Leserbrief einer Hausfrau zu den Reden zweier Pensionäre
Adele Hübner-Neuwerk
Insel Neuwerk (Weltexpresso) - Sehr geehrte Redaktion, in meiner Heimatzeitung stand kürzlich etwas über Joachim Gauck, das mich als Hausfrau eigentlich weniger interessiert. Aber die Sache hatte ein Nachspiel. Als ich meine Nachbarin darauf ansprach, sagte sie: Hör’ mir bloß mit dem auf. Der ist ja so was von schleimig. „So redet man nicht über einen Pfarrer und Staatsmann“, antwortete ich. Das brachte meine Nachbarin erst richtig in Rage. Der habe dem deutschen Volk nur einmal einen Dienst erwiesen, sagte sie, nämlich als er auf eine zweite Amtsperiode als Bundespräsident verzichtete.
Also wirklich, wenn ich mir vorstelle, Gauck hätte als Bundespräsident das gesagt, was er jetzt als Privatmann gesagt hat, dann hätten wir Deutschen alt ausgesehen, noch dazu gerade jetzt, wo zum ersten Mal ein hoher Vertreter des Staates per Kopfschuss getötet wurde. In der Zeitung stand nämlich, der frühere Bundespräsident wünsche sich eine „erweiterte Toleranz in Richtung rechts“. Hat der Mann den Verstand verloren, fragte die Nachbarin. Ausgerechnet jetzt so was zu sagen. Bei dem Tatverdächtigen handle es sich doch um einen Rechtsextremisten. Bestimmte Leute würden sich ins Fäustchen lachen, wenn Gauck verlange, zwischen rechts – im Sinne von konservativ – und rechtsextremistisch oder rechtsradikal zu unterscheiden. Da muss ich meiner Nachbarin Recht geben. Das ist etwas für Jurastudenten im ersten Semester.
Damit fällt Gauck allen in den Rücken, die den Rechten die Stirn bieten wollen, wie jetzt bei der Wahl des Oberbürgermeisters von Görlitz. Dort haben SPD, Grüne und Linke den CDU-Kandidaten unterstützt, so dass der AfD-Kandidaten den Kürzeren zog. Aber da ist noch was anderes. Ich war seit der Konfirmation zwar nicht mehr in der Kirche, aber so wie Gauck sich verhält, so geht man als Pfarrer nicht mit Gläubigen um, wo doch gerade der Evangelische Kirchentag stattfindet. Dort hat man eine offizielle Teilnahme der AfD abgelehnt, weil diese Leute keine Bühne bekommen sollen. Gauck tritt aber auch seinem Nachfolger als Bundespräsident vors Schienbein. Steinmeier hat sich in einem Grußwort an den Kirchentag nämlich ganz entschieden gegen Rechtsextremismus ausgesprochen.. Allerdings dürfe man niemanden einfach achselzuckend ziehen lassen, wenn er aus Wut, Frust oder Gleichgültigkeit das Vertrauen verloren habe, dass sich bald etwas ändert.
Anscheinend dachte Steinmeier an die nächsten Landtagswahlen in drei ostdeutschen Bundesländern, wo die AfD stärker als die CDU werden kann. Die Rechtspopulisten haben ja von ganz oben, vom Verfassungsschutzpräsidenten, heimlich Ratschläge bekommen, wie sie sich verhalten müssen, um nicht wegen Rechtsextremismus vom Verfassungsschutz beobachtet zu werden, Maaßen ist zwar wie Gauck nicht mehr im Amt, aber er redet genau so kariert daher, wie der. In der jetzigen (!) Situation könne man in den ostdeutschen Ländern eine Zusammenarbeit von CDU und AfD ausschließen, meinte er im Deutschlandfunk. Dann setzte er hinzu: „Aber man weiß nie.“ Also ist alles möglich
Nachtigall, ick hör’ dir trapsen, sagen die Berliner in solchen Fällen. Maaßen ist prominentes Mitglied der rechtskonservativen Werteunion in der CDU. Er weiß, wovon er redet. Wenn nach den Landtagswahlen die CDU am Boden ist und Friedrich Merz an die Stelle von Annegret Kramp-Karrenbauer getreten sein sollte, sieht alles ganz anders aus. Da mögen die in der Berliner Parteizentrale noch so laut „Niemals!“ rufen. Wahrscheinlich geht’s dann auch mit der Großen Koalition zu Ende und ans Eingemachte. Mir ist eigentlich nicht bange. So lange die CDU dabei bleibt, niemals mit der AfD zusammenzugehen, ist die Demokratie nicht in Gefahr. Das ist das Entscheidende, Gauck hin und Maaßen her.
In diesem Sinne verbleibe ich die Ihnen stets wohl gesonnene Hausfrau
Adele Hübner-Neuwerk
Foto:
©