A STAUFFENBERGSTAUFFENBERGS ASCHE von Horst Hensel bei Middelhauve 2001 bleibt lesenswert

Claudia Schulmerich

Hamburg (Weltexpresso) - „Ich betreibe mit allen mir zur Verfügung stehenden Mitteln den Hochverrat.“ Stauffenberg am 1. Juli 1944 zu Urban Thiersch. Wem würde da nicht sofort der Spruch von Charles-Maurice de Talleyrand (1754 - 1838), französischer Bischof, Staatsmann und Außenminister einfallen: „Hochverrat ist eine Frage des Datums.“

Uns fällt er auch deshalb ein, weil einer unserer Hochschullehrer in Politischen Wissenschaften, Lothar Schmidt, ein Buch gleichen Titels 1966 bei dtv veröffentlicht hatte, in dem dieser und weitere Aphorismen gesammelt waren. Schon damals hat uns das Zitat fasziniert. Denn es begründete an einigen Beispielen, wie das, was gestern als Äußerung oder Tat noch Hochverrat war (ethisch aber gerechtfertigt), durch die Änderung der sozialen-politischen-rechtlichen Verhältnisse am nächsten Tag harmlos und ungefährlich wurde. Oder sogar positiv jemanden zum Helden machte.

b stauffenbergDas kam uns in den Sinn, als wir die stolzen Worte von Stauffenberg lasen, die bei Horst Hensel seinem Roman vorgeschaltet sind, nachdem Stauffenberg zudem im Frühjahr 1939 über Hitler äußerte: „Der Narr macht Krieg!“ Der ganze Roman ergibt ein anderes Stauffenbergbild, als die vielfachen Versuche, aus ihm einen hölzernen Adligen mit ethischen Grundsätzen, aber Technikferne zu machen.

Wir kommen darauf, weil uns am Samstag in der Frankfurter Rundschau die Aussagen der Stauffenbergenkelin Sophie von Bechtolsheim erst erfreuten, dann ärgerten. Sie warf der AfD vor, sich unanständig zu verhalten, wenn diese den damaligen Widerstand gegen einen verbrecherischen Staat vergleiche mit den AfD-Protesten gegen die derzeitige Bundesregierung, Proteste, die von der AfD geradezu lächerlich als ‚Widerstand‘ und ‚notwendiger Widerstand‘ bezeichnet werden. “Bechtolsheim stößt auch die Verwendung des Begriffs ‚Widerstand‘ durch die AfD bitter auf. Vergleiche zwischen ‚einem Widerstand in einem Rechtssystem, in unserem System‘ und der Situation ‚der Männer und Freuen, die im Nationalsozialismus am Galgen gelandet sind‘ herzustellen, sei absurd." Wie richtig und gut gesagt.

Doch dann kommt sie auf die Einschätzung des Begriffs Attentäter zu sprechen und damit auf ihr im Juni veröffentlichtes Buch „Stauffenberg – Mein Großvater war kein Attentäter“, Herder Verlag. Ihrem Argument von der Vereinnahmung und Fixierung auf die Einzelperson Stauffenberg, die andere Widerstandspersönlichkeiten und andere Widerstandsgruppen ausblenden, kann man noch folgen, aber, daß man eine ‚Verschüttung‘ des Lebens von Stauffenberg vollbringe, wenn man ihn als Hitler-Attentäter bezeichne, ist starker Tobak, der auch nicht verständlicher wird, wenn sie fortfährt: „Seine Geisteshaltung, seine Motive, seine Lebensleistung zusammenzuschnüren und sein ganzes Leben auf diese Tat hin zu stilisieren, das wird ihm nicht gerecht.“

Wie schade. Schade, daß diese Enkelin nicht stolz auf den Attentäter Stauffenberg ist, sondern dann auch noch laut FR sagt: „ Der Begriff Attentäter, glaubt sie, könnte Stauffenberg in eine Reihe mit Attentätern der Rote-Armee Fraktion oder islamistischer Attentäter stellen. ‚Er gehört nicht in die Reihe all derer, deren Ziel einzig die Gewalt, einzig die Aufmerksamkeit durch einen Mordanschlag ist.‘“

Wie merkwürdig, denn diesen Zusammenhang stellt sie erst her, während der Begriff Attentäter erst einmal wertneutral für jemanden gilt, der aus politischen oder religiösen Gründen durch die Tötung eines Menschen eine Besserung der Verhältnisse, bzw. Propaganda in seinem Sinn erwartet. Das Attentat mit Todesfolge selber gilt als Mord, bis auf Ausnahmen, wie der Tyrannenmord, der ethisch und juristisch gerechtfertigt ist. Und genau dies trifft auf Claus Philipp Maria Schenk Graf von Stauffenberg zu, der als deutscher Offizier der Wehrmacht sogar noch 1933 die Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler begrüßt hatte, aber politischen Durchblick erwarb und Lernfähigkeit zeigte. Seine obigen Aussagen sind messerscharf.

