Heinz Markert
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Im Einklang mit dem qua iure figurierten Leitbegriff „Climate Justice Now“ ist auch der Hambacher Forst zum propagierten Sinnbild der Rettung vereinzelt noch vorkommender, sehr alter Biotope geworden, von deren Erhalt vielfach verborgene Naturschätze und das Überleben der Menschheit abhängt.
Eines dieser Biotope findet sich auch in Frankfurt am Main, mit der hochgradig gefährdeten Grünen Lunge am Günthersburgpark. Fridays for Future Frankfurt hat mit dem 29. März 2019 reklamiert, künftig strikt für dieses Biotop die Patenschaft einzunehmen. Der von der urbanen Geldblase getriebene Investor Instone will in diese unabdingbare Frischluftschneise der Stadt Frankfurt Wohnungen für eine anspruchsvolle Klientel klotzen.
Der Leitbegriff entstammt einem transnationalen Netzwerk von über 400 NGOs.
Von der Vernetzung der Biotope
Auf alte Eichen haben die Kühnsten Baumhäuser gepflanzt, die zu Burgen gerieten, an die die amtlichen Einsatzkräfte nicht leicht herankommen, die sie nur sehr schwer einnehmen können, wenn zunächst geräumt und dann gefällt werden soll. Es sind Widerstandsnester. Der Hambacher Forst wird waldwissenschaftlich als Hainbuchen- und Maiglöckchenwald geführt, sein Alter reicht in die Jahrtausende zurück.
Wir haben nur noch 9 Jahre
Der imposante Film lief nicht mal eine Woche lang. Der Gastronomie-Betrieb ist vorherrschend, was man merkt, wenn die Kinokarte gekauft wird. Im Kino hat die spaßige Unterhaltungsware Vorrang; wie will sich ein Kino auch sonst noch halten, wo es überall nur noch um Kohle geht? Der Film liefert große, epische Szenen vom Kampf der Besetzer gegen die geballte Macht rückwärtsgewandter wirtschaftlicher Interessen. Der Kampf wird in Nahaufnahme gezeigt, sobald es ernst wird. Er ist ein Protokoll des Widerstands auch vorausgegangener Jahre. Die aufeinanderfolgenden fortschreitenden Stadien des Abrisses des wohl einzigen jemals abgebrochenen Doms - von Immerath - haben filmisch große Klasse, zumal, wenn der Status quo ante des kürzlich noch intakten Dorfes noch im Bewusstsein des Zuschauers geblieben ist.
Einzelne der vom Kahlschlag Betroffenen können sich gar nicht von dieser ihrer Heimat trennen, harren bis zuletzt aus, wie Antje Grothus, Anwohnerin aus Buir oder Lars Zimmer, „ein Familienvater, der in einem Geisterdorf ausharrt, um Sand im Getriebe der Umsiedlung zu sein“, wie die Vorankündigung besagt. Er gilt selbstverständlich als Bekloppter. Eine unentwegte Natur ist auch Clumsy, der junge Waldbesetzer, der unverzagt im Baumhaus lebt, um die Rodung des Waldes auf jeden Fall zu vereiteln. Die Besetzer vermögen ohne Nachschub zwei Wochen auszuharren. Sie werden von Bauern und vom Bäcker und aus Privatinitiativen versorgt.
‚Sie werden nie verstehen‘
Der Kahlschlag ist umso widersinniger als das Auslaufen des Braunkohleschürfens ohnehin beschlossen ist, wenngleich, nach momentanem Stand noch lange, bis 2038, sich - nicht unwahrscheinlich - hinziehend. Aber die angezählte Industrie will – entgegen der globalen Notwendigkeit - bedingungslos immer wieder nochmal Pflöcke einschlagen, um möglichst viel an Subventionen und Kompensationen für das Modell der Vergangenheit herauszuschinden. Der bürgerliche Wahn des Arbeitsmythos mit rücksichtsloser Naturbeherrschung und unkritischem Fortschrittsglauben: hier muss unbedingt – weiter im Takt – was geschehen, will dem schwindenden Betätigungsfeld noch beharrlich seine Handschrift aufzwingen. Es ist wie eine Kolonisation bei Fortbestand des alten Kolonialreichs.
Aus dem Zusammenprall zweier Weltentwürfe zieht der Film durchweg Reiz und Anspannung. Es sind Szenen wie im Jungentraum des Kampfs zwischen Gut und Böse an Sonntagnachmittagen, in Stadt und Dorf – immer noch legitim! Es kann mitgefiebert und Position eingenommen werden. Es geht um den kolossalen gesellschaftlichen Konflikt, ganz im brechtschen Sinn, worum auch sonst?
Es war die erste Rodung - die nicht stattgefunden hatte
Das Verwaltungsgericht Münster hat am besagten Tag die Rodungsabsichten des Energiekonzerns RWE am Hambacher Forst bei Aachen gestoppt. Es darf also nicht gerodet werden. Die Richter entsprachen damit im Eilverfahren dem Antrag des BUND. Das erbrachte eine Wende. Das Verbot gilt solange, bis über die Klage des BUND NRW gegen den Hauptbetriebsplan 2018 bis 2020 für den Braunkohletagebau Hambach entschieden ist.
RWE habe nicht belegt, dass die Rodung nötig sei. Und die Landesregierung habe allein für RWE gehandelt. Die Rodung sei ausgesetzt, bis eine Entscheidung gefallen sei, erklärte das Gericht. Nach Einschätzung von RWE könnte das möglicherweise bis Ende 2020 dauern. Dies deckt sich mit der Einschätzung des Gerichts. RWE sandte sogleich die Warnung hinterher, dass das Nicht-Roden Milliarden kosten werde.
Der besprochene Film ist einer von den nicht wenigen, die von der Kultusbürokratie gegen einen von ihr gestifteten angemessenen Obolus an die Machrinnen und Macher in den Briefkasten eines jeden Haushalts eingesteckt gehörten. Davon gibt es noch so einige andere. Sodann könnten wir immer schon wieder ein wenig weiter gelangt sein im großen Akt der Humanisierung der Natur und der Naturalisierung des Menschen.
Foto 1 © mindjazz-pictures.de
Foto 2 © Peter Menne
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Info:
DIE ROTE LINIE – WIDERSTAND IM HAMBACHER FORST
Buch und Regie: Karin de Miguel Wessendorf
Produzent: Valentin Thurn
Redaktion WDR: Jutta Krug
Kamera: Frank Kranstedt, Gerardo Milsztein
Zusätzliche Kamera: Dieter Stürmer, Rainer Friedrich, Michael
Goergens, Jennifer Günther, Julia Franken
Ton: Ralf Weber, Ralf Gromann, Marcel Lepel,
Juliane Vari, Thomas Funk, Jule Cramer
Dramaturgische Beratung:
Sebastian Stobbe
Schnitt: Kawe Vakil
Musik: Fabian Berghofer