Das Buch ‚Wilhelm Leuschner‘, ‚Ein deutscher Widerstandskämpfer‘, von Axel Ulrich, stand im Kreuzgang des Karmeliterklosters in Frankfurt im Focus des Abends
Heinz Markert
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Axel Ulrich referierte zum 75. Jahrestag des 20. Juli 1944 und bezog sich, der Stadt seines Vortrags entsprechend, auf die komplex vernetzten ‚Umsturzvorbereitungen in Frankfurt und der Rhein-Main-Region‘.
Leider konnte er im Rahmen der begrenzt zur Verfügung stehenden Zeit nur allzu wenig von dem Kenntnisschatz übermitteln, den das Buch so überreich bietet. Er stellte jedoch den an der Sache Interessierten ein Exemplar zur Verfügung, wofür ihm an dieser Stelle gedankt sein soll.
Der gescheiterte Mordanschlag auf Hitler ist nur ein Element des Gesamtwiderstands
Bislang rankt sich das Gedenken an den Widerstand gegen das verbrecherische NS-System vom 20. Juli 1944 weitgehend um die Handlungen um das Attentat vom 20. Juli, für das vor allem Claus Schenk Graf von Stauffenberg steht, das aber nur die Spitze eines Eisbergs kennzeichnet. Der Widerstand gegen Hitler war außerordentlich mannigfaltig und vielgestaltig, tritt aber in der Gänze unangemessener Weise hinter den Mordanschlag auf Adolf Hitler sehr zurück.
Axel Ulrich ist immer auch Repräsentant und Werber für die Arbeit des Studienkreises Deutscher Widerstand 1933 – 1945, der nahe der Station Westend in Frankfurt am Main eine Anlaufstelle für all jene bereithält, die am Deutschen Widerstand Interesse zeigen. Er merkte an: andere Länder seien ihres Widerstandes bewusster als die Deutschen. Die anwählbare Website www.widerstand1933-1945.de bietet gerade jetzt Einblicke in eine aktuelle Veranstaltungsreihe zu den einzelnen Gegenständen und handelnden Personen.
Ulrichs Buch ist allein schon mit dem Kapitel ‚Die Strukturausdehnung am Beispiel Frankfurts und Umgebung‘ von einer exorbitanten informationellen Dichte gekennzeichnet. In jeder seiner Zeilen steckt ein Stück ‚Welt des Widerstands‘. Ein anderes empfehlenswertes Werk zum Widerstand um den 20. Juli 1944 ist die Schrift ‚Die Tragödie des 20. Juli 1944‘ von Emil Henke aus dem Jahre 1946.
Wilhelm Leuschner – die zivile Zentralgestalt des Widerstands
Wilhelm Leuschner, der Ulrichs Buch den Titel verlieh, war die Kraft des Widerstands, die auch all jenen ein Nachleben sichert, die entweder im Widerstand auch ihr Leben lassen mussten oder – obwohl sie in bester Gesellschaft vernetzt waren – nicht die enormen Möglichkeiten des Potentials, das der Widerstand aufzubringen imstande war, organisieren und nutzen konnten, weil die Umstände widrig waren. Die Pläne für Frankfurt am Main wurden mit Leuschner besprochen und festgelegt († am 29.9.1944 in Berlin-Plötzensee). Wäre der Mordanschlag auf Hitler gelungen, so wäre das umfangreiche konspirative Kontaktnetzwerk ziviler und Regimegegner in Uniform momentan in Gang gekommen und hätte besonders die Regionen um die größeren Städte mit bewaffneten Aktionen und anschließenden Neubesetzungen der wichtigsten Verwaltungspositionen überziehen können. Demgemäß ist die Historiographie der Qualifizierung und Quantifizierung der Möglichkeit von Widerstandsstrukturen bislang leider ignoriert worden.
„Das Misslingen des Mordanschlags auf Hitler und daran gekoppelter Militäraktion habe somit das Scheitern der politischen Widerstandsbewegung zur Folge gehabt“ (S. 229, Axel Ulrich, a.a.O.), obwohl der gesellschaftliche Hintergrund des Widerstands von bedeutender Größe war. „Es sei allein schon „ein Wunder“, dass „dieser riesige Apparat zum Sturz Hitlers“ habe überhaupt „aufgezogen werden“ können“ (a.a.O. S. 229). Allein „im Bezirk Mainz“ hätten, laut.Ludwig Steffan, Stützpunktleiter († am 09.02.1957 in Mainz), 10 000 Mann „zur Verfügung gestanden“.
