Bildschirmfoto 2019 08 24 um 07.54.23Keine Geringere als die ehemalige Justizministerin Ayelet Shaked soll Premier Netanyahu Immunität zugesagt haben, ein handfester Skandal für alle Kritiker

Jacques Ungar

Tel Aviv (Weltexpresso) - In Israels Gerüchteküche brodelt es heiss vor den bevorstehenden Wahlen am 17. September. Ohne Unterbruch werden Meldungen in Umlauf gesetzt, meistens schon kurz danach gefolgt von Dementis oder dann mit mehr oder weniger stichhaltigen Bestätigungen anonymer Prominenter aus Israels Politik, Armee, Religion oder Wirtschaft.


Das Volk hingegen wird angesichts der nicht abebbenden Gerüchtewellen zusehends verwirrter und desinteressierter. Verständlich ist dies allemal, sollte sich die Bevölkerung doch schon möglichst bald eine Meinung darüber bilden, wer tatsächlich eine weisse Weste hat und wer trotz aller gegenteiliger Beteuerungen mit immer mehr Flecken auf dem einst blendend weissen Hemd durch die Gegend stolzieren muss.


Bald zurück im Likud?

Neu an der aktuellen Situation ist die Tat­sache, dass besagte Gerüchteküchen mit allen Mitteln bemüht sind, den echten oder vermeintlichen Saubermännern eine «Sauberfrau» gegenüberzustellen: Keine Geringere als die ehemalige Justizministerin Ayelet Shaked soll Premier Netanyahu Immunität zugesagt haben. Ohne sie im Justizministerium würde Netanyahu sowieso im Gefängnis landen, soll sie selbst gesagt haben. Zumindest behauptete das diese Woche die Tageszeitung «Haaretz».­ Vermittler im Auftrag von Shaked, der heutigen Chefin von Yamina, dem neuen Zusammenschluss rechtsgerichteter Parteien des Landes, sollen Netanyahu demnach gesagt haben, dass Frau Shaked bereit wäre, zu versuchen, die Staatsanwaltschaft zu beeinflussen, damit diese nachsichtig mit Netanyahu umgehe.

Dieser ist ja nach wie vor ein Verdächtiger in diversen Korruptionsfällen. Eine Offerte in diesem Sinne soll Ayelet Shaked laut «Haaretz» auch im Rahmen ihrer Bemühungen gemacht haben, im Vorfeld der Knessetwahlen vom 17. September wieder dem Likud beizutreten. In dieser Partei hatte Ayelet Shaked bekanntlich ihre ersten politischen Schritte getan. Dass sie (erfolglos) den Weg zurück in den Likud gesucht habe, gab Shaked freimütig zu. Laut «Haaretz» sollen Shakeds Vermittler deren Unterstützung für Netan­yahus Immunität offeriert haben im Bestreben, ihn dadurch von der Notwendigkeit zu befreien, Prozesse durchzumachen. Shaked blieb, wie nicht anders zu erwarten war, die Reaktion nicht schuldig. Sollten Verlautbarungen angeblicher Vermittler in diesem Sinne tatsächlich gemacht worden sein, meinte sie noch am Erscheinungstag der «Haaretz»-Geschichte, dann handle es sich effektiv um schwerwiegende Ansichten, die aber nicht auf ihre Anweisung geäussert worden seien. «Ich habe nie mit dem Generalstaatsanwalt über Kriminalfälle gesprochen, sicher nicht über Netanyahus Fälle.» Es würde nicht verwundern, wenn diese lakonische Stellungnahme nicht die letzte, was diese blitzgescheite und ebenso raffinierte Politikerin, die in erster Linie auf ihre eigene Karriere bedacht ist, in dieser Geschichte war.


