Eine israelische Start-up-Firma gerät unter Beschuss, weil sie eine Technologie zur Gesichtserkennung entwickelt hat, die ethischen Grundsätzen widerspricht
Redaktion tachles
Basel (Weltexpresso) - Der US-amerikanische Konzern Microsoft Corp. hat sich die Hilfe des früheren amerikanischen Generalstaatsanwalts Eric Holder gesichert. Er soll untersuchen, ob der Gebrauch einer von der israelischen Start-up-Firma Anyvision entwickelten Gesichtserkennungstechnologie mit den ethischen Grundsätzen des Konzerns vereinbar ist. Das Pikante an der Sache: Das Start-up wurde eigens von Microsoft finanziert.
Die ausserhalb von Tel Aviv gelegene Firma Anyvision ist nach Angaben in «The Marker», der Wirtschaftszeitung von «Haaretz», und in NBC News ins Kreuzfeuer der Kritik geraten. Die Technologie der Firma soll, wie es heisst, benutzt werden, um in der Westbank lebende Palästinenser zu überwachen. Anyvision, die gegenüber NBC solchen Gebrauch seiner Dienstleistungen dementiert hat, hat auf ein Ersuchen zur Stellungnahme nicht reagiert. Zivilrechtsgruppen unterstreichen diesen Verdacht mit der Behauptung, solche Überwachungen könnten zu unfairen Verhaftungen und Einschränkungen der Ausdrucksfreiheit führen.
Nicht zur Überwachung
der Westbank eingesetzt
Microsoft hat bereits letztes Jahr ethische Prinzipien im Zusammenhang mit der Gesichtserkennung verkündet. «In Szenarien, die unserer Meinung nach diese Freiheiten in Frage stellen, werden wir», wie Microsoft bekräftigte, «keine Gesichtserkennungstechnologie anwenden.» Holder werde, wie der Konzern weiter erklärte, ein Team der Anwaltsfirma Covington & Burling leiten, um die Untersuchung zu führen. Holder, der führende juristische Offizielle unter dem ehemaligen US-Präsidenten Barack Obama, war 2017 von Uber Technologies Inc. angeheuert worden, um Behauptungen betreffend sexuellen Belästigungen zu untersuchen. Er reagierte nicht unmittelbar auf die Bitte um eine Reaktion.
M12, der Venture Fund der in Redmond, Washington, basierten Microsoft, nahm an einer Investitionsrunde in Höhe von 47 Millionen Dollar teil, die Anyvision im Juni verkündet hatte. NBC hatte berichtet, dass die Technologie von Anyvision in der Westbank und an Israels Grenzübergängen angewendet würde. Die Gesellschaft teilte NBC mit, dass ihre Software nicht für die Westbank-Überwachung eingesetzt würde. An den Grenzübergängen würde sie in einer Weise eingesetzt, die der Benutzung der biometrischen Identifikation durch den US-Zoll an Flughäfen gleiche. In einem im letzten August veröffentlichten Blog-Post sagte Anyvision auch, man werde eine ethische Beratungskommission ins Leben rufen. Zudem fühle man sich für die Verhinderung eines Missbrauchs der Technologie verantwortlich. Gleichzeitig rühmte die Firma sich, wie Gesichtserkennung das Verfahren an den Grenzübergängen beschleunige, während die Technologie gleichzeitig den Gesetzesvertretern das Entdecken von Kriminellen erleichtere.
Mit Kamera Angreifer aufspüren
Microsoft selbst vermarktet ein Gesichtserkennungsinstrument und unterstützte eine unlängst angekündigte Vorlage des US-Senats, die einen gerichtlichen Befehl nötig machen würde, bevor Bundesbeamte die Technologie für gezielte, kontinuierliche Überwachung brauchen könnten. Neema Singh Guliani, ein hochrangiger Berater der amerikanischen Union für Bürgerrechte, meinte, die Vorlage sei sehr mangelhaft in der Beschützung der Privatsphäre der Menschen.
«Haaretz» und «The Marker» berichteten im vergangenen Juli, dass Anyvision an zwei speziellen Projekten teilnehme, die den IDF in der Westbank helfen würden. Eines beinhalte ein System, das an Kontrollpunkten der Armee installiert worden ist, die täglich Tausende Westbank-Palästinenser auf ihrem Weg von und zum Arbeitsplatz passieren. Das Produkt gestattet der Armee, rasch zu bestimmen, ob die passierende Person eine israelische Arbeitsbewilligung besitzt. Das verkürzt die Wartezeit an der Grenze. Das zweite Projekt von Anyvision ist viel vertraulicher. Es schliesst die Gesichtserkennungstechnologie anderswo in der Westbank ein, nicht nur an Grenzübergängen. Tief in der Westbank installierte Kameras versuchen, potenzielle palästinensische Angreifer zu erkennen und zu überwachen, wie «Haaretz» damals berichtete.
Laut der Website von Anyvision verfügt die Firma über ein Personal von 240 Mitarbeitenden, hat ihre Basis im nordirischen Belfast und operiert weltweit in 43 Staaten und an über 350 Orten wie Stadien, Flugplätzen und Casinos. Der Website ist ebenfalls zu entnehmen, dass die Produkte von Anyvision an einigen der am besten geschützten Flugplätzen der Welt benutzt werden. Das Unternehmen spricht betreffend diese Technologie von einer Genauigkeitsrate von 99,9 Prozent, verglichen mit nur 70 Prozent bei Systemen der Konkurrenz. Im Durchschnitt verzeichnet es nach eigenen Angaben weniger als eine falsche Lesung pro Tag. Kürzlich ist Anyvision zudem von Gartner als «Cool Vendor» bezeichnet worden. Gartner ist die Forschungs- und Beratungsfirma, die von Start-ups entwickelte Technologien ehrt, die einen durchbrechenden Charakter haben.
Foto:
Kontrollen am Checkpoint Qalandiya zwischen Jerusalem und der Westbank
© tachles
Info:
Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 6. Dezember 2019