Insgesamt könnten, lt. Ulrich, max. ein Prozent der Gesamtbevölkerung, Arbeiter, Gewerkschaftler, Sozialdemokraten und Kommunisten, aber auch Konservative, Liberale, Bürgerliche und religiös Gebundene, für den großen landesweiten übergreifenden Widerstand bereitgestanden haben. Dabei kam es darauf an, die Kräfte gesamtflächig zu verteilen, sie aber auch gleichzeitig um die größeren Städte zu konzentrieren. Es gab bereits 1938 den Versuch eines geplanten Widerstands. An Verschwörern im engeren Sinn könnten zwischen sechs und siebenhundert zur Verfügung bereitgestanden haben („andere sagen: tausend“).
Frankfurt – gehandelt nach ‚Wehrkreis IX‘
Die Biographie zu Leuschner sagt viel über das Widerstandsgeschehen aus. Es war ein Netzwerk, das die demokratische, vom Kalkül auf ein erneuertes Land überzeugte Kulturnation umfasste. Unter der Sinnstiftung des formal gewählten Titels ist außerordentlich viel an Material und Kenntnissen versammelt, bis in die feinst mikrologisch aufgedröselten Strukturen reichend. Im Widerstand waren durchweg professionell ausgewiesene Fachleute am Werk beschäftigt.
Eine aktuell angebotene Veranstaltungsreihe bezieht sich auf den bis dato in der Sache gültigen Geheimcharakter des großen Verschwörernetzwerks: ‚Auf den Spuren widerständiger Frankfurterinnen. Ein Stadtrundgang durch Frankfurt-Bockenheim‘ sowie: ‚Konspirative Orte. Ein Stadtrundgang auf den Spuren des „Leuschner-Netzes“ in Frankfurt‘. Was den Widerstand in Zivil angeht, das Thema lautete hierzu bereits: ‚Der Kriminalbeamte Christian Fries und seine Widerstandszelle in Frankfurt/Main‘.
Der Macht bleiben immer Grenzen gesetzt
Die Häscher und Ermittlungsbeamten haben nicht viel aufzudecken bekommen. Eine Vorgehensweise der Konspirateure bestand darin, Beziehungen zu Freunden und mancherlei Kontakte offen zuzugeben, aber nur das zu offenbaren, was sich nicht vermeiden lässt. Auf diese Weise sei es Ludwig Schwamb [dem christlich motivierten Mann des Kreisauer Kreises] „gelungen, nicht nur seine sonstigen Frankfurter Verbindungen zu schützen, sondern die gesamte Zivilkonspiration im von ihm im Auftrag Leuschners angeleiteten Bereich in der Maimetropole als Zentrum“ (S. 228, a.a.O.). So sei auch „die illegale Organisation in der Provinz“ [...] „von der reichsweiten Verhaftungswelle nach dem Scheitern des Umsturzversuches ‚kaum getroffen‘ worden“. Die ‚sozialistische Geheimorganisation‘ sei allenfalls „in ihren Spitzenstellungen aufgedeckt und vernichtet worden [..]“ (S. 228, a.a.O.). Daher sei es verständlich, dass sich die NS-Fahnder ausschwiegen. Die Grenzen der Ermittlung mussten ihnen bewusst geworden sein.
In Anbetracht gegenwärtiger Zeiten ist es zu empfehlen, sich auf die vergangenen Prozesse einzulassen, um der momentanen Rechtsentwicklung entgegenzutreten und vorzubeugen.
Foto © Studienkreis Deutscher Widerstand 1933 – 1945
Info:
Axel Ulrich, Wilhelm Leuschner · Ein Deutscher Widerstandskämpfer, Thrun-Verlag Wiesbaden 2012 · ISBN 978-3-9809513-9-5
Wir informierten zum Wiesbadener Widerstand aus Anlass des Tages der Befreiung von Auschwitz:
https://weltexpresso.de/index.php/kino/15062-von-tiefpunkten-der-zivilisation_556