Heinz Markert
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Wer noch die Illusion hegt, dass ausgerechnet vom Land Brasilien, einem scheiternden Staat, dem tropischen Regenwald Schutz garantiert würde und lau formulierte Umweltklauseln Anwendung fänden, ist nicht von dieser Welt und verkalkuliert sich völlig.
So wie der Ökonom Clemens Fuest, der wieder mit üblichen Syllogismen seines Fachs zur Rechtfertigung des Welthandels schreitet. Kenner vermuten, dass im Gegenzug für den Bezug von mega-eiweißhaltigem Rindfleisch, auf der Basis von Kraftfutter, das längst in die Kritik gekommen ist und aus der Mode gefallen, veraltete deutsche Autoschärpen an den Mann gebracht werden sollen.
Die brasilianische Fehlbesetzung im Präsidentenamt, Jair Bolsonaro, hat die verschärfte Überwachung von NGOs angekündigt. Mit der Liberalisierung des Waffenbesitzes für jeden dahergelaufenen Gewalttäter nimmt er die Rechte indigener und afro-brasilianischer Gruppen indirekt aufs Korn. Zukünftig soll das Agrarministerium für die Demarkation indigener Territorien zuständig sein, nicht mehr die Schutzbehörde von Indigenen. Typen wie Bolsonario müssen mit repressivsten Mitteln der Vereinten Nationen zur Räson gebracht werden, sonst ist Schluss mit lustig auf einem ursächlich eigentlich zur Vernunft fähigen Planeten.
Dem Amazonas-Regenwald droht mit Bolsonario der Exitus schon durch eine - nach gegenwärtigem Recht - verstärkte illegale Abholzung durch Brechung des Rechts. Lange vor Bolsonario war Brasilien „eines der gefährlichsten Länder für Menschenrechtsverteidiger, speziell im Bereich Land- und Umweltrechte“ (wie die Amnesty-News kürzlich meldeten). Südamerika hat die Zeit der Kolonisierung noch nicht überwunden denn, so Amnesty News, „bereits jetzt kostet Waffengewalt in Brasilien täglich das Leben unzähliger Opfer“. Wie auch in US-Amerika. Südamerika kommt dem Faktum eines scheiternden Kontinents immer näher. Das ist aus seiner heraus Geschichte leider angelegt.
Die frühen Sechziger waren die Wende für unsere Weltbetrachtung - dem Schöpfer sei`s gedankt
Schon der fabelhafte Unterricht eines jungen Erdkundelehrers in den frühen sechziger Jahren hatte uns gelehrt, dass der amerikanische Kontinent (Brasilien stand hierfür repräsentativ) in gigantischem Ausmaß mit rücksichtslosen Kolonialtechniken, die unter christlichem Vorzeichen standen, überzogen wurde. Das hatte auch Alexander von Humboldt auf seinen Forschungsreisen am Äquator (1800-1804) immer wieder zur Weißglut gebracht. Die ausbeuterische Unterwerfung der Natur, assistiert von Missionaren und der katholischen Kirche, ging von Anfang an mit der Versklavung und Erniedrigung indigener Menschengruppen einher, die mit der Natur im Einklang lebten, aber trotz ihres Verständnisses vom vernetzten Leben für minderwertig gehalten wurden – weil sie keine Ausbeuternaturen waren! Es ist legitim, aus dem über viele Tage Begeisterung hervorrufenden Buch ‚Alexander von Humboldt und die Erfindung der Natur‘, von Andrea Wulf, ausführlicher zu zitieren: „Humboldt stellte als Erster eine Beziehung zwischen Kolonialismus und Umweltzerstörung her. Immer wieder kam er auf das Bild vom komplexen Lebensnetz der Natur zurück und auf die Rolle des Menschen“.
Mit heutigen Neo-Kolonisatoren also Handel treiben?
