Heinz Markert
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - „Der Ortsbeirat fordert den Magistrat erneut und nachdrücklich auf, in einem Runden Tisch mit dem Ortsbeirat, den zuständigen Dezernenten, den beteiligten Einrichtungen sowie den Bewohner*innen den künftigen Umgang mit den Bewohner*innen der Wohngemeinschaft Bonameser Straße und die Möglichkeiten für den Fortbestand und die Weiterentwicklung des Wohnwagenstand-platzes zu besprechen".
So leitet der Antrag vom 13.01.2020 (gekürzter Fsssung) des Ortsbeirats 9 in Frankfurt am Main von SPD, Grünen und Linken ein.
"Begründung: Der Umgang mit der Wohngemeinschaft [...] steht für ein dunkles Kapitel der Frankfurter Geschichte und verdient ein sensibles Vorgehen. [..] Zum Beispiel wurde die NS-Rassenforscherin Dr. Eva Justin in der Wohngemeinschaft in den 60er Jahren eingesetzt. [...] Der Ortsbeirat fordert einen respektvollen Umgang mit den Bewohner’*innen [...] als langjährigen Bürger*innen unseres Ortsbezirks“. Der Ortsbeirat fordert demnach einen Prozess des Dialogs ein.
„Den Beschlüssen § 2354 vom 30.01.1975 noch Nr. 20178 vom 25.11.1983 sind keine Hinweise zu entnehmen, dass der Wohnwagenstandplatz mittel- bis langfristig geschlossen werden soll [...]. Die aktuellen Zwangsräumungen sind mit einem Zuzugsverbot begründet. [...] Es gibt aber keine sachliche Grundlage für die Weigerung mit nachfolgenden Generationen Nutzungsverträge abzuschließen [...]. Die CDU des Ortsbezirks 09 ist dem Antrag nicht beigetreten. Die Brisanz des Behördenvorgehens an der Bonameser Straße ist vor Augen zu stellen. Es handelt sich dort vornehmlich um zweierlei Gruppen von Menschen.
Die Jenischen und Sinti und Roma
CDU und FDP planen gegen die Bonameser Straße eine Terminator-Logik. Sie wollen das Areal endterminieren, wie das Klapperfeld, am Gerichtsviertel, das eine qualitativ hochwertige Aufklärung zur Vergangenheit Frankfurts leistet. Der Magistrat, der für die anmaßenden Interessen steht, möchte diese Gebiete abwickeln, um sie zu verwerten. Die Partei der egoistischen Interessengruppen, die FDP ist, wie gewohnt, mit im üblen Spiel.
Die Unduldsamkeit im ersteren Fall wendet sich gegen Reisende, die immer schon über Lande zogen, als Händler (z.B. für Haushaltswaren, in älteren Zeiten an der Tagesordnung), als Künstler und Zirkusartisten. Es handelt sich um das klassische Landfahrerwesen. Die Menschen der Bonameser Straße sind traumatisiert. Die Nazis haben sie im Einzug der ehemaligen Stadt weitgehend vernichtet. Die Nachfahren leiden weiter. Denn Leiden wird vererbt.
Die ablehnenden Reflexe
der Bonameser Wohngemeinschaft gegenüber sind noch immer verbreitet, allein weil sie weniger durchschnittlich, d.h. nicht so konventionell lebt wie der Durchschnittsdeutsche. So kommt es zur Wiederkehr der schlechten Vergangenheit im Umgang mit einer Gruppe.
Die Menschen des Standplatzes an der Bonameser Straße sind im Kern Überlebende des Holocaust, zu denen auch ihre Nachkommen zählen. Auch ihre nächsten Verwandten müssen das Recht haben eine der ältesten Lebensformen aufzunehmen bzw. fortzusetzen. Zwei Aspekte verschränken sich am Ort: die Traumata der Sinti und Roma und eine Lebensform, die von alters her existiert. Es gibt sie seit ältesten Zeiten. Es handelt sich - nach Sprachgebrauch - um die Jenischen, die nicht dem Klischeebild des im NS-Regime angesagten Volksdeutschen entsprachen, bzw. nicht dem des Spießbürgers, der sowohl von Konservativen wie auch von Sozialdemokraten seit der Reaktionszeit im 19. Jahrhundert gezüchtet wurde. Das war auch der Grund, warum der Widerstand gegen Hitler gering war. Der vorherige Kulturdezernent der Stadt Frankfurt, Felix Semmelroth, sprach wiederholt: „Gefährlich sind die Normalen“ – wohlverstanden gedacht.
In NS-Zeiten wurde die Vernichtungslogik gegen fahrendes Volk, Schausteller, Artisten, öffentliche Spaßmacher und Mimen, die sich zu unterschiedlichen Auftritten auf Reisen befanden, epidemisch, es traf sie der Hass auf das Abweichende, Individuelle, weil sie nicht so festverwurzelt lebten und nicht eindeutig zu verorten waren (obwohl der Wechsel zwischen sesshaft und Wohnwagen immer üblich war).
