 27 383,60 DM ist umgehend der Regierungshauptkasse in Düsseldorf unter Angabe des Aktenzeichens zurückzuzahlen.“
Damit war Heinz Renner mittellos, und es nutzte ihm wenig, dass alle, die ihn kannten, nur Gutes über ihn zu sagen wussten, so etwa der Essener Ratsherr Heinrich Strunk, der bei der Verabschiedung Renners aus dem Amt des ersten Nachkriegsoberbürgermeisters am 30. Oktober 1946 sagte: „Im Einvernehmen mit allen Fraktionen unserer Stadtvertretung habe ich Ihnen in dieser Stunde einige Worte des Dankes und der Anerkennung zu sagen. Die Zeit Ihrer Amtsführung war kurz, aber inhaltsvoll und wird von nachhaltiger Wirksamkeit sein. Neben den großen Tagesnöten der Ernährung und des Wohnens war Ihr Interesse ganz besonders der demokratischen Neuordnung unserer Stadtvertretung gewidmet. Essen ist unter Ihrer Führung beispielgebend mit seiner neuen Stadtverfassung.“ Als Renner aus dem Amt des Verkehrsministers von Nordhrein-Westfalen ausschied, schrieb ihm Ministerpräsident Karl Arnold am 7. Februar 1948: „Diese gegen meinen Willen getroffene Entscheidung beeinflusst in keiner Weise die Wertschätzung, die ich Ihrer Person gegenüber empfinde.“
Ein Jahr nachdem ihm 1959 die Entschädigungsrente aberkannt worden war, übersiedelte Heinz Renner in die DDR, wo er am 11.Januar 1964 im Alter von 72 Jahren in einem Krankenhaus verstarb. Die Urne mit seiner Asche wurde auf dem Essener Südwestfriedhof bestattet. An der Trauerfeier nahmen 4000 Menschen teil, und eine Bergmannskapelle spielte Chopins Trauermarsch. Vertreter der Stadt Essen waren nicht unter den Trauergästen. Später wurde die Ruhestätte in ein Ehrengrab umgewidmet. Damit werden Verstorbene geehrt, die sich zu Lebzeiten besondere Verdienste erworben haben. Die Vergabe und die Erhaltung derartiger Gräber erfolgt durch die öffentliche Hand. Im Essener Westviertel erinnert ein nach Heinz Renner benannter Platz an den ehemaligen Oberbürgermeister der Stadt, dem man zwar seine Rente als Verfolgter des Naziregimes nehmen konnte, nicht aber seine Ehre und seine Menschenwürde.
Foto:
Heinz Renner
© dielinke-essen.de
Info:
Zum Foto die Inschrift: Heinz Renner – Ein würdiger Namensgeber für DIE LINKE
Heinz Renner wurde 1892 in Lückenburg geboren und 1914 an die Westfront einberufen. Als Unterfeldwebel wurde er an der Front zwei Mal verwundet und kam, dekoriert mit dem EK I und II, 1917 in seiner zukünftigen Heimatstadt Essen ins Lazarett.
Heinz Renner
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Zum Foto die Inschrift: Heinz Renner – Ein würdiger Namensgeber für DIE LINKE
Heinz Renner wurde 1892 in Lückenburg geboren und 1914 an die Westfront einberufen. Als Unterfeldwebel wurde er an der Front zwei Mal verwundet und kam, dekoriert mit dem EK I und II, 1917 in seiner zukünftigen Heimatstadt Essen ins Lazarett.