„Am Rio Apure erschrak er angesichts der Verwüstungen, die die Spanier angerichtet hatten, als sie versuchten, die jährlichen Überflutungen durch den Bau eines Dammes zu verhindern. Noch schlimmer war, dass sie auch die Bäume fällten, die das Flussufer wie »eine sehr feste Mauer« zusammengehalten hatten, was dazu führte, dass der wütende Fluss jedes Jahr mehr Land mit sich riss. [..] Überall auf der Welt waren Wasserbauingenieure für solche kurzsichtigen Torheiten verantwortlich, beklagte Humboldt. [...] Humboldt [gelernter Bergassessor] diskutierte über die Natur, über ökologische Fragen, imperialistische Macht und Politik und wie diese Aspekte aufeinander wirkten. Er kritisierte ungerechte Landverteilung, Monokulturen, Gewalt gegen indigene Gruppen und Arbeitsbedingungen – auch heute noch aktuelle Probleme“ (S. 141, a.a.O.). Das war's also, was „christlich-abendländische“- und europäische - Kultur über die Welt brachte und mit einem stetig gesteigerten Ressourcenverbrauch noch immer bringt. Weitgehender an der laufenden katastrophischen Entwicklung Interessierten sei der Film:
„Klimafluch und Klimaflucht“ vom 22.07.2019 (ARD)
empfohlen. Mit diesem Film werden die Augen erst ganz groß. Meine Schwester reagierte auf diesen Film im Sinne von: Das wird hart, da kommt was auf uns zu, und: jetzt ist nichts mehr zu retten. Der Text meiner beiden ersten Absätze gründete in einem Reflex auf den Leserbrief eines anderen FR-Lesers (vom 5.7.2019). Dessen Leserbrief gebührt meine ‚vollste‘ Unterstützung, weswegen er auch in voller Länge zitiert werden soll. Ursprünglicher Anlass für unsere Texte war das Treffen der G20 und das Resultat dieses zweifelhaften Treffens: „EU einig mit Mercosur“. Der Leserbrief des besagten FR-Lesers lautet:
„Komplettes Versagen
Zwei Nachrichten, bei denen klar denkende Menschen in blanke Wut geraten müssten: Der G20-Gipfel kommt in Sachen Klimaschutz keinen Millimeter voran, und die EU feiert ein „Freihandelsabkommen“, mit dem die Klimakatastrophe massiv befeuert wird. Die Politiker sind offenbar von allen guten Geistern verlassen. Frankreich wird bei 45 Grad gegrillt, der Permafrost taut 70 Jahre früher als im Worst-Case-Szenario berechnet und die Klimakatastrophe nimmt mit Vollgas ihren Lauf. Wenn das als Erfolg gefeiert wird, dass nun einige Wenige noch mehr Profit aus dem Handel ziehen werden, während dafür einige indigene Völker zumindest ihrer Lebensweise beraubt werden, zudem noch die wichtigste „Klimaanlage“ des Weltklimas, der Regenwald des Amazonas, noch dramatischer gerodet wird, kann man nur annehmen: Entweder sind die Politiker der EU krank im Kopf oder korrupt. Eine dritte Möglichkeit gibt es nicht!
Wenn die derzeit führenden Köpfe „Eliten“ genannt werden, kann dies nur noch elitäres Komplettversagen meinen. Die Bürger müssen es offenbar selbst in die Hand nehmen, um ihre Zukunft zu retten. Auf die Straßen! Fegt die „Eliten“ weg, damit es ein Überleben geben kann. Mit diesen „Eliten“ werden noch einige Jahre die Reichen ein paar Milliarden zusätzlich anhäufen, während ganz viele Bürger in ganz vielen Ländern jetzt schon leiden. Aber unter den Kriegen, die bald ausbrechen werden, weil die heutigen „Eliten“ so vollumfänglich versagen, werden alle leiden. Sogar die Kinder und Enkel der heutigen Versager, die sich Elite nennen“.
Der Artikel ist unterschrieben mit: Stefan Bluemer, Essen
Foto © de.sott.net (Thema: Auswertung von Sattelitenbildern: Weltweit verschwinden Millionen Quadratkilometer Wald)
Zusatz-Info:
http://www.neuewut.de/projekt/xingutapajos/
(Trailer)
Dokumentarfilm von Martin Keßler (37 min, 2019)