Jacques Ungar
Tel Aviv (Weltexpresso) - Seitdem die israelische Politik in den letzten Monaten durch den offensichtlichen Unwillen oder die Unfähigkeit gekennzeichnet war, trotz mannigfaltiger Versuche eine lebensfähige Regierungskoalition auf die Beine zu stellen, wächst in der Bevölkerung die Überzeugung, dass Ereignisse wie die Liquidierung des Jihad-Chefs Baha Abu al-Ata, 42, von Dienstagmorgen im Gazastreifen den israelischen Entscheidungsträgern so ungelegen gar nicht gekommen sein dürfte.
Je nach ideologisch-politischem Standort des betreffenden Entscheidungsträgers ist man eher geneigt, davon zu reden, dass eine militärische Eskalation wie jene, die in der Nacht zum Dienstag ihren Anfang genommen hat, den mittel- und langfristigen Wünschen und dem Konzept gewisser israelischer Politiker entgegengekommen sei.
Die Frage nach dem Zeitpunkt
Aus zahlreichen Reaktionen, die meistens von der politischen Linken kamen, seien einige wenige herausgegriffen. Die Abgeordnete Stav Shaffir von der Demokratischen Union etwa erinnerte an die Vergangenheit, als man sich in Ruhe hinter die Entscheidungen der Regierung stellen konnte; heute sei es schwierig, keine Fragen «in Bezug auf den Zeitpunkt» zu stellen. Einige arabische Parlamentarier der Gemeinsamen Liste wiederum machten Netanyahus politische und legale Situation für die Attacke verantwortlich.
Überzeugende Antworten an der Pressekonferenz
An einer kurzen, aber größtenteils überzeugenden Pressekonferenz (ohne Fragen aus dem Publikum) nach der Sitzung des Sicherheitskabinetts vom Dienstag gelang es jedoch Premier Netanyahu, Nadav Argaman vom Shabak-Inlandgeheimdienst und Generalstabschef Kochavi, den Kritikern an der eingeschlagenen Linie weitgehend den Wind aus den Segeln zu nehmen. Übereinstimmend erklärten die drei Entscheidungsträger, dass der Beschluss der Liquidierung al-Atas bereits vor zehn Tagen vom Kabinett einstimmig gefasst worden sei.
Zudem betonten Premier Netanyahu und seine Kollegen, der Jihad-Chef sei eine «lebendige tickende Zeitbombe» gewesen, der die Verantwortung für Hunderte von Anschlägen und Raketenangriffen gegen Israel in blinder Selbstüberheblichkeit immer voll eingestanden habe. Die Teilnehmer an der Pressekonferenz meinten sodann, Israel sei nicht interessiert an einer Eskalation, doch man sei nötigenfalls auf sie vorbereitet. An eine serienmässige Rückkehr zum Instrument der gezielten Tötung sei nicht gedacht, doch falls diese Massnahme sich im israelischen Interesse als notwendig erweisen sollte, könne sie durchaus erneut zur Anwendung gelangen. Premier Netanyahu seinerseits verlangte vom Volk Vertrauen in die Massnahmen, die der Sicherheitssektor ergriffen habe und teils noch ergreifen werde. «Israel wird jeden ins Visier nehmen, der versucht, den Staat Israel anzugreifen», warnte der Regierungschef.
Dann sprach er sicherlich vielen Menschen aus dem Herzen, als er sagte: «Terroristen denken, sie können Zivilisten schlagen und sich dann hinter ihnen verstecken», doch diese Rechnung sei im Falle von al-Ata nicht aufgegangen. «Wir zeigten, dass wir den Terroristen mit einem Mindestschaden für Zivilisten schlagen können. Wer denkt, er könne unsere Zivilisten schlagen und dann ungeschoren davonkommen, der irrt. Wenn ihr uns schlagt, werden wir euch schlagen.»
