Heinz Markert
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Die neuen Schülerdemonstrationen 2018/19 und der Europa-Wahlausgang indizieren im selben Zeitraum eine Zeitenwende - die Tage des alten politischen Systems gehen zu Ende.
Die Richter vom Bundesfinanzhof meinen zwar, dass Politik nur die Sache einer von sich selbst restlos überzeugten politischen Klasse wäre und attac, zivilgesellschaftliche Organisationen, NGOs und Pionierinnen und Pioniere der Gesellschaft nicht die gemeinnützig beleumundete Legitimation hätten, sich politisch einzumischen (das ‚Institut für Unternehmerische Freiheit und die gemeinnützige Stiftung Deutscher Familienunternehmen‘, das eine Vermögens- und Erbschaftssteuer kompromisslos ablehnt, aber schon!). Was wäre nun, wenn die Politik gar nicht leisten könnte oder wollte, was dringend ist, um für das Überleben der Artenvielfalt und der Menschheit zu sorgen?
Die alte Politik muss sich darauf einstellen, dass sie abgelöst wird, weil sie nicht nur unwillig, sondern auch wirklich inkompetent ist, nachdem sie sich in die Sackgasse manövriert hat; das ist das Fazit, zu dem auch Rezo auf seinem Youtube-Kanal gelangt:
'I think I have homosapiens'
https://www.youtube.com/watch?v=4Y1lZQsyuSQ
Ihm waren mit dem 28.05.2019 12 Millionen 697 Tausend Aufrufe beschieden, eine Million pro Tag. Eine Lisa Rahlwes konstatiert in WAD (Ausgabe 106), der Stadtteilzeitung der Dornbuschgemeinde Frankfurt, den „Beginn eines Generationenkonflikts“. Jedoch, das was jetzt ins Laufen gekommen ist, haben wir 68er schon immer wieder herbeigesehnt. Denn bereits 1964 hatten wir am Albert-Schweitzer-Gymnasium einen Streik gegen die Hitze - wenngleich diese noch von harmloserer Art war. Damals wurde erstmalig der zivilgesellschaftliche Streik geprobt.
Fridays for Future halten den Druck auf die Politik aufrecht
Groß war die Demonstration von Fridays for Future am Samstag, dem 24.05.2019, mit 6000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern, in die sich auch Eltern, Großeltern und Wissenschaft einreihten. Ein älterer Herr wurde gesehen, wie er auf dem Rücken die Aufschrift trug: Rentner, ohne Kinder, für Fridays for Future. Das war für ihn die Genugtuung in Anbetracht der Vernachlässigung der großen Aufgaben durch die Politik.
Hätte die Politik der SPD und der CDU nicht einen Niedriglohnsektor mir atypischen Beschäftigungen geschaffen und nicht den Kurs des passiven Schleifenlassens hinsichtlich steil ansteigender Verbräuche von Ressourcen gefahren, wäre es nicht notwendigerweise zu dem historischen Moment gekommen, an dem wir jetzt angelangt sind. Denn es ist Gefahr im Verzug.
Nun ist unweigerlich Systemveränderung angesagt, das hat die Schülerinnen- und Schülergeneration begriffen, „denn es kann" - laut den Protestierenden und auch nach erklärter Überzeugung von Greta Thunberg – "keinen wirksamen Klimaschutz im Kapitalismus geben“ (Lisa Rahlwes).
Nach der Demonstration trafen sich FFF noch an der Weseler Werft, wo Relaxen und Zuhören (den Reden und Appellen zum mutigen Handeln und anschließender musikalischer Darbietung, insbesondere der Gruppe Ok-Kid) angesagt war.
Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber machte den Anfang, wollte es aber, nach Ansicht der aufs Pflaster Niedergelassenen, doch zu sehr bei einer Botschaft belassen: Angela Merkel stehe auf unserer Seite. Das erschien den Anwesenden als zu einfach dahergesagt. Die Bezüge und Rücksichten, mit denen sie es zu tun hat, waren ihm in diesem Sinn aber schon klar. Sein abschließender Rat war: nicht im Klein-Klein verlieren, weiter Druck ausüben und andere, die für das Anliegen im Wort stehen, machen lassen. Ob das reicht?
