Oder: Wie politisch dürfen gemeinnützige Vereine agieren? Serie: Teil 1/4
Rolf Gössner
Bremen (Weltexpresso) - Vorbemerkung der Redaktion: „Grausam aus Staatsräson“ nennt Golo Mann den Staatskanzler des Kaisertums Österreich, Clemens Wenzel von Metternich, dessen Name für obrigkeitsstaatlicher Willkür steht. Seine Gebeine sind vermodert, sein Denken jedoch feiert fröhliche Urständ in deutschen Amtsstuben. Steuerbeamte entscheiden als eine Art Gesinnungspolizisten darüber, was als gemeinnützig gilt und was nicht. Der international angesehene Bürgerrechtler Dr. Rolf Gössner geht in dem nachfolgenden Text der Frage nach, wie politisch gemeinnützige Vereine agieren dürfen, wenn sie ihren Status nicht verlieren wollen.
Im vergangenen Jahr ist etlichen linksprogressiven Vereinen durch die zuständigen Finanzämter die Gemeinnützigkeit aberkannt und entzogen worden – mit existentiellen Folgen für die betroffenen Organisationen. Es handelt sich um ein staatliches Ausbremsen kritisch-bürgerschaftlichen Engagements mit den Mitteln des Steuerrechts und um einen Angriff auf Netzwerke demokratischer Willens- und Meinungsbildung.
Das globalisierungskritische Netzwerk „Attac“ war seit seiner Gründung Anfang der 2000er Jahre als gemeinnützig anerkannt. Zweck der Vereinigung ist „die Förderung des Schutzes der Umwelt und des Gemeinwesens, der Demokratie und der Solidarität, dies unter besonderer Berücksichtigung der ökonomischen und gesellschaftlichen Auswirkungen der Globalisierung“, so „Attac“-Anwalt Dr. Till Müller-Heidelberg („vorgänge“ 227 / 2019, S. 157 ff.). Und weiter: „Außerdem fördert der Verein die Völkerverständigung und den Frieden. Hierzu betreibt der Verein Aufklärungs- und Öffentlichkeitsarbeit zu den Themen Nord-/Süd-Differenz und Entwicklung, Umweltschutz und Nachhaltigkeit ... und weltweite Gerechtigkeit.“
Mit seinem Engagement für eine demokratische Kontrolle der Wirtschaft, für soziale Gerechtigkeit und ökologische Nachhaltigkeit verteidige „Attac“ das Gemeinwohl gegen mächtige Kapitalinteressen. 2014 entzog das Finanzamt Frankfurt/M. „Attac“ den Status der Gemeinnützigkeit, weil der Trägerverein politische Forderungen aufstelle, so etwa zur Regulierung der Finanzmärkte. Seit 2015 klagt „Attac“ dagegen. Nachdem das Hessische Finanzgericht die Aberkennung widerrufen und damit die Gemeinnützigkeit bestätigt hatte, weil alle Aktionen von „Attac“ der Förderung der politischen Bildung und des demokratischen Staatswesens dienten, beantragte das zuständige Finanzamt auf Weisung des Bundesfinanzministeriums eine Revision der Entscheidung.
Mit der Anfang 2019 veröffentlichten Revisionsentscheidung gab der Bundesfinanzhof (BFH), also das höchste Finanzgericht der Bundesrepublik, dem Revisionsantrag statt und bestätigte die Aberkennung der Gemeinnützigkeit von „Attac“ (BFH-Urteil v. 10.01.2019; Az. V R 60/17). „Attac“ sei nicht gemeinnützig, so das Gericht, weil das Netzwerk mit seinen Kampagnen versuche, die politische Meinung zu beeinflussen. Zwar gelte die unter Volksbildung zu fassende politische Bildungsarbeit nach dem Gesetz als gemeinnützig, nicht aber der Einsatz für allgemeinpolitische Forderungen zur Tagespolitik und auch nicht Kampagnen, die zu diesem Zweck veranstaltet werden. Die Volksbildung, so das Gericht weiter, müsse eigenständig und in „geistiger Offenheit“ betrieben werden (was im Gesetz allerdings so nicht normiert ist). Diese gerichtliche Vorgabe werde von „Attac“ jedoch nicht erfüllt. Warum? Weil der Trägerverein ganz konkrete Lösungsvorschläge und Forderungen zu bestimmten allgemeinpolitischen Themen durchsetzen wolle, so etwa zur Geldpolitik der Europäischen Zentralbank, zum „Spar-“ und zum „Klimapaket“ der Bundesregierung, zur Bekämpfung der Steuerflucht, zur Regulierung der Finanzmärkte, zur Besteuerung von Finanztransaktionen oder zum bedingungslosen Grundeinkommen. Eine solche Tätigkeit, „die darauf abzielt, die politische Willensbildung und die öffentliche Meinung im Sinne eigener Auffassungen zu beeinflussen“, sei „nicht als politische Bildungsarbeit gemeinnützig“ (BFH-Pressemitteilung Nr. 9/19 v. 26.02.2019) – obwohl doch gerade dies zuvor voll akzeptiert worden ist, sofern solche politischen Aktivitäten, Forderungen und Einflussnahmen der Verwirklichung anerkannt gemeinnütziger Zwecke dienen und die betreffenden Organisationen nicht parteipolitisch agieren (vgl. Grundsatzentscheidungen des Bundesfinanzhofs v. 29.08.1984 und 23.09.1999).
Dabei betonte der Bundesfinanzhof ausdrücklich, dass es nicht um die politischen Inhalte gehe, sondern um eine Grundsatzfrage: ob „allgemeinpolitische Tätigkeit“ mit Gemeinnützigkeit vereinbar sei. Anders ausgedrückt: Wie politisch dürfen gemeinnützige Vereine agieren? Die Antwort des Gerichts: Zwar dürften gemeinnützige Vereine gelegentlich auch (tages-)politisch aktiv sein und politische Meinungsbildung betreiben – allerdings müssten die gemeinnützigen Zwecke eindeutig im Vordergrund stehen und eben nicht, wie bei „Attac“, politische Kampagnen. Der BFH verwies die Sache an das erstinstanzliche Hessische Finanzgericht Kassel zur endgültigen Entscheidung zurück, das sich in der rechtlichen Definition der Satzungszwecke an die Vorgaben des BFH halten muss. „Sollte die Entscheidung des BFH Bestand haben“, so „Attac“ in einer Stellungnahme vom 19.03.2019, „droht das Gemeinnützigkeitsrecht zu einem Instrument zu verkommen, mit dem Regierung und politische Parteien versuchen, unliebsame Organisationen an die Kandare zu nehmen.“
Tatsächlich ist mit Verweis auf die BFH-Argumentation bereits anderen linkspolitisch engagierten Vereinen inzwischen die Gemeinnützigkeit aberkannt worden, so etwa der Kampagnen- und Petitionsplattform „Campact“ oder dem „Demokratischen Zentrum“, einem Verein für politische und kulturelle Bildung in Ludwigsburg/Baden-Württemberg – letzterem unter anderem mit der Begründung, der Verein sei nicht für alle offen, weil er ausdrücklich Rassisten, Rechtsradikale und Antisemiten ausschließe. Zahlreiche Nichtregierungsorganisationen fürchten angesichts dieser Entwicklung und Argumentation um ihre Existenz. (Fortsetzung folgt).
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Karikatur © Privatarchiv Kurt Nelhiebel
Info:
Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung des Autors und der NachDenkSeiten vom 23. Januar 2020