Das vereinzelte Reisen war von alters her vielfach mit der beruflichen Existenz von kleinen Händlern, Künstlern, und Artisten verknüpft. Viele arme Juden zogen über Land und vertrieben Kleinigkeiten. So berichteten es unsere Vorfahren. Einzeln oder in der Truppe; auf Plätzen, an Straßenecken, in Zirkuszelten, in für einige Stunden angemieteten Räumlichkeiten traten die vorzugsweise Fahrenden über die Zeiten in Erscheinung. Ein beliebtes Schaustellen verbindet sich noch heute mit dem Seeräuberlager, das zwischen Frühjahr und Herbst auf Tour ist und Kindern und Erwachsenen Kunststücke und Zauberstücke bereitet (z.B. in St. Peter-Ording, um das öffentliche Backhaus herum, immer im Oktober).
Das ist die romantische Seite des Menschseins, die auf Jahrmärkten so gut ankommt. Auch die Pantomime gehört dazu und der Clown. Die romantische Natur wird in der Gegenwart vielfach kommerzialisiert und kommt bis in die schrägste Celebrity an. Sie wird aber aufgrund einer Schizophrenie gleichzeitig verleugnet und verachtet, wenn sie nicht dem erstarrten Klischee entspricht.
Sie wanderten ab 1407 gen Europa ein und wurden als christliche Minderheit willkommen geheißen, waren geachtet. Irgendwann wurden sie aufgrund einer unerklärlichen Massenpsychologie zu Sündenböcken und Aggressionsobjekten der Volksgemeinschaft. Hierzu informierte die Mobile Ausstellung „Sinti & Roma in Hessen“, ‚sam‘ – Stadtmuseum am Markt 2018, 65183 Wiesbaden (Schlossplatz), und ein Katalog. Diese Ausstellung könnte auch wieder ein Frankfurter Museum bereichern.
Im Klapperfeld, am Gerichtsviertel. Hier informierten an einem Abend des Jahrs 2016 ein Sinteza-Geschwisterpaar, das den Holocaust noch erlebt hatte und nun hochbetagt ist.
Was sie nach dem Holocaust erfuhren, klang in den Ohren der Zuhörerschaft gar unerfreulich. Es wurde mit ihnen noch ganz so umgegangen wie zu Hitlers Zeit. Sie trafen auf Ablehnung, bekamen keine Wohnung, man wollte sie nicht als Nachbarn. Es tauchten Hinweise mit der Aufschrift auf: 'Zigeuner verboten‘, an Geschäften, auf Parkbänken und in Restaurants. Alles, was nicht gut lief, wurde ihnen angelastet. Das Amt verortete sie nach dem Holocaust wieder in Campingverhältnissen, dabei hatten sie auch mal Wohnungen gehabt. Erst in der Pubertät kamen sie zu einer Wohnung in Frankfurt Nordwest.
Die Realität war: Dieselben wie vorher saßen da vor ihnen, die früher Gutachten geschrieben hatten, ähnlich jener schrecklichen Dr. Eva Justin, deren Tätigkeit bis in die Mitte der Sechziger Jahre ohne Skrupel auf den Bonameser Standplatz verlegt war, wo auch Sinti und Roma lebten.
Eine ab dem Jahr 2000 endlich am Eingang des früheren Domizils des Gesundheitsamts angebrachte Tafel - sie musste lange auf sich warten lassen – sprach aus, wie geschichtsvergessen die Stadt Frankfurt über lange Zeit sich der Aufarbeitung der nationalsozialistischen Verbrechen in der Stadt entzogen hat:
„Ab 1947 waren zwei maßgeblich an ‚rassebiologischen Untersuchungen‘ beteiligte Personen, Robert Ritter und Eva Justin, im Stadtgesundheitsamt Frankfurt am Main in leitender Funktion beschäftigt. Sie wurden für ihre Verbrechen nicht zur Rechenschaft gezogen. Die beiden Namen stehen stellvertretend für diejenigen, die unter dem Deckmantel von Wissenschaft und Forschung oder durch Wegesehen und Schweigen den Völkermord an Roma und Sinti ermöglichten.“ (Auszug)
In der Sitzung des Ortsbeirats 09 am 23.01.2020 trat ein neuerlich Empörendes, das Abschmettern der Aufforderung zum Dialog mit den Bewohner*innen, in den Brennpunkt des spät gewordenen Abends. Die sechste Generation des Wohnwagenstandplatzes war mit Ronnie Liebaum gekommen, um sich gegen die Missachtung ihrer Argumente zu verwahren. Donna Ochs (SPD) vertrat nochmals nachdrücklich die Forderung nach einem sicheren Wohnrecht. Der Behördenapparat gibt sich wieder einmal geschichtslos. Dagegen wandten sich Menschen der Uniklinik, die eine Unterschriftenlisten einsandten und rechtliche Sicherheit für die Wohngemeinschaft einforderten. Ein offener Brief erging auch an OB Peter Feldmann. Die Zuschreibung ‚empörend‘ verbreitete die Regionalgruppe des Vereins ‚Gegen Vergessen – Für Demokratie‘, mit Andreas Dickerboom. Die Stellungnahme des Magistrats bediene Klischees aus der Nachkriegszeit. Auch Adam Strauß vom Verband Deutscher Sinti und Roma verwandte sich für die Interessen der Siedlung, ebenso Joachim Brenner vom Förderverein Roma und auch die Bildungsstätte Anne Frank legte Protest gegen die geplante bösartige Abwicklungspraxis ein.
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