Deutschland und der Holocaust
Andreas Mink
Auschwitz (Weltexpresso) - Am Ende ihrer Amtszeit als Bundeskanzlerin hat Angela Merkel am Freitag das ehemalige Vernichtungslager Auschwitz besucht. Schon vorab hatte sie eine Unterstützung von 60 Millionen Euro für die Gedenkstätte gelobt.
Als drittes Regierungsoberhaupt Deutschlands hat Angela Merkel am Freitag erstmals in ihrer Amtszeit das ehemalige Konzentrationslager Auschwitz besucht. Die Kanzlerin hielt an einer Rede fest, die Verantwortung der Deutschen für den Holocaust werde niemals enden. Vor Merkel hatten Helmut Schmidt 1977 und Helmut Kohl 1989 und 1995 die Gedenkstätte besucht. Bereits am Donnerstag hatte die Kanzlerin eine Spende von 60 Millionen Euro für die Bewahrung der Gedenkstätte bekannt gegeben. Anlass ihres Besuchs war das zehnjährige Bestehen der Stiftung Auschwitz-Birkenau.
Merkel «verneigte sich vor den Opfern der Shoah» und sagte an ihrer Rede: «Auschwitz war ein deutsches, von Deutschen betriebenes Vernichtungslager». Die daraus erwachsene Verantwortung der Deutschen werde niemals enden: «Sie ist nicht verhandelbar. Sie ist fester Teil unserer Identität» (Link).
Vor ihrer Rede machte Merkel gemeinsam mit dem polnischen Ministerpräsidenten Mateusz Morawiecki einen Rundgang durch die Gedenkstätte. Sie durchschritten das Tor mit dem Schriftzug «Arbeit macht frei» und legten Kränze an der sogenannten Todeswand nieder. Dort hatte die SS Tausende von Todesurteilen vollstreckt.
Die Kanzlerin gestand ein, der Besuch sei ihr schwer gefallen: «Ich empfinde tiefe Scham angesichts der barbarischen Verbrechen, die hier von Deutschen begangen wurden». Merkel gedachte der sechs Millionen von Hitler-Deutschland ermordeten Juden, aber auch Verfolgten wie Sinti und Roma, Widerstandskämpfern oder Menschen mit Behinderungen. Merkel sprach zudem das jüdische Leben in Deutschland und die guten Beziehungen der Bundesrepublik zu Israel heute an. Dies seien keine Selbstverständlichkeiten: Werte des Grundgesetzes wie Menschenwürde, Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, müssten geschützt und verteidigt werden: «wir erleben einen besorgniserregenden Rassismus, eine zunehmende Intoleranz, eine Welle von Hassdelikten». Die Kanzlerin unterstrich: «Wir dulden keinen Antisemitismus» und forderte, der Beleidigung und Ausgrenzung von Menschen energisch entgegen zu treten.
An dem Festakt nahmen auch ehemalige Häftlinge des KZ teil. Merkel bedankte sich bei ihnen dafür, dass sie von ihren leidvollen Erfahrungen berichteten, damit Jüngere daraus lernen. Dies sei mutig und zeige wahrhaft menschliche Grösse. «Auschwitz» stehe für den «millionenfachen Mord an den Jüdinnen und Juden Europas, für den Zivilisationsbruch der Schoah, dem sämtliche menschlichen Werte zum Opfer fielen». Allein im Lagerkomplex Auschwitz seien mindestens 1,1 Millionen Menschen «planvoll und mit kalter Systematik» umgebracht worden.
Polens Ministerpräsident Morawiecki rief dazu auf, die Erinnerung über die Verbrechen von Nazi-Deutschland wachzuhalten. Neben den Regierungschefs sprach der Auschwitz-Überlebende Bogdan Stanislaw Bartnikowski über seine Haft. Die deutschen Besatzer hatten ihn als Zwölfjährigen mit seiner Mutter in das KZ deportiert. Daneben traf Merkel in Auschwitz den Präsidenten des Jüdischen Weltkongresses, Ronald S. Lauder. Dieser dankte ihr für die Hilfe von 60 Millionen Euro und erklärte, die Kanzlerin sei eine geschätzte und zuverlässige Verbündete im Kampf gegen Antisemitismus.
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Info:
Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 9. Dezember 2019
Im Originalartikel ist am Schluß ein Link vorgesehen, der auf folgende Seite des Domradios verweist, wo auch viele Aufnahmen abgedruckt sind:
https://www.domradio.de/themen/kirche-und-politik/2019-12-06/ich-empfinde-tiefe-scham-merkel-besucht-erstmals-gedenkstaette-auschwitz