Die Linke tobt

Vorerst jedoch konzentrieren sich die Betroffenen dieses jüngsten (vermeintlichen?) Skandals auf Positionskämpfe, im Bestreben danach möglichst gestärkt und sauber dazustehen. Einige Beispiele aus den zahllosen Reaktionen auf die «Haaretz»-Geschichte mögen Hinweise auf die Stimmung im Volk geben: Yair Golan, ehemaliger IDF-General und heute Mitglied der Demokratischen Union etwa verlangt von Generalstaatsanwalt Avichai Mendelblit, eine Untersuchung gegen die Yamina-Chefin einzuleiten. Grundlage sei besagte «Haaretz»-Reportage gewesen. Die Reaktion von Ex-Premierminister Ehud Barak (Demokratische Union) darauf: «Es handelt sich um einen offensichtlichen Versuch, einen Bestechungsfall zu schaffen, um Einlass zu finden in den Club der Netanyahu-Loyalisten. Dieser Korruptionsfall, sollte er tatsächlich stattgefunden haben, ist der Schwanengesang der Korruption, welche die israelische Demokratie zerstört.» Auch Amir Peretz, Vorsitzender der Arbeitspartei IAP, kritisierte die Kontakte zwischen Shaked und Netanyahu: «Ayelet Shaked und Benjamin Netanyahu sind zwei Politiker ohne Kontakte, die sich nur um sich selbst, ihre Sitze und um das absurde Immunitätsgesetz kümmern. Die enthüllten Aufnahmen, ob nun die Verlautbarungen auf Shakeds Wunsch geäussert worden sind oder nicht, zeigen die von der Rechten unterstützte Lüge: Immunität über alles. Es ist an der Zeit, Shaked und Netanyahus Führung durch eine Führung zu ersetzen, die sich in erster Linie um das Volk kümmert.» Nitzan Horowitz, Vorsitzender der links-liberalen Meretz-Partei, die mit der Demokratischen Front fusioniert hat, nannte den Bericht einen Beweis dafür, dass Israel sich wie eine «Bananenrepublik» aufführe. «Der Generalstaatsanwalt ist in Shakeds Hosentasche, da helfen ihr auch tausend Dementis nicht», sagte er. «Ein solches Angebot durch Shakeds Leute gleicht einer Korruption des ganzen Systems.»

Der Likud hingegen tut es sich laut «Haaretz» wieder einmal einfach mit seiner Reaktion: «Premierminister Netanyahu benötigt keinen Politiker für die Behauptung, dass die absurden Behauptungen gegen ihn vollkommen unbegründet und noch nie dagewesen sind.»


Missbraucht sie ihre Position?

Ayelet Shaked tut die Reportage in der liberalen Zeitung als «verzerrt und tendenziös» ab. Sie bezeichnet den Text als einen «hässlichen Versuch, mich zu beschmutzen», und sie steht auch nicht dazu, dass, wie es heisst, sie Mendelblit nahestehe. «Sie weiss, wie ihn zu beeinflussen», sagte eine Vermittlerperson, selbstverständlich anonym. Ex-General Golan wiederum erklärte in einem Brief an Mendelblit, die Botschaft, die Shaked vermittelte,­ stelle einen Vertrauensmissbrauch dar, einen Versuch, den Premier zu bestechen und eine Behinderung des legalen Prozederes. Er schrieb dem Generalstaatsanwalt: «Diese Botschaften lösen die Besorgnis aus, dass eine hochrangige israelische Ministerin ihr Büro und ihre Autorität dazu missbraucht, einem Verdächtigten zu helfen, dem Gericht zu entfliehen.»

Ob Ayelet Shaked als nächste in der noch lange nicht abgeschlossenen Reihe der effektiv oder angeblich Verdächtigten «drankommen» wird, kann niemand vorhersagen. Unbestrittene Tatsache dürfte aber sein, dass ein Artikel wie die hier zitierte «Haaretz»-Reportage auch einer so hartgesottenen Person wie Ayelet Shaked den nächtlichen Schlaf zumindest partiell rauben wird. Daran ändern auch ihre Dementis je weniger, umso heftiger und emotionaler sie sein mögen. Ob das aber für eine radikale und permanente Abservierung der mit vielen Wassern gewaschenen Politikerin reicht – man wagt es offensichtlich zu bezweifeln. Alles andere zeigt sich dann am 17. September. Und bis dahin dauert es ja noch eine halbe Ewigkeit – zumindest für israelische Verhältnisse.


Foto:
Hat die ehemalige Justizministerin und heutige Chefin der Yamina-Partei wirklich eine so weisse Weste, wie sie offenbar vorgibt?
© tachles

Info:
Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 23. August 2019