Bildschirmfoto 2019 12 07 um 02.25.03Israels Ministerpräsident Binyamin Netanyahu kämpft nicht nur in seinem Land um das politische Überleben, auch im Ausland schliessen sich langsam die Türen für ihn wie gerade in London

Jacques Ungar

Tel Aviv (Weltexpresso) - Für einmal musste Premierminister Binyamin Netanyahu zur Kenntnis nehmen, dass seine in Israel praktisch absolute Weisungs- und Befehlsgewalt spätestens an den Landesgrenzen abrupt abprallt.

So geschah es diese Woche, als der Regierungschef nach zwei Telefongesprächen innert weniger Tage mit US-Präsident Trump erneut versuchen wollte, die amerikanische Karte zu spielen, dieses Mal auf dem Buckel der Briten. Hinter der fadenscheinigen Begründung, dem Nato-Gipfeltreffen beiwohnen zu wollen, das am Dienstag in London seinen Anfang genommen hat, ging es ihm effektiv wohl nur darum, US-Staatssekretär Mike Pompeo am Rande des Gipfels für ein vertrauliches Treffen zu gewinnen.

Während Pompeo den Wünschen Netan­yahus zur Image-Aufbesserung vor den Wahlen und, in etwas weiterer Ferne, seinen Gerichtsprozessen gegenüber nicht negativ eingestellt zu sein schien, reagierten Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron auf ähnliche Anliegen des israelischen Premiers nicht einmal mit einer diplomatisch verbrämten Ablehnung.

Schliesslich musste Netanyahu aber einsehen, die Rechnung offenbar ohne den britischen Wirt gemacht zu haben. London gab einfach kein Einverständnis für die aufgezwungene Netanyahu-Visite. Offiziell wurden «logistische Probleme» als Grund angegeben, doch waren in Israel auch Stimmen zu hören, die hinter vorgehaltener Hand von einer Verstimmung der Briten sprachen, die offenbar pikiert waren, weil Netanyahu britisches Territorium «missbrauchen» wollte, um eigene, von den Briten völlig losgelöste politische Ziele zu verfolgen.

Im September gelang es dem israelischen Premier noch, britische Hinweise auf eine ungenügende Vorbereitungszeit und die von Sicherheitskreisen erwähnten Ängste vor Terrortätigkeit egozentrisch in den Wind zu schlagen und ­US-Verteidigungsminister Mark Esper zu treffen, während der britische Premierminister Boris Johnson, wie «Haaretz» erwähnte, für Netanyahu nur gerade eine halbe Gesprächsstunde übrig hatte. Unter dem Deckmantel der Anonymität sprach ein britischer Offizieller vom Benehmen Netan­yahus als von einer «besonderen Art der Unverschämtheit», unerwartet in einem anderen Land auftauchen zu wollen, insbesondere in der Absicht, einen ausländischen Politiker zu treffen. Netanyahu ist aber bekanntlich um originelle Notlösungen nicht verlegen, vor allem wenn es darum geht, eigene Ziele zu verfolgen und durchzusetzen. Laut israelischen Medienberichten ist ein Treffen von Netanyahu mit Pompeo schon in wenigen Tagen in Lissabon vorgesehen, wohin der Premier am Mittwoch für zwei Tage abgeflogen ist.


«Historische Gelegenheiten»

Abschliessend zu dieser Affäre sei noch das Telefongespräch erwähnt, das Netanyahu am Sonntag mit Trump geführt hat. Es sei eine «sehr wichtige Unterhaltung» für Israels Sicherheit gewesen, sagte der Premier. «Wir haben die Situation mit Iran besprochen, doch wir sprachen auch ausführlich über künftige historische Gelegenheiten, die uns in den kommenden Monaten präsentiert werden dürften.» Zu diesen Gelegenheiten zählt für Netanyahu gemäss seinen Ausführungen die «Anerkennung des Jordantals als Israels Ostgrenze» sowie die Unterzeichnung eines Verteidigungsabkommens mit den USA. Wörtlich meinte der israelische Premier: «Wir haben die Möglichkeit, Dinge zu verwirklichen, von denen wir bisher nur träumen konnten.»

