Der Verfassungsschutz hat reagiert
Klaus Philipp Mertens
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Die „Identitäre Bewegung Deutschland“ ziele darauf ab, Menschen außereuropäischer Herkunft von der demokratischen Teilhabe auszuschließen.
Der Verfassungsschutz behandelt die Organisation deswegen nicht länger als Verdachtsfall, sondern stellt sie unter Beobachtung. In einer aktuellen Mitteilung der Behörde heißt es, dass die von der IBD aufgestellten Herkunftskriterien gegen Artikel 116 des Grundgesetzes verstoßen. Denn dieser bestimmt, dass Deutscher sei, wer die deutsche Staatsangehörigkeit besitze. Politische Beobachter gehen davon aus, dass nach dem Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke die Behörden nun eine schärfere Gangart gegen Rechtsextremisten einschlagen wollen.
Auch laut dem Rechtsextremismus-Experten Andreas Speit agiert die Identitäre Bewegung immer radikaler und bedrohe dadurch wesentliche Grundsätze der Verfassung. Vor allem über kommerzielle Netzwerke wie Facebook versuche sie, ihre Ideologie zu verbreiten. „Diese Bewegung will keine Massenbewegung werden, sie will Massen bewegen“, sagte Speit in einem Interview mit dem Deutschlandfunk.
Den Identitären sei es gelungen, sogar die Medien über eine gewisse Zeit zu blenden. Von diesen sei zu lange das Bild von typischen Rechtsextremisten gezeichnet worden, die an Glatze, Bomberjacke oder Springerstiefeln zu erkennen seien. Zwar gäbe es auch diese Milieus nach wie vor, doch sie seien immer nur Teile der rechtsradikalen Bewegung gewesen und geblieben. Die sich nach außen als intellektuell ausgebende Strömung sei hingegen ignoriert worden. Und so müsse konstatiert werden: Trotz ihrer Blut- und Boden-Ideologie ist es den Identitären gelungen, sich als modern, hipp und aktivistisch präsentieren zu können.
Die Bewegung ist international ausgerichtet; ihren Ursprung hat sie in Frankreich. Stark beeinflusst wurde sie u.a. von der 2003 in Italien gegründeten neofaschistischen CasaPound-Bewegung. Ihr vorrangigstes Ziel ist es, im vorpolitischen Raum Diskussionen und Argumentationen zu beeinflussen und die Deutungshoheit zu erlangen. Zu ihren Mitteln zählen provozierende Aktionen auf der Straße, die dann ihren Niederschlag im Internet (vor allem in den dissozialen kommerziellen Medien) finden. Dort lassen sich die politischen Inhalte dieser Gruppe als Schlagworte zu den Themen „Überfremdung“ und „Austausch“ nachverfolgen. Unter letzterem wird eine durch Migration erfolgende systematische Verdrängung der europäischen Bevölkerung durch nichteuropäische Völker verstanden. Praktisch betrieben werde dieser Austausch von einer „Sozial-Asyl-Migranten-Lobby“. Die Identitären rufen dazu auf, „Widerstand zu leisten“. „Das Volk“ sei „die letzte Verteidigungslinie.
Überschneidungen gibt es in Deutschland mit anderen Gruppierungen am rechten Rand, so mit dem deutsch-österreichischen Dachverband „Deutsche Burschenschaft“ oder der Bewegung „Pro NRW“. Publizistisch unterstützt wird die „Identitäre Bewegung Deutschland“ durch die rechtsextreme Zeitschrift „Blaue Narzisse“. Vergleichsweise stark vertreten sind ihre Anhänger in der Jugendorganisation der AfD, aber auch im rechten Flügel dieser Partei, der sich selbst als „Der Flügel“ bezeichnet und von Björn Höcke, dem AfD-Landesvorsitzenden von Thüringen, angeführt wird.
Zudem steht sie dem „Institut für Staatspolitik“ und der Wochenzeitung „Junge Freiheit“ nahe, die sie auch als öffentliche Stichwortgeber nutzt. Darüber hinaus bestehen enge personelle und finanzielle Verflechtungen mit dem von Jürgen Elsässer verantworteten Magazin „Compact“. Der österreichische Identitären-Sprecher Martin Sellner beteiligt sich auch an der rechten Kampagne „Ein Prozent für unser Land“, einem Bündnis, das ebenfalls von Elsässer und dessen Magazin sowie dem Publizisten Götz Kubitschek getragen wird. Letzterer zählt zu den Mitgründern des „Instituts für Staatspolitik“ und verfügt mit der Zeitschrift „Sezession“ über ein in der gesamten neu-rechten Szene verbreitetes Theoriemagazin. Eine zusätzliche publizistische Stütze ist Kubitscheks Antaios-Verlag.