Der Nabu (Naturschutzbund Deutschland), wie auch andere mit Stand und Präsentation am Mainufer vertreten, sprach den neuen, ungeheuerlichen Angriff ökonomischer Interessen auf den brasilianischen Urwald an, die Palmölplantagen, die an dessen Stelle treten, auch den Flächenverbrauch, etwa für Logistikzentren, wie bei Wölfersheim in der Wetterau und in Hebenshausen (Nordhessen). Von der Artenvielfalt hingen immerhin auch kommende Medikamente ab. Hochwertiger Boden ist unwiederbringlich. Ganze Ökosysteme sind unmittelbar in Gefahr zu kollabieren - oder tun es bereits, wie das Great Barrier Reef -, ebenso wie ganze Meere, Mangrovenwälder, tropische Wälder der Ebenen und tropische Bergwälder, die Gorillas beherbergen, hochgradig gefährdet sind (‚Gorillas im Nebel‘). Dian Fossey wurde wahrscheinlich von Wilderern getötet.
Ausdrücklich betont wurde: Fridays for Future demonstriere für Fakten, habe sich keine Fake-News erdacht, zigtausende Wissenschaftler stimmen mit den Schülerinnen und Schülern überein. Was etablierte Systeme nicht leisten: FFF nehme entsprechend der schulischen Aufgaben nur seine staatsbürgerliche Pflicht wahr; es gehe um den Schutz vor der Katastrophe, wenn mehrere Kipppunkte des Naturhaushalts fallen. Dann gebe es kein Zurück. Die Politik weigert sich aber stur, mit der mahnenden Jugend auf Augenhöhe zu sprechen.
Am kommenden Sonntag sei Klima-Wahl: Der Leitspruch zwei Tage vorher lautete: Kein Europa ohne uns!
Die Bewegung für die Rettung der Erde wächst: früher gingen 80 gegen die Braunkohlebagger in Abbaugebieten an, heute sind es mehrere tausend. ‚Damals‘, vor ein paar Jahren, kamen 50 000 zum ‚Hambi‘, dem Hambacher Forst, jetzt können es leicht 100 000 sein. Ein skandierter Sprechchor von Fridays for Future lautet an jeglichem Freitag: ‚Es gibt kein Recht auf Kohlebaggerfahren!‘
Den Abschluss des Zugs bildete das gemeinsame Hinlegen vor die Zäune, Mauern und Panzersperren der EZB. Diese schöpfe Geld ‚aus dem Nichts‘, leiste Hilfe bei den Invests der Dax-Konzerne, helfe damit das Klima zu zerstören; stellt billig Kredit bereit, gibt dem Börsenfieber und den Finanzkonstruktionen mit günstigem Geld von der Zentralbank Futter - der Autokauf geht nicht so günstig vonstatten. Für die Energie, die das Klima killt, ist Geld spottbillig, auch von der Deutschen Bank, zu haben. Warum wird nicht günstiges Geld in die Hand genommen, um den sozial-ökologischen Fortschritt, Umweltprogramme und Nahverkehrsprojekte zu finanzieren? Welche für Mensch und Natur heilsame Funktion haben eigentlich Banken zu erfüllen, die Kreditgeld aus dem Nichts generieren? Dagegen treten Anwälte an, die von Banken fordern, nachzuweisen, was sie tatsächlich an Arbeit leisten. Eingesetztes Geld ist dazu da, um gesellschaftliche Chancen wahrzunehmen, nicht für die Führungsriegen in den Bankentürmen.
Fridays for Future wächst, es gibt schon 500 Ortsgruppen. Erfrischend erklang die Gruppe Ok-Kid. Besonders im Sinn geblieben ist ihr Lied über einen Menschen, der am folgenden Tag noch gefühlt da war.
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© Heinz Markert