a fritz bauer cvVielleicht kann seine Enkelin dem Begriff ‚Attentäter‘ nichts abgewinnen, weil sie sich zu wenig mit dem Umschlag, dem Umschaltknopf beschäftigt hat, wie aus dem negativ besetzten Nazi-Attentäter Stauffenberg als Volksverräter der heutige Vaterlandsretter, zumindest im Versuch, wurde. Und leider wird in dem oft formelhaft vorgetragenen Heldengedenken am 20. Juli auch zu wenig des Mannes gedacht, der juristisch diesen Umschaltknopf bediente und mit einem Schlag den Volksverräter zum ehrenvollen Attentäter im Tyrannenmord machte: Fritz Bauer. Wie schade, daß in diesem Jahr, dem 75. Jahrestag des Versuchs des Tyrannenmordes, wieder vergessen wurde, wem wir die Klarheit der Geschichtsdeutung und Juristerei verdanken. Und wie schade auch, daß nicht einmal die Bundeskanzlerin seinen Namen in den Mund nahm, wahrscheinlich, weil sie, bzw. ihre Redenschreiber ihn kaum kennen, um seine Bedeutung und Wichtigkeit auf jeden Fall nicht wissen.


Wir haben sehr oft über den Remerprozeß geschrieben, weil wir immer schon diesen, in Braunschweig 1952 vom damaligen dortigen Generalstaatsanwalt Bauer als Ankläger geführten Prozeß gegen einen dummgefährlichen Ewiggestrigen in der jungen Bundesrepublik, der die Attentäter als Volksfeinde verleumdete, für den Umschaltknopf in der Geschichte Westdeutschlands hielten, so wie Bauer dies erneut später mit den Auschwitzprozessen in Frankfurt gelang, wohin ihn der damalige hessische Ministerpräsident August Zinn gerade wegen seiner in Braunschweig gezeigten rechtsstaatlichen Durchsetzungsfähigkeit als hessischen Generalstaatsanwalt geholt hatte.

Denn Fritz Bauer war es gelungen, das Gericht in Braunschweig mit dem aus dem Altertum tradierten Begriff des Tyrannenmordes davon zu überzeugen, erstmals in der Geschichte der BRD das Dritte Reich als einen Unrechtsstaat zu qualifizieren, gegen den man sich als Bürger richten mußte, auch um den Preis eines Mordes, eben den Tyrannenmord.

Was das alles mit dem Roman „Stauffenbergs Asche“ zu tun hat? Sehr viel. Der Roman selbst ist eine Fiktion mit Assistenzfiguren, die eine interessante Innensicht der Attentäter, vor allem eben Stauffenbergs bringt. Wir finden aber die vom Autor herangezogenen Zitate genauso wichtig und wollen, da die Rede Winston Churchills im britischen Unterhaus 1946 so bedeutsam ist, sie hier im Henselschen Auszug wiedergeben:

„In Deutschland lebte eine Opposition, die durch ihre Opfer und eine entnervende internationale Politik immer schwächer wurde, aber zu dem Edelsten und Größten gehört, was in der politischen Geschichte aller Völker je hervorgebracht wurde. Diese Männer kämpften ohne eine Hilfe von innen oder außen – einzige getrieben von der Unruhe ihres Gewissens. Solange sie lebten, waren sie für uns unsichtbar und unerkennbar, weil sie sich tarnen mußten. Aber an den Toten ist der Widerstand sichtbar geworden. Diese Toten vermögen nicht alles zu rechtfertigen, was in Deutschland geschah. Aber ihre Taten und Opfer sind das Fundament eines neuen Aufbaus. Wir hoffen auf die Zeit, in der das heroische Kapitel der innerdeutschen Geschichte seine gerechte Würdigung finden wird.“

Interessant und falsch übrigens, daß Churchill nur von Männern spricht. Tatsächlich ist die Geschichte des vielseitigen Widerstands in Deutschland, gerade von Frauen, noch nicht geschrieben. Und sie sterben dahin wie Irmgard Heydorn am 17. Mai 2017, immerhin mit 101 Jahren, wenn sie nicht gleich bei den Nazis denunziert und von ihnen ermordet wurden wie Sophie Scholl. Irmgard Heydorn, eine überzeugte Sozialdemokratin, die all die Jahre in hessischen Schulen ihre Aufklärungsarbeit zusammen mit ihrer Freundin, KZ-Überlebenden und Frankfurter Ehrenbürgerin Trude Simonsohn (98 Jahre) betrieben hatte, hatte am 1. Dezember 2007 die höchste hessische Auszeichnung erhalten: die Wilhelm-Leuschner-Medaille.

Wilhelm Leuschner, auch er ein den Deutschen viel zu wenig bekannter Widerständler. Es scheint so, als ob zudem endlich der Zeitpunkt gekommen ist, wo wir mehr über den regionalen und lokalen Widerstand hören, wie gerade in Frankfurter Pauslkirche geschehen, wo zudem überall in Deutschland neue Forschungen das lange Unterdrückte ans Licht bringen. Dieses Neue verbunden mit dem, was schon lange bekannt ist, also den geschichtlich anerkannten Widerstand, könnte eine neue Dimension für den 20. Juli als Gedenktag aller Widerständler bedeuten. Und dann den Feiertag! Warum nicht? Bessere Argumente für demokratisches Handeln als Widerstand in totalitären Regimen, gibt es nicht.

Fotos:
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Fritz Bauer
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