Was die Jordan-Grenze betrifft, könnte König Abdullah II. Netanyahu allerdings noch Schwierigkeiten bereiten. Am Dienstag berichtete das israelische Fernsehen nämlich davon, dass in Amman die Meinung kursiere, der Friedensvertrag mit Israel sei in echter Gefahr, wenn Israel seine Pläne bezüglich des Jordantals verwirkliche. Der jordanische Monarch scheint unter zunehmendem Druck seiner Nationalisten zu stehen, denen der Frieden mit dem israelischen Nachbarn schon lange ein Dorn im Auge ist. Bleibt abzuwarten, wie lange Netanyahu seine eigenen Prioritäten noch regionalen Interessen voranstellen kann, ohne Konsequenzen zu fürchten.


Prophezeiungen eines Offiziers

Der anscheinend unstillbare Drang des amts­ältesten israelischen Regierungschefs, als wirtschaftspolitischer Messias in die Geschichte des Landes einzugehen, ist unverkennbar. Düstere Schatten auf diese nur vordergründig löblichen Absichten wirft da eventuell ein ehemaliger hochrangiger israelischer Luftwaffen-Offizier, der davor warnte, dass ein Krieg mit Iran und der Hizbollah-Miliz für Israel «nie zuvor gesehene Bilder» produzieren würde (vgl. tachles 48/19). Der Offizier nennt den von ihm an die Wand gemalten Krieg eine «ernste Gefahr für die Heimat mit Tausenden von Raketen jeden Tag», auch wenn sich Israel am Ende des Konflikts nicht am Nullpunkt wiederfinden würde. «Wir müssen alles in die richtige Perspektive setzen», sagte er. Iran und die Hizbollah könnten gewiss Schaden anrichten, der wahrscheinlich grösser sein würde als in der Vergangenheit. Ähnlich einem biblischen Propheten wiegelt der Luftwaffenoffizier ab: «Alle von uns sollten auf den Tag danach vorbereitet sein, der sich von dem unterscheiden wird, was wir sehen. Doch der Staat Israel wird nicht verschwunden sein. Wir müssen Leben und strategische Stätten schützen. Das lässt sich machen. Infrastruktur lässt sich wiederaufbauen.» In einem hat der Ex-Offizier sicher nicht unrecht: Israels Feinde könnten von der regierungslosen Situation in Israel profitieren, indem sie versuchen, das Land an seinen verwundbaren Stellen zu treffen. Dennoch seien auch Israels Feinde nicht an einem voll ausgewachsenen Krieg oder Konflikt interessiert, aber Iran und die Hizbollah bleiben nun mal die «grössten Gefahren». Und dann kommt schon die Hamas im Gazastreifen.


Wie ruhig?

«Lieb Vaterland, magst ruhig sein», heisst es in einem bekannten Volkslied. Diesem Satz sei nur ein einziges Wort entgegengehalten: Wirklich? Spontan können wir beruhigt in diese Strophen einstimmen, denn kurzfristig betrachtet können die israelischen Kriegshelden derzeit kaum so schnell Worte in Taten umsetzen, steht doch die Lösung eines gewichtigen Problems an: Die dritten Knessetwahlen innert weniger als einem Jahr erscheinen den Israeli mit jedem Tag wahrscheinlicher. Die Koalitionsgesprächspartner entfernen sich mit jeder Sitzung weiter voneinander. Darüber hinaus verdichten sich Vermutungen, dass der Urnengang nicht erst im März, sondern bereits am 25. Februar stattfinden würde. Da bleibt kaum noch Zeit für einen seriös geführten Wahlkampf. Und ohne einen solchen kann man die Israeli ohnehin nicht an die Urnen locken.

Foto:

Nachdem die britische Regierung angegeben hatte, logistische Probleme mit der spontanen Selbsteinladung des israelischen Ministerpräsidenten zu haben, hat Netanyahu den Besuch schliesslich abgesagt.

 Info:
Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 6. Dezember 2019