Bildschirmfoto 2019 07 20 um 07.07.52Im Hinblick auf politische Verhandlungen mit der Europäischen Union und Israel beschwört Binyamin Netanyahu die 1930er Jahre herauf

Jacques Ungar

Tel Aviv (Weltexpresso) - Stehen wirtschaftliche oder wissenschaftliche Projekte auf dem Programm, die Israel und die Europäische Union (EU) gemeinsam bestreiten sollen oder dürfen, bringen die beiden Partner es noch fertig, eine korrekte oder gar freundschaftliche Atmosphäre an den Tag zu legen.

Anders verhält es sich, wenn es um eine politische Angelegenheit zwischen der EU und Israel geht. Vor allem gilt diese Einschränkung dann, wenn es sich um die verschiedensten Aspekte der Nahost-Politik handelt. Dann schleicht sich in das Verhältnis zwischen Brüssel und Jerusalem schon bald ein kühler, um nicht zu sagen schroffer Ton ein. Ganz spezifisch gilt dies, wenn zu den diskutierten Themenkreisen der Palästinenserkonflikt oder die Drohungen Irans Israel gegenüber zählen.

So verurteilte der israelische Premierminister Binyamin Netanyahu in scharfer Sprache eine Antwort der EU vom Montag auf die iranischen Verletzungen der nuklearen Beschränkungen.­ Das erinnere ihn an die «europäische Beschwichtigungspolitik in den 1930er Jahren gegen Adolf Hitler», sagte Netan­yahu in einer Video-Nachricht. Zuvor hatte Federica Mogherini, die außenpolitische Chefin der EU, gesagt, keine der am Nukleardeal von 2015 mit Iran beteiligten Parteien würde dessen gesteigerte Anreicherung von Uran bereits als «bedeutsame Nicht-Befolgung» ansehen. Deshalb habe auch kein EU-Mitglied die Absicht bekundet, den Konfliktmechanismus des Abkommens bereits in Kraft zu setzen. Mogherini stellt sich auf den Standpunkt, dass aufgrund der Daten, die der EU zur Verfügung stehen – vor allem jene der Internationalen Atomenergie-Agentur IAEA – die von Iran praktizierte Nicht-Befolgung noch nicht als «wesentlich» anzusehen sei.


Reine Wahlpropaganda?

Mit dieser Stellungnahme gibt Netanyahu sich verständlicherweise nicht zufrieden. Vielmehr verurteilt er die EU-Reaktion in vollem Umfang, und für einmal wäre es ebenso billig wie unzutreffend, seinen Standpunkt im Hinblick auf den Urnengang vom 17. September als blosse israelische Wahlpropaganda abzutun.

«Auch damals», betonte Netanyahu, «gab es jene, die ihren Kopf in den Sand steckten und die herannahende Gefahr nicht sahen.» Der israelische Regierungschef hat schon oft die nuklearen Projekte Irans als tödliche Gefahr für Israel und die weitere Welt angeprangert. Iran seinerseits dementiert, dass es eine Atombombe anstrebe. «Es scheint», sagte Netanyahu, «dass es Leute in Europa gibt, die nicht aufwachen werden, bis iranische Atomraketen auf europäischem Boden landen. Dann aber wird es natürlich zu spät sein.» Auf die bekannte, immer aber nur verschleiert­ angedeutete Drohung Israels mit einem Krieg gegen den Erzfeind als letzten Ausweg sagte Netanyahu nur: «Jedenfalls werden wir weiterhin alles Nötige tun, um zu verhindern, dass Iran in den Besitz von Atomwaffen gelangt.» Auch Israel hat vorausgesagt, dass die Islamische Republik für den Fall, dass europäische Mächte Washington unterstützen sollten, was die Wiederverhängung der Sanktionen betrifft, Gespräche über einen beschränkteren Nukleardeal aufnehmen würde. Frankreichs Präsident Macron, der in der Berichtswoche vorwiegend mit dem «Tag der Bastille» beschäftigt war, dem Unabhängigkeitstag seines Staates, wollte noch in der laufenden Woche Gespräche mit dem iranischen Präsidenten Hassan Rouhani und dessen russischen und amerikanischen Amtskollegen Putin und Trump initiieren, um so die Eskalation der Spannungen im Nahen Osten zu bremsen. Wenn es nichts nützt, dann schadet es wenigstens nicht.


Stellungnahmen aus aller Welt

Auch Dan Shapira, der frühere, noch von Obama nominierte US-Botschafter in Israel – er lebt heute mit seiner Familie in Israel – stellt sich in der Debatte über den Nukleardeal deutlich hinter Israel. Er kritisierte die EU-Reaktion auf die Haltung in der Kontroverse. Es darf angenommen werden, dass sich im Laufe der nächsten Tage und Wochen die Stellungnahmen aus aller Welt noch mehren werden. Abzuwarten bleibt vor allem, ob und wie alle oder einige der EU-Mitgliedsstaaten trotz der abwiegelnden Ansicht der Polit-Chefin Federica Mogherini letzten Endes von den im Vertrag vorgesehenen Möglichkeiten Gebrauch machen und die an sich vorhandenen Eigenkompetenzen des Abkommens beschneiden werden, um vor allem Teheran in die Schranken zu weisen. Damit würde, wie «Haaretz» schreibt, ein Prozess in Gang gebracht werden, an dessen Ende die Einführung globaler Uno-Sanktionen gegen die Islamische Republik stehen würde. Eine Realisierung dieses Konzepts wäre ein durchschlagender Erfolg Netanyahus und seiner noch amtierenden Regierung. Dies wiederum wäre Wasser auf die Mühlen des Likud und seines Chefs im Hinblick auf die Wahlen vom 17. September.


Foto:
Der iranische Präsident Hassan Rohani hält sich nicht mehr an die im Abkommen vorgeschriebene Menge der Uranvorräte
© tachles

Info:
Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 19. Juli 2019