Jacques Ungar
Tel Aviv (Weltexpresso) - In Einem waren sich in Israel die meisten Journalisten, Analytiker und Politiker einig, die am späten Mittwochabend den Schwanengesang der 21. Knesset miterlebten und teilweise mit formten: Israel, die «einzige Demokratie des Nahen Ostens», wie das Land sich gerne selber zu nennen pflegt, hat wahrscheinlich mehr erlebt an politisch-parlamentarischen Skandalen, Tiefgängen und Überraschungen als die anderen Staaten der Region zusammengenommen.
Was sich aber am Mittwoch in Jerusalem abgespielt hatte, war sogar für die in diesen Dingen erfahrenen Israeli eine traurige Première: Nur einen Monat nachdem die 21. Knesset vereidigt worden war, versetzte sie sich am Mittwoch selbst den Todesstoss. Sie löste sich in dritter Lesung mit 74:45 Stimmen eigenhändig parlamentarisch auf und setzte den 17. September als Datum für Neuwahlen für die 22. Knesset fest.
Abgesehen von den beachtlichen Kosten von 475 Millionen Schekel (rund 130 Millionen Franken), die diese Übung die Staatskasse kosten wird, hat der Vorgang das politische Gefüge Israels bis in sein Innerstes empfindlich erschüttert. Es dürfte lange dauern, bis die Israeli sich von diesem Schock und seinen Hintergründen auch nur einigermaßen erholen werden. Rein äußerlich war das Unvermögen des bisherigen Premierministers und Likud-Chefs Binyamin Netanyahu, in der gesetzlich vorgeschriebenen Maximalfrist eine neue Koalitionsregierung auf die Beine zu stellen, verantwortlich für das Fiasko vom Mittwoch.
Mitentscheidend war aber auch die offensichtlich nicht mehr zu überbrückende Kluft, die sich zwischen Netanyahu und seinem Ex-Verteidigungsminister Avigdor Liberman von der Partei «Israel Beiteinu» (Israel ist unser Heim) aufgetan hatte. Vordergründig weigerte Liberman sich, den Wandel Israels zu einem «Staat der Halacha», des Religionsgesetzes also mitzumachen. Darauf wäre seiner Meinung nach der Charakter einer Koalitionsregierung hinausgelaufen, die unter Mitwirkung der Charedim (ultra-Orthodoxen) gebildet worden wäre. Liberman weigerte sich kompromisslos, einer abgeschwächten Version des Rekrutierungsgesetzes für strikt religiöse Wehrdienstpflichtige zuzustimmen. Das dürfte aber nur eine Ausrede für die wirklichen Gründe sein, vor allem für den offensichtlichen Unwillen Libermans, weiter als loyaler Edelknappe im zweiten Glied Netanyahu die fünfte Kadenz als Regierungschef zu sichern.
Netanyahu selber, der nach der Auflösung des Parlaments in wahrscheinlich nur gespieltem Entsetzen von einer «unglaublichen» Situation sprach, steht im dringenden Verdacht, bei seinen Entscheidungen, die letztlich am Mittwoch zum grossen Fiasko führten, nicht in erster Linie an das Wohl des Staates und dessen Bürger gedacht zu haben. Vielmehr ging es ihm, so vermuteten die sich um die Mikrofone und Kameras scharenden wirklichen und vermeintlichen Experten in erster Linie um sein eigenes politisches Überleben. Auf Netanyahu warten nämlich Anhörungen vor der wahrscheinlichen Anklageerhebung in diversen Fällen von Bestechungen, Betrug und Vertrauensmissbrauch.
Die jetzige Sachlage nach der Auflösung der Knesset gestattet Netanyahu, weiterhin mit fast schrankenloser Machtpolitik und ebensolchen Intrigen dafür zu sorgen, dass er fürs Erste trotz seiner Probleme mit der Justiz die Hebel der Macht zu seinem eigenen Vorteil in der Parteipolitik, aber auch auf nationaler Ebene einsetzen und ausnutzen kann. So wahrscheinlich Schuldsprüche gegen Netanyahu letzten Endes sein dürften, so sehr sind die meisten der Beobachter sich darin einig, dass noch Jahre vergehen könnten, bis der heutige und vielleicht auch morgige Premierminister endgültig von der Bildfläche verschwinden wird. Den innenpolitischen Schaden, den der Jüdische Staat bis dahin davontragen dürfte, kann der aussenstehende Beobachter sich nur schwer vorstellen.
Foto:
Die 21. Knesset hat sich selber aufgelöst
© tachles
Info:
Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 30. Mai 2019
Netanyahu selber, der nach der Auflösung des Parlaments in wahrscheinlich nur gespieltem Entsetzen von einer «unglaublichen» Situation sprach, steht im dringenden Verdacht, bei seinen Entscheidungen, die letztlich am Mittwoch zum grossen Fiasko führten, nicht in erster Linie an das Wohl des Staates und dessen Bürger gedacht zu haben. Vielmehr ging es ihm, so vermuteten die sich um die Mikrofone und Kameras scharenden wirklichen und vermeintlichen Experten in erster Linie um sein eigenes politisches Überleben. Auf Netanyahu warten nämlich Anhörungen vor der wahrscheinlichen Anklageerhebung in diversen Fällen von Bestechungen, Betrug und Vertrauensmissbrauch.
Die jetzige Sachlage nach der Auflösung der Knesset gestattet Netanyahu, weiterhin mit fast schrankenloser Machtpolitik und ebensolchen Intrigen dafür zu sorgen, dass er fürs Erste trotz seiner Probleme mit der Justiz die Hebel der Macht zu seinem eigenen Vorteil in der Parteipolitik, aber auch auf nationaler Ebene einsetzen und ausnutzen kann. So wahrscheinlich Schuldsprüche gegen Netanyahu letzten Endes sein dürften, so sehr sind die meisten der Beobachter sich darin einig, dass noch Jahre vergehen könnten, bis der heutige und vielleicht auch morgige Premierminister endgültig von der Bildfläche verschwinden wird. Den innenpolitischen Schaden, den der Jüdische Staat bis dahin davontragen dürfte, kann der aussenstehende Beobachter sich nur schwer vorstellen.
Foto:
Die 21. Knesset hat sich selber aufgelöst
© tachles
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Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 30. Mai 2019