a judenzdfKleine Nachhilfe zum Thema Antisemitismus

Conrad Taler

Buxtehude (Weltexpresso) - Jetzt ist der Jammer wieder groß. Dass in Deutschland Juden in Angst leben müssten, zerstöre den Charakter der Republik, klagte die Süddeutsche Zeitung, nachdem in München ein Rabbiner und seine Familie auf offener Straße beschimpft und bespuckt worden waren, weil sie eine Kippa trugen. Ähnliches war kürzlich in Berlin und davor auch in Hamburg geschehen. Wie konnte es geschehen?

Es sind nicht die Einzeltäter, die uns Angst machen sollten, sondern der Mief in den besseren Kreisen. 1997 wurde ein Kinder- und Jugendbuch eines deutschen Autors mit dem Zürcher Kinder- und Jugendbuchpreis ausgezeichnet, in dem über „Judenknoblauch“ gelästert wurde. Ein Buch desselben Verfassers, das von nazistischen Klischees geradezu triefte, bekam den Peter-Härtling-Preis für Kinderliteratur und den Kinder- und Jugendbuchpreis der Stadt Oldenburg  und wurde auf die Auswahlliste Deutscher Jugendliteraturpreis gesetzt.

Schon Ignatz Bubis musste damit leben, dass ihm die Schmähbriefe, die er als Präsident des Zentralrates der Juden zugeschickt bekam, nicht mehr anonym zugeschickt wurden, sondern mit vollem Absendernamen. Bitter hatte sich bereits sein Vorgänger, der Auschwitz-Überlebende Heinz Galinski, darüber beklagt, dass maßgebliche Politiker den Rechtsextremismus „von Anfang an falsch eingeschätzt“ hätten. Besorgt wegen zunehmender Gewalt neonazistischer Gruppen stellte er Ende der 1970er Jahre die Frage „nach den Versäumnissen, die Einrichtungen unseres Staates unterlaufen“ seien. Nachdrücklich verlangte er, dass nun „nicht länger versucht werde, das alles zu bagatellisieren“.

Gefruchtet hat es nichts Als Mitte der 1980er Jahre wieder einmal eine Welle antisemitischer Exzesse über das Land schwappte, fragte die Vizepräsidentin des Bundestages, Annemarie Renger (SPD) vor fast leerem Haus, „welches geistige und politische Klima solche Sumpfblüten gedeihen“ lasse. Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) appellierte an die Öffentlichkeit, die NS-Verbrechen niemals zu vergessen, aber die Proportionen zu wahren. Es gehe entschieden zu weit, von aufkeimendem Antisemitismus zu sprechen. Die Frankfurter Allgemeine mäkelte am nächsten Tag, der Bundestag habe „überflüssigerweise“  über das Thema diskutiert. Je mehr darüber geredet werde, umso mehr wachse die Gefahr eines neuen Antisemitismus.

Das Wegsehen hat sich nicht ausgezahlt. Heute sitzt eine Partei in Kompaniestärke im Deutschen Bundestag, die einen Björn Höcke in ihren Reihen duldet, der lauthals von „dämlicher Bewältigungspolitik“  redet und eine „erinnerungspolitische Wende um 180 Grad“ fordert. Die Aufregung darüber hat sich bis heute nicht gelegt. Aber was unterscheidet Höcke eigentlich von dem Historiker Heinrich August Winkler, der am 70. Jahrestag der Befreiung Deutschlands vom Faschismus von der Rednertribüne im Bundestag aus an die Deutschen appellierte, sie sollten sich “durch die Betrachtung ihrer Geschichte nicht lähmen lassen“?

Entgegen allen Beteuerungen, dass es einen Schlussstrich unter die Vergangenheit niemals geben werde, bestimmt das Schlussstrichdenken längst die politische Wirklichkeit. Der Weg dahin war mit guten Vorsätzen gepflastert.  Am Ende des Weges sind wir noch nicht  angelangt. Konrad Adenauer war einst der Meinung, es genüge, antisemitischen Übeltätern eine Tracht Prügel zu verpassen. Seinem Nimbus hat das nicht geschadet, so wenig wie es Franz-Josef  Strauß geschadet hat, dass er den Neonazismus als Waffe Moskaus bezeichnete, also mit Deutschland eigentlich nichts zu tun habe. Als jetzt in München ein Rabbiner und seine Söhne bespuckt wurden, rief der  bayerische Antisemitismusbeauftragte Ludwig Spaenle (CSU) die Bürger auf, sofort die Polizei zu verständigen. Ja dann, gute Nacht.

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