Hanswerner Kruse
Schlüchtern (weltexpresso) - Die Stolpersteine sind nicht dazu da, dass Menschen über sie stolpern und hinfallen, sondern dass sie „mit dem Kopf und dem Herzen stolpern“, wie es ein Jugendlicher mal formulierte. Mit diesen Metallplatten wird Schlüchtern ein Teil des europaweiten dezentralen Gesamtkunstwerks und Mahnmals „Stolperstein“, das der Künstler Gunter Demnig (72) vor über zwanzig Jahren begann.
Ein spöttischer Kritiker meinte, da müsse man in Schlüchtern die ganze Fuldaer und Obertor-Straße mit Stolpersteinen vollpflastern. Angesichts von 320 vertriebenen oder getöteten Juden mag er wohl recht haben. Demnig selbst hatte einst als konzeptionelle künstlerische Provokation sechs Millionen Stolpersteine für die von den Nazis ermordeten Menschen gefordert.
1992 verlegte er exemplarisch die ersten Stolpersteine als ca. 10 x 10 Zentimeter große Messingplatten, seit 1997 übrigens nur noch mit behördlicher Genehmigung. Mit diesem Projekt will der Künstler „die Namen der Opfer zurück an die Orte ihres Lebens bringen.“
Auch wenn mittlerweile 70.000 Steine verlegt wurden, verlegt Demnig eigenhändig immer die ersten Platten in jeder Stadt, die übrigens je 120 Euro kosten. Sie erinnern nicht ausschließlich an ermordete Juden, Sinti, Roma und andere Naziopfer, sondern widmen sich auch den durch die Nazis Vertriebenen. Die strengen Regeln des Künstlers fordern, dass die Biografien der Opfer genau recherchiert werden, sie müssen zuletzt freiwillig dort gelebt haben, wo die Platten verlegt werden.
Reich geworden ist der Mann durch seine künstlerische Arbeit nicht, die Einnahmen fließen in eine Stiftung, die ihn angestellt hat. Trotz der vielen bisher verlegten Stolpersteine, sind sie nicht unumstritten. Was bisher gegen die Erinnerungsplatten vorgebracht wurde, ist nicht nur antisemitisches Geschwätz. Es gibt durchaus auch ernstzunehmende Argumente, die seit Jahren heftig diskutiert werden.
Manche jüdische Gemeinden fanden es unerträglich, dass die Namen der Opfer mit Füßen getreten werden und haben sich vehement dafür eingesetzt, dass in einigen Städten wie München keine Stolpersteine verlegt werden. Immer wieder weisen die Befürworter jedoch darauf hin, dass die Messingplatten keine Gräber sind und das Andenken nicht geschändet wird. Demnig meinte dazu: „Das Bücken, um die Texte auf den Stolpersteinen zu lesen, soll eine symbolische Verbeugung vor den Opfern sein.“
Info:
Die öffentliche Verlegung der Stolpersteine findet am Donnerstag, 4. Juli, 17.30 Uhr, vor dem Haus Krämerstraße 16 (Café Wohnzimmer) statt. Es sprechen Erster Stadtrat Reinhold Baier, Künstler Gunter Demnig und Projektleite- rin Kerstin Baier-Hildebrand. Ein Rabbiner wird kommen. Es gibt Klezmer-Musik, und Schüler tragen Gedichte vor. Zum Termin erscheint eine Broschüre, die sich mit der Terrorisierung und Vertreibung jüdischer Mitbürger im Bergwinkel befasst.
Fotos:
Stolperstein / Demnig verlegt Stolpersteine: kostenlos von pixabay
Stolperstein / Demnig verlegt Stolpersteine: kostenlos von pixabay