Bildschirmfoto 2020 01 26 um 02.59.13Joachim Gauck in hr-iNFO über Toleranz, Einmischung und Streitkultur

Günther Winckel

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Seine Zeit als Bundesbeauftragter für die Stasi-Unterlagen bezeichnet Joachim Gauck als „schönste und wichtigste“ seines Lebens. In der hr-iNFO-Sendung „Das Interview“ spricht der Buchautor und Bundespräsident a.D. über Toleranz und Streit, sein Leben im Unruhestand und die Freiheit, seine Meinung öffentlich zu vertreten. Am 24. Januar 2020 wurde er achtzig Jahre alt.

Der ehemalige Rostocker Pastor Joachim Gauck war von 1990 an erster „Bundesbeauftragter für die Stasi-Unterlagen“ und prägte ein Jahrzehnt lang die bald als „Gauck-Behörde“ bekannte Institution. „Die wunderbarste und schönste Zeit meines Lebens“ sei dies gewesen, weil er spüren und erleben konnte, „wie eine lange eingeübte Haltung von Anpassung, Gehorsam und Furcht sich wandeln kann in Ermächtigung.“


„Wir haben uns das vor 30 Jahren nicht vorstellen können“

„Mit welchem Hass und welcher Häme“ gewählte Amtsträger und „Politiker heute überzogen werden“, habe er sich vor drei Jahrzehnten nicht vorstellen können, sagt Joachim Gauck im Gespräch mit ARD-Hauptstadtkorrespondentin Isabel Reifenrath. Das Thema seines aktuellen Buchs „Toleranz: einfach schwer“ sieht er als zentrale gesellschaftliche und persönliche Aufgabe: „Die Veranstaltungen, wo ich über das Thema Toleranz spreche oder aus diesem Buch vorlese, sind mir im Moment die liebsten.“


Leute „ertragen“, aber dem Streit nicht ausweichen

Im Umgang „mit politisch Andersdenkenden“, mit „Menschen, nicht mehr die richtigen zivilen Umgangsformen haben“ und mit „diesem Hass, der sich ausbreitet im Netz“ plädiert Gauck für eine „erweiterte Toleranz“, die keinesfalls mit Gleichgültigkeit oder stillschweigender Akzeptanz zu verwechseln sei. Es gebe im politisch-gesellschaftlichen Raum Menschen, „die mag man nicht“. Solange diese aber „nicht verfassungsfeindlich“ und „von Hass geprägt“ seien, müsse man sich mit ihnen auseinandersetzen, und „dieser Streit sollte nach Regeln stattfinden“ – wie ein Boxkampf.


Als Bundespräsident hätte er so etwas nicht gesagt

Als Bundespräsident war Gauck zu überparteilicher Neutralität und Zurückhaltung verpflichtet, aber nun, da er nicht mehr im Amt sei, vertrete er seine eigene politische Meinung deutlich. Es komme „schon mal vor, dass ich dann auch eine Partei für verzichtbar halte, was ich als Bundespräsident sicher nicht gesagt hätte.“ Er suche sich heute genau aus, „wem ich begegnen kann und wem nicht“, ein völliger Rückzug ins Privatleben mit „echtem Rentner-Feeling“ ist aktuell nicht absehbar.

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Info:
hr-iNFO - Das Interview

Freitag, 24. Januar um 19:35 Uhr
Samstag, 25. Januar, um 14:05 Uhr sowie am
Sonntag, 26. Januar, um 10:05 und um 18:35 Uhr