Shabak-Chef Nadav Argaman meinte, die Tötung al-Atas sei aus operationeller Perspektive zum besten Zeitpunkt geschehen, und Generalstabschef Aviv Kochavi fügte hinzu: «In den letzten Tagen arbeitete al-Ata an der Ausführung von Attacken gegen Israel. Wir versuchten auf verschiedene Arten, seine Bemühungen zu vereiteln, doch ohne Erfolg. Darauf empfahlen wir eine gezielte Tötung. Wir sind nicht interessiert an einer Eskalation, doch wir sind vorbereitet – zu Boden, in der Luft und im Wasser.» Die nächsten Tage werden zeigen, in welchem Ausmass Netanyahu mit seiner Vermutung richtig liegt, dass die Beruhigung im Gazastreifen und an der Grenze zwischen Israel und dem Streifen Zeit benötige, sehr viel Zeit. Irgendwo «zwischen Tag und Traum» liegt die Realität, die letzten Endes auch für einen Netanyahu bindend sein wird. Dazu werden, wenn Zeit und Stimmung reif sein werden, Israels Juristen und Richter schon Sorge tragen.
Innenpolitische Perspektive
Zweifelsohne wird Avigdor Lieberman es jetzt nach der Aktion al-Ata noch schwieriger haben, sein gegen Blauweiss-Chef Benny Gantz und Premier Netanyahu gerichtetes Ultimatum durchzudrücken. Gantz seinerseits wird angesichts des mit der Aktion von Gaza gestiegenen Vertrauenspegels für Netanyahus Person sichtlich wachsende Mühe bekunden, das Konzept einer engen Regierungskoalition ohne den Likud in die Tat umzusetzen. Der Handlungsspielraum für die meisten am Koalitionskarussell Beteiligten wird zusehends enger, was irgendwie ja auch seine guten Seiten haben kann. Und dabei haben wir noch gar nicht von Naftali Bennett gesprochen, dem neuen Veteidigungsminister von Netanyahus Gnaden. Vielleicht erweist es sich für ernsthafte Politiker letztlich als vernünftig, bis nach der Regierungsbildung möglichst wenig von Bennett und der in seinem Schlepptau wandelnden Ex-Justizministerin Ayelet Shaked zu sprechen. Das Problem könnte sich von allein lösen.
Foto:
Nach der Tötung von Terrorist al-Ata stand Israels Kernland unter Raketenbeschuss wie hier an der Grenze zum Gazastreifen in Sderot
© tachles
Info:
Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 14. November 2019
Die Frage nach dem Zeitpunkt
Aus zahlreichen Reaktionen, die meistens von der politischen Linken kamen, seien einige wenige herausgegriffen. Die Abgeordnete Stav Shaffir von der Demokratischen Union etwa erinnerte an die Vergangenheit, als man sich in Ruhe hinter die Entscheidungen der Regierung stellen konnte; heute sei es schwierig, keine Fragen «in Bezug auf den Zeitpunkt» zu stellen. Einige arabische Parlamentarier der Gemeinsamen Liste wiederum machten Netanyahus politische und legale Situation für die Attacke verantwortlich.
Überzeugende Antworten an der Pressekonferenz
An einer kurzen, aber größtenteils überzeugenden Pressekonferenz (ohne Fragen aus dem Publikum) nach der Sitzung des Sicherheitskabinetts vom Dienstag gelang es jedoch Premier Netanyahu, Nadav Argaman vom Shabak-Inlandgeheimdienst und Generalstabschef Kochavi, den Kritikern an der eingeschlagenen Linie weitgehend den Wind aus den Segeln zu nehmen. Übereinstimmend erklärten die drei Entscheidungsträger, dass der Beschluss der Liquidierung al-Atas bereits vor zehn Tagen vom Kabinett einstimmig gefasst worden sei.