„Die Identitären bewegen sich auch sprachlich innerhalb des Kontexts der Neuen Rechten. Aus diesem heraus ist ihr zentraler Begriff vom „Ethnopluralismus“ entstanden. Diesem zufolge besitzt jede Ethnie einen angestammten Lebensraum, in dem sie verbleiben soll und den sie im Sinn ihres je eigenen kulturellen Erbes zu bewahren habe. Das hört sich nach einer National- und Kulturphilosophie des Rassismus an und sie ist es tatsächlich auch. Denn unter dem Strich bedeutet diese Ideologie nichts anderes als „Ausländer raus“. Folglich lautet ihre zentrale Forderung „Remigration“.
Für Andreas Speit erfüllen sie die Kriterien von geistigen Brandstiftern. Und er verweist auf einen ihrer führenden Köpfe, Martin Sellner. Der prägt sowohl in Österreich als auch in Deutschland die Identitären. Allein er verfügt über 100.000 Follower auf YouTube. Vergleicht man diese Zahl mit den etwa 600 Personen, die den organisatorische Kern ausmachen, ist die Strategie der Gruppe erkennbar. Es geht ihr um Vernetzung und über ein eng geflochtenes rechtes Netz zur größtmögliche Verbreitung ihrer Ideologie. Recherchen hätten ergeben, dass die Identitären sogar im gymnasialen Bereich und in städtischen Milieu Resonanz finden.
Nachweislich gibt es enge persönliche Verbindungen zur AfD, auch zur AfD-Bundestagsfraktion. Alexander Gauland, Björn Höcke und Martin Sellner nutzen bekanntermaßen Götz Kubitscheks „Institut für Staatspolitik“ als Informationsforum. Sellner betonte vor wenigen Jahren, dass es ohne Kubitschek die Identitäre Bewegung gar nicht mehr geben würde. Diese hätte ihre inhaltliche und organisatorische Krise von 2013 nur mit Kubitscheks Hilfe überwinden können.
In der AfD gibt es zwar einen Unvereinbarkeitsbeschluss; Mitglieder der Identitären können nicht Mitglieder der Partei werden. Aber die Betonung liegt auf „Mitgliedschaft“. Eine Zusammenarbeit schließt das nicht aus, vor allem nicht gemeinsame Aktionen auf der Straße. Und man darf nicht übersehen, dass es gemeinsame Positionen gibt. So tritt beispielsweise auch Björn Höcke für Remigration ein.
Das Fernsehmagazin „Frontal 21“ hat recherchiert, dass Höcke und Kubitschek langjährige Weggefährten seien. So soll auf Betreiben Höckes eine Sitzung der Thüringer AfD-Fraktion in Kubitscheks „Institut für Staatspolitik“ stattgefunden haben. Dabei seien auch Möglichkeiten der Zusammenarbeit erörtert worden.
Der Rechtsextremismusforscher Helmut Kellershohn unterstellt Höcke eine „besondere geistige Nähe zu Kubitschek“. Man könne ihn auch „als eine Art ‚Schüler‘ Kubitscheks“ betrachten. Beide stimmten sich „rhetorisch wie ideologisch“ beim „Machtkampf in der AfD“ aufeinander ab. Höcke pflege einen „apokalyptischen Grundton“, liebe „völkische Phrasen“ und fühle sich der vermeintlich „dekadenten politischen Klasse“ gegenüber erhaben. Der Politologe und Experte für Rechtsextremismus Hajo Funke sieht Höckes Rhetorik als Beispiel für eine „Verrohung der Sprache“ und bezeichnet den Politiker wie auch einen Großteil der AfD-Parteispitze als „rechtsradikal“. Höcke beherrsche eine „faschistische Agitation“.
Vor diesem Hintergrund erscheint es als notwendig, dass der Verfassungsschutz auch die gesamte AfD überwacht. Bislang gelten deren Jugendorganisation und Höckes „Flügel“ als Verdachtsfälle. Nach allem, was in allgemein zugänglichen Quellen über die AfD zu erfahren ist, erfüllt sie die Voraussetzungen für einen Verbotsantrag der Bundesregierung beim Bundesverfassungsgericht.
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Logo der Identitären Bewegung auf Facebook
Übermittelt vom Bundesamt für Verfassungsschutz