Bildschirmfoto 2019 10 12 um 03.18.21Serie: Die Kluft zwischen Arm und Reich und ihre Folgen für die Demokratie, Teil 2

Kurt Nelhiebel

Bremen (Weltexpresso) - Mit der von dem französischen Wissenschaftler Piketty kritisierten „Verherrlichung des Eigentums“ (siehe Teil 1) setzt sich in der Wochenzeitung DIE ZEIT  vom 11. April 2019 auch der Philosoph Tilo Wesche auseinander. Wer an die Eigentumsfrage rühre, dem werde unterstellt, schreibt er, dass er in Wahrheit auf Enteignung aus sei – wie jene, die heute den großstädtischen Wohnungsmarkt für alle zugänglich machen wollten, indem die größten Wohnungsgesellschaften enteignet würden.

Die Eigentumsfrage, so Wesche, ziele jedoch darauf ab, den Grenzen des Eigentums und seinem Freiheitsversprechen, seiner politischen Gestaltungskraft und integrierenden Macht gerecht zu werden. In modernen Gesellschaften sei Eigentum unverzichtbar aber kein Selbstzweck. Wer nur geringfügiges oder gar kein Eigentum besitze, schlussfolgert der als Professor für Praktische Philosophie in Oldenburg lehrende Wissenschaftler, dessen Möglichkeiten, auf Politik und Gesellschaft einzuwirken, beschränkten sich darauf, wählen zu gehen. So entstünden Gefühle der Entwertung, der Bitterkeit, des Abgehängt- und Vergessenseins.  Deshalb bedürfe es einer Demokratisierung der Wirtschaft. Anders lasse sich auch die politische Demokratie nicht festigen und der zunehmende Konflikt zwischen Demokratie und Kapitalismus nicht auflösen.

Im Grundgesetz steht zwar „Eigentum verpflichtet“, aber wer „Butter bei die Fische“ sehen möchte, wie etwa der Vorsitzende der Jungsozialisten, Kevin Kühnert, stößt auf heftige Reaktionen. Der Leiter des Kieler Instituts für Weltwirtschaft, Felbermayr, unterstellte ihm, die Mangelwirtschaft der DDR wieder beleben zu wollen. Der Präsident des Münchner Ifo-Institut, Fuest, hielt Kühnert vor, sich gegen das Wirtschaftsmodell der sozialen Marktwirtschaft zu stellen. Er sollte zu einer linksextremen Partei wie der Linken oder der DKP wechseln. Der Vorsitzende des Betriebsrates bei BMW, Schoch, meinte gar, nach Kühnerts Äußerungen sei die SPD für Arbeiter in deutschen Unternehmen nicht mehr wählbar.

Der Vorsitzende der Jungsozialisten war von der Wochenzeitung DIE ZEIT gefragt worden: „Was heißt Sozialismus für  Sie, Kevin Kühnert?“  Für ihn bedeute das, gab Kühnert zu Antwort, nicht einverstanden zu sein mit der herrschenden Wirtschafts- und teilweise auch Gesellschaftsordnung. Im Mittelpunkt stehe für ihn die demokratische Kontrolle über die Art und Weise, in der Menschen arbeiteten und über das,was sie produzierten. Er sehe in der Entwicklung, Vermarktung und Montage eines Autos gleichwertige Tätigkeiten, weshalb Firmen wie BMW den Beschäftigten zu gleichen Teilen gehören und auf demokratischem Wege kollektiviert werden sollten. „Tatsächlich selbst erarbeitetes Eigentum“ hingegen müsse geschützt sein.

Unterm Strich fordere Kühnert keine Revolution, fasste die Hannoversche Allgemeine am 2. Mai 2019 zusammen. Sozialismus und Demokratie gehörten für ihn zusammen. Er wolle keinen Umsturz, habe er mehrfach betont, sondern strebe einen evolutionären Prozess an, an dessen Ende eine bessere Gesellschaft stehe. CSU-Generalsekretär Blume sprach von „Hirngespinsten“ und einem „schweren Rückfall in klassenkämpferische Zeiten.“  SPD-Generalsekretär Klingbeil bemerkte kleinlaut, Kühnert habe über „eine  gesellschaftliche Utopie“ gesprochen, die nicht die seine sei und die von der SPD auch nicht gefordert werde.

Der Vorsitzende der Jungsozialisten machte damit eine Erfahrung, die Stefan Zweig angesichts der machtpolitischen Verwerfungen nach dem Ersten Weltkrieg so beschrieb: „Die einzige Macht, die nicht gelitten hat, ist der Opportunismus. Weil er im Gegenteil mächtiger, tätiger, geschäftiger ist als je, müssen wir ihn als den Feind erkennen. Den gefährlichsten Feind des Geistes. Den Urfeind der Überzeugung und des Gewissens.“ (Zweig,  Die schlaflose Welt, Frankfurt/Main 2003, Seite  40.) Im Südwestrundfunk verteidigte Kühnert am 3. Mai 2019 seine Aussagen. Der Kapitalismus sei in viel zu viele Lebensbereiche eingedrungen, als dass die SPD weitermachen könne wie bisher. Um wesentliche Fragen dürfe nicht länger herumgeredet werden. Der junge Mann hat einen wortgewaltigen Mitstreiter auf seiner Seite - Helmut Schmidt.

Fortsetzung folgt

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