Doch die Staatsanwaltschaft erkennt darin keine Gefahr
Klaus Philipp Mertens
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Die Frankfurter Staatsanwaltschaft sieht in der Verbreitung verfassungsfeindlicher Symbole und rassistischer Darstellungen innerhalb einer Chatgruppe keinen hinreichenden Tatverdacht.
Pikanterweise ist der Versender ein leitender Polizeibeamter aus Mühlheim (Main). Ende des Jahres 2016 hatte dieser Dienstgruppenleiter Fotos mit rechtextremistischen und rassistischen Parolen verschickt. Insgesamt sechs Polizisten gehörten dieser Gruppe an. Eines der Bilder zeigte eine ältere Frau, die ein Backblech mit Keksen in Hakenkreuzform präsentiert. „Oma hat Plätzchen gebacken, sind nur etwas braun geworden“ lautet die Bildunterschrift. Im Einstellungsbeschluss der Staatsanwaltschaft wird zwar hervorgehoben, dass es sich zweifelsfrei um verfassungswidrige Kennzeichen handelt. Das Foto sei jedoch lediglich in einer Chatgruppe mit geringer Teilnehmerzahl verbreitet worden. Wörtlich heißt es: „Es gibt auf der Basis dessen keine tatsächlichen Anhaltspunkte dafür, annehmen zu können, dass der Beschuldigte damit rechnen musste - geschweige denn positiv wusste - dass es zu einer Überlassung an Dritte kommen würde." Die entscheidenden Tatbestandsmerkmale des Verbreitens oder öffentlichen Verwendens seien somit nicht erfüllt. Diese Einschätzung macht einerseits die mangelhaften technischen Kenntnisse der Strafverfolgungsbehörde deutlich und andererseits deren Demokratie- und Verfassungsbewusstsein.
Ein anderes Foto zeigt drei dunkelhäutige Männer in Wehrmachtsuniform. Es trägt die Unterschrift: „Bundeswer 2020“. Diese Darstellung wertet die Staatsanwaltschaft zwar als "geschmacklich fragwürdige Kritik an einer vom Hersteller/Verwender des Bildes befürchteten Personalentwicklung der Bundeswehr." Sie sei aber mit der von Artikel 5 des Grundgesetzes garantierten Meinungsfreiheit gedeckt. Ein Aufstacheln zum Hass, beschimpfen, böswilliges Verächtlichmachen oder Verleumden einer bestimmten Bevölkerungsgruppe liege nicht vor. Daher könne das Versenden des Bildes auch nicht als Volksverhetzung gewertet werden.
Bei Hakenkreuzen und anderen verfassungsfeindlichen Symbolen sowie bei offensichtlich zur Schau gestelltem Rassismus können sich Täter immer wieder auf die Meinungsfreiheit berufen – selbst in Fällen, in denen diese den Artikel 1 des Grundgesetzes, also den Schutz der Menschenwürde, infrage stellt. Falls aber tatsächlich jede Meinung geschützt sein sollte, auch die eindeutig menschenverachtende, würde der Grundgesetzartikel 5 den Artikel 1 aushebeln und einen nicht zu rechtfertigenden Widerspruch zwischen Verfassungsnorm und Verfassungswirklich im Bereich der unveräußerlichen Grundrechte schaffen.
Der Bundesgerichtshof und das Bundesverfassungsgericht haben durch ihre Entscheidungen den § 130 des StGB (Volksverhetzung) zu einer wirkungslosen Waffe im Kampf gegen rechtsextremistischen Terror gemacht. Rechtsgeschichtlich gilt ein Verfahren in Bochum aus dem Jahr 2004 als Meilenstein in die falsche Richtung. Mehrere Gerichte hatten eine Protestveranstaltung der NPD gegen den Bau einer Synagoge in Bochum verboten. Doch die erklärtermaßen verfassungsfeindliche Partei hatte sich daraufhin an das Bundesverfassungsgericht gewandt. Dieses hob die Entscheidungen der Vorinstanzen auf und begründete das so:
»Das Grundrecht auf Meinungsfreiheit ist ein Recht auch zum Schutz von Minderheiten; seine Ausübung darf nicht allgemein und ohne eine tatbestandliche Eingrenzung, die mit dem Schutzzweck des Grundrechts übereinstimmt, unter den Vorbehalt gestellt werden, dass die geäußerten Meinungsinhalte herrschenden sozialen oder ethischen Auffassungen widersprechen. Beschränkungen der Meinungsfreiheit dürfen nicht darauf gestützt werden, was in einer Versammlung möglicher Weise gesagt werden würde, sondern ob sich die Versammlungsteilnehmer gegenüber anderen Bürgern aggressiv und provokativ verhalten würden.«
Mit anderen Worten: Die Meinung, die verbal geäußert wurde, muss erst in eine Handlung umgesetzt werden, um strafbar zu sein. Doch die Frankfurter Staatsanwaltschaft hätte sich im konkreten Fall nur in den seriösen Medien sachkundig machen müssen, um das Gefährdungspotenzial gewaltverherrlichender Meinungsäußerungen hinreichend erfassen zu können: Von den Brandanschlägen in Mölln und Hoyerswerda, von der Mordserie des NSU, vom Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt, vom Mord an Walter Lübcke oder vom Anschlag auf die Synagoge in Halle (Saale). Sämtlichen Verbrechen gingen Drohungen und Einschüchterungen entweder voraus oder wurden als Bekennerschreiben nachgereicht. In ihrer inhaltlichen und formalen Artikulation waren sie den Fotos ähnlich, die in der Polizisten-Chatgruppe herumgereicht wurden.
Und es gibt noch einen weiteren Aspekt: Das deutsche Strafrecht kennt ein so genanntes Besitzverbot. Wer dagegen verstößt, muss mit strafrechtlichen, in leichteren Fällen mit ordnungsrechtlichen Sanktionen rechnen. Beschaffung und Besitz eines solchen verbotenen Objekts werden als Beweise gewertet und begründen grundsätzlich einen hinreichenden Tatverdacht. So bei der Verfolgung von Kinderpornografie oder illegalem Waffenbesitz – und das zu Recht. Es ist vor dem Hintergrund der vielen Opfer terroristischer Gewalt höchste Zeit, das Inverkehrbringen verfassungsfeindlicher, antisemitischer und rassistischer Texte und Symbole strafrechtlich genauso zu bewerten wie den Besitz von kinderpornografischen Darstellungen und Waffen. Unabhängig von der zahlenmäßigen Größe und Bedeutung der ursprünglichen Zielgruppe.
Es erscheint zudem leichtfertig, das Vertrauen in die Polizei durch das Nichthandeln der Staatsanwaltschaft aufs Spiel zu setzen. Können sich die Bürger von Mülheim (Main) und auch anderswo noch schutzsuchend an die Polizei wenden oder müssen sie befürchten, zunächst nach einem verfassungsfeindlichen und rassistischen Filter aussortiert zu werden? Man darf auf das noch ausstehende interne Disziplinarverfahren gespannt sein.
Foto:
Rechtsradikales Motiv „Oma hat Plätzchen gebacken, sind nur etwas braun geworden“
© Hessischer Rundfunk