Zudem betonten Premier Netanyahu und seine Kollegen, der Jihad-Chef sei eine «lebendige tickende Zeitbombe» gewesen, der die Verantwortung für Hunderte von Anschlägen und Raketenangriffen gegen Israel in blinder Selbstüberheblichkeit immer voll eingestanden habe. Die Teilnehmer an der Pressekonferenz meinten sodann, Israel sei nicht interessiert an einer Eskalation, doch man sei nötigenfalls auf sie vorbereitet. An eine serienmässige Rückkehr zum Instrument der gezielten Tötung sei nicht gedacht, doch falls diese Massnahme sich im israelischen Interesse als notwendig erweisen sollte, könne sie durchaus erneut zur Anwendung gelangen. Premier Netanyahu seinerseits verlangte vom Volk Vertrauen in die Massnahmen, die der Sicherheitssektor ergriffen habe und teils noch ergreifen werde. «Israel wird jeden ins Visier nehmen, der versucht, den Staat Israel anzugreifen», warnte der Regierungschef.
Dann sprach er sicherlich vielen Menschen aus dem Herzen, als er sagte: «Terroristen denken, sie können Zivilisten schlagen und sich dann hinter ihnen verstecken», doch diese Rechnung sei im Falle von al-Ata nicht aufgegangen. «Wir zeigten, dass wir den Terroristen mit einem Mindestschaden für Zivilisten schlagen können. Wer denkt, er könne unsere Zivilisten schlagen und dann ungeschoren davonkommen, der irrt. Wenn ihr uns schlagt, werden wir euch schlagen.»
Shabak-Chef Nadav Argaman meinte, die Tötung al-Atas sei aus operationeller Perspektive zum besten Zeitpunkt geschehen, und Generalstabschef Aviv Kochavi fügte hinzu: «In den letzten Tagen arbeitete al-Ata an der Ausführung von Attacken gegen Israel. Wir versuchten auf verschiedene Arten, seine Bemühungen zu vereiteln, doch ohne Erfolg. Darauf empfahlen wir eine gezielte Tötung. Wir sind nicht interessiert an einer Eskalation, doch wir sind vorbereitet – zu Boden, in der Luft und im Wasser.» Die nächsten Tage werden zeigen, in welchem Ausmass Netanyahu mit seiner Vermutung richtig liegt, dass die Beruhigung im Gazastreifen und an der Grenze zwischen Israel und dem Streifen Zeit benötige, sehr viel Zeit. Irgendwo «zwischen Tag und Traum» liegt die Realität, die letzten Endes auch für einen Netanyahu bindend sein wird. Dazu werden, wenn Zeit und Stimmung reif sein werden, Israels Juristen und Richter schon Sorge tragen.
Innenpolitische Perspektive
Zweifelsohne wird Avigdor Lieberman es jetzt nach der Aktion al-Ata noch schwieriger haben, sein gegen Blauweiss-Chef Benny Gantz und Premier Netanyahu gerichtetes Ultimatum durchzudrücken. Gantz seinerseits wird angesichts des mit der Aktion von Gaza gestiegenen Vertrauenspegels für Netanyahus Person sichtlich wachsende Mühe bekunden, das Konzept einer engen Regierungskoalition ohne den Likud in die Tat umzusetzen. Der Handlungsspielraum für die meisten am Koalitionskarussell Beteiligten wird zusehends enger, was irgendwie ja auch seine guten Seiten haben kann. Und dabei haben wir noch gar nicht von Naftali Bennett gesprochen, dem neuen Veteidigungsminister von Netanyahus Gnaden. Vielleicht erweist es sich für ernsthafte Politiker letztlich als vernünftig, bis nach der Regierungsbildung möglichst wenig von Bennett und der in seinem Schlepptau wandelnden Ex-Justizministerin Ayelet Shaked zu sprechen. Das Problem könnte sich von allein lösen.
Foto:
Nach der Tötung von Terrorist al-Ata stand Israels Kernland unter Raketenbeschuss wie hier an der Grenze zum Gazastreifen in Sderot
© tachles
Info:
Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 14. November 2019