Zu den bekannt gewordenen Umstrukturierungsplänen beim Hessischen Rundfunk
Klaus Philipp Mertens
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Einem Bericht der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ vom 13. Juli zufolge steht das Hörfunk-Programm des HR vor einem tiefgreifenden Umbau.
Davon soll HR 2-Kultur besonders betroffen sein. Dem ambitionierten Programm droht das Auseinanderreißen seiner zentralen Angebote. Wortbeiträge wie die Lesungen aus neuen und wiederentdeckten Romanen, das Vortragen von Gedichten aus verschiedenen Literaturepochen, die Kulturpresseschau oder Magazine wie „Doppelkopf“ und „Kulturcafé“ könnten bald nur noch im Internet verfügbar sein; im schlimmsten Fall inmitten von Plebs-News (Facebook & Co.). Allenfalls würden so genannte Appetizer über HR Info ausgestrahlt. Über den Verbleib der erfolgreichen Sendung „Der Tag“, wo dringende gesellschaftliche Fragen thematisiert werden, ist dem Vernehmen nach noch nicht entschieden worden. An die Stelle von Anerkanntem soll Klassik treten. Und damit sind sicherlich nicht Kompositionen gemeint, die der fachkundigen Erläuterung bedürfen. Eher Musikkonserven á la »André Rieux spielt die schönsten Operettenmelodien« oder »Helmut Zacharias‘ Himmel hängt voller Geigen«. All das steht unter der Devise „Durchhörbarkeit“, eine Sprachschöpfung, die sowohl Berieselung als auch Überhören meint. Wer die permanente Berieselung dann irgendwann weder durch- noch überhören kann, schaltet ab (und nicht etwa um auf andere HR-Sender). Und schafft dadurch die Argumente für das endgültige Aus des Programms.
Wie nicht anders zu erwarten, werden die avisierten elementaren Veränderungen mit einer vermeintlich notwendigen Orientierung am Nutzerverhalten begründet. Also konkret am vielfach ungeschulten Geschmack des Durchschnittspublikums. Dessen Defizite dürften jedoch für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk keine Maßstäbe sein. Denn der hat sowohl einen Informations- als auch einen Allgemeinbildungsauftrag (siehe die entsprechenden Staatsverträge). Im Zweifel steht dieser Rundfunk in der Pflicht, alles daran zu setzen, dass das Bildungsniveau der Bürger nachhaltig verbessert werden kann. Exakt für diesen Auftrag werden die Sender durch eine Umlage bei allen potentiellen Zuhörern und Zuschauern finanziert. Und eben nicht analog einer Quote, die sich am tiefsten Punkt eines mäßigen Niveaus bemisst.
Doch ist das Publikum tatsächlich so bildungsfern, wie der HR-Sprecher es gegenüber der FAZ implizit darstellte? Jedenfalls sind Zweifel an den Ergebnissen der „Arbeitsgemeinschaft Media-Analyse“ angebracht, die starke Einbußen in der Hörerschaft nachweisen wollen.
Der Autor dieses Beitrags, der sich ehrenamtlich in der Kulturinitiative PRO LESEN e.V., einem Förderverein für das städtische Bibliothekszentrum Frankfurt-Sachsenhausen, engagiert und auch dessen Internetzeitschrift betreut, hat völlig entgegengesetzte Erfahrungen gemacht. Etwa 800 Einzelpersonen weist die Interessentenkartei des Vereins auf (deutlich mehr als einige politische Parteien im Stadtteil aktive Mitglieder haben). Zu nahezu allen besteht ein intensiver E-Mail-Kontakt (in den dissozialen kommerziellen Netzwerken ist PRO LESEN nicht vertreten). Knapp die Hälfte davon nimmt zumindest an einer der zehn Veranstaltung pro Jahr teil. Seit September 2018 wird die neue Homepage (https://www.bruecke-unter-dem-main.de) im Durchschnitt monatlich 47.000 mal (mit aufsteigender Tendenz) angeklickt. Und wenn PRO LESEN in diesem Kreis nach den präferierten Kultursendern fragt, was regelmäßig der Fall ist, werden zu 90 Prozent HR 2 Kultur und Deutschlandradio Kultur genannt.
Während zu den Literaturlesungen in der Bibliothek zu achtzig Prozent die Generation 60 plus erscheint, werden die kultur- und politikkritischen Analysen und Kommentare im Internet zu 40 Prozent von der Gruppe der 22- bis 35-Jährigen abgerufen; der Rest entfällt (mit gelegentlichen leichten Verschiebungen) zu gleichen Teilen auf die 36- bis 59-Jährigen sowie auf die 60-Jährigen und Älteren. Die inhaltliche Ausrichtung dieser Artikel ist vergleichbar mit den oben erwähnten HR 2-Programmen.
Ja, auch PRO LESEN möchte gern noch mehr Jüngere erreichen, vor allem die 16- bis 20-Jährigen. Das scheitert aber an den Bildungsangeboten der Schulen. Selbst Schüler in der Primarstufe der Gymnasien fühlen sich vom Niveau der Literaturlesungen und -diskussionen häufig überfordert. Doch exakt an diesem Punkt will der Verein keine Zugeständnisse machen.
Und ein öffentlich-rechtlicher Sender mit klar formulierten Bildungsaufträgen sollte das auch nicht.
Zugegeben: Gelegentlich ärgere ich mich über Programmpunkte von HR 2 Kultur. Ein typisches Beispiel dafür ist die unkritische Beteiligung an der diesjährigen Aktion „Frankfurt liest ein Buch“. Ich habe nicht eine einzige Distanzierung gegenüber Martin Mosebach vernommen, dessen Roman „Westend“ dieses Mal im Mittelpunkt stand. Mosebach bekennt sich sehr offen zu den Vorstellungen des antimodernistischen und antidemokratischen Philosophen Nicolás Gómez Dávila (1913 – 1994), die eine unübersehbare Nähe zum Faschismus aufweisen. Folglich wurde ein Anti-Aufklärer und Antidemokrat zum Literaten hochstilisiert. Und auch der HR spendete Beifall.
Möglicherweise ist die intellektuelle Abrüstung beim Hessischen Rundfunk politisch initiiert. Aus dem einst von der CDU als „Rotfunk“ gescholtenen Sender ist seit der von Roland Koch eingeleiteten Wende einer geworden, dessen Programm allzu häufig provinziell anmutet; vor allem dessen Fernsehprogramm. Während beispielsweise bei HR-Info und HR 2-Kultur (noch) relevante politische und gesellschaftliche Ereignisse im Vordergrund stehen, werden die Fernsehzuschauer beispielsweise über einen Königinnentag in Witzenhausen, ein Coaching gegen Prüfungsangst, den Trendsport Freiluftdancing, einen Sponsoring-Marsch zweier sehbehinderter Frauen oder die Hintergrundabläufe am Frankfurter Flughafen ausführlich informiert. Und unübersehbar sind die Links zu Facebook und Instagram platziert.
Da liegt der Verdacht nahe, dass die angekündigte Umstrukturierung de facto die Vorgabe weiterer Ziele (nämlich umfassende Desinformation) durch die derzeitigen Landesregierung bedeutet. Und eine deutliche Kampfansage an den ursprünglichen Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist.
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