Oder: Wie politisch dürfen gemeinnützige Vereine agieren? Serie: Teil 3/4
Rolf Gössner
Bremen (Weltexpresso) - Steuerbegünstigt ist eine Körperschaft, wenn sie ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige, mildtätige oder kirchliche Zwecke verfolgt. Die Tätigkeit muss darauf gerichtet sein, die Allgemeinheit auf materiellem, geistigem oder sittlichem Gebiet selbstlos zu fördern. Dazu zählen die Förderung von Wissenschaft und Forschung, der Religion, des öffentlichen Gesundheitswesens, der Jugend- und Altenhilfe, des Natur-, Umwelt- und Tierschutzes, der Erziehung, Volks- und Berufsbildung sowie des demokratischen Staatswesens; darüber hinaus die Förderung der Hilfe für politisch, rassisch oder religiös Verfolgte und Flüchtlinge oder die Förderung internationaler Gesinnung und der Toleranz auf allen Gebieten der Kultur und des Völkerverständigungsgedankens, der Entwicklungszusammenarbeit, der Gleichberechtigung von Frauen und Männern. Interessant ist, dass nach Paragraf 52 AO zwar auch die Förderung von Tradition, Brauchtum, Kleingärtnerei und Hundesport, von Heimatpflege und Heimatkunde oder der Soldaten- und Reservistenbetreuung explizit als gemeinnützig anerkannt wird, nicht aber die Förderung von Menschen- und Bürgerrechten, von Frieden und Antifaschismus oder des Klimaschutzes.
Nicht gemeinnützig sind im Übrigen Vereine, die vorwiegend allgemeinpolitisch tätig sind, also nicht in erster Linie solche gemeinnützigen Zwecke verfolgen, oder Organisationen, die vom „Verfassungsschutz“ als „extremistisch“ eingestuft werden, so Paragraph 51 AO. Gemeinnützigkeitsentzug: VVN/BdA angeblich „linksextremistisch“ Aktuell sorgt der Fall des Bundesverbandes der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN–BdA) bundesweit und international für Empörung. Im November 2019 entzog das Berliner Finanzamt der antifaschistischen Traditionsorganisation die Gemeinnützigkeit. Zur Begründung bezieht es sich auf den bayerischen „Verfassungsschutz“ (VS), der die VVN schon lange als „linksextremistisch beeinflusst“ einstuft. Diese Entscheidung mit dieser Begründung dürfte juristisch und rechtspolitisch kaum haltbar sein, so dass davon auszugehen ist, dass sie über kurz oder lang revidiert werden muss.
In Paragraf 51 AO ist zwar geregelt, dass die Voraussetzungen für die Gemeinnützigkeit eines Vereins – allerdings „widerlegbar“ – dann als nicht erfüllt gelten, wenn die betreffende Gruppierung auch nur in einem der 17 VS-Berichte als „extremistische Organisation“ aufgeführt ist. Das bedeutet: Hier findet letztlich eine Beweislastumkehr statt. Nicht das Finanzamt muss nachweisen, dass ein Verein „extremistisch“ ist, sondern dieser muss die VS-Einstufung widerlegen und seine „Verfassungstreue“ nachweisen. Ein Erlass des Bundesfinanzministeriums vom 31.01.2019 stellt noch mal klar, dass eine Organisation ihre Gemeinnützigkeit verliert, sobald sie in einem VS-Bericht „ausdrücklich als extremistisch eingestuft“ wird und diese bloße „Vermutung“ nicht mit dem „vollen Beweis des Gegenteils“ durch die Organisation widerlegt werden kann.
Die VVN und ihre Mitglieder haben bereits eine lange Geschichte der Repression, VS- Beobachtung, Berufsverbote und Diskriminierung erlebt – und das Berliner Finanzamt schreibt diese Geschichte nun fort. Erstaunlich dabei ist, dass sich ausgerechnet das Finanzamt eines „rot-rot-grün“ regierten Landes auf den „Verfassungsschutz“ eines von der CSU regierten Landes stützt. Der bayerische VS stuft die VVN aufgrund bloßer „tatsächlicher Anhaltspunkte“ seit Jahr und Tag als „linksextremistisch beeinflusste“ – nicht als „linksextremistische“ – Organisation ein; eine Einstufung, die früher auch das Bundesamt sowie etliche weitere Landesbehörden für VS vorgenommen hatten, von der sie jedoch im Laufe der Jahre aus guten Gründen abgerückt sind.
Nicht so in Bayern. Zwar behauptet der Berliner Finanzsenator nach dem Gemeinnützigkeitsentzug, das Finanzamt habe aufgrund der Gesetzeslage „keinen Spielraum“ gehabt, anders zu entscheiden. Doch es geht auch anders, wie ein Beschluss des Finanzamts Oberh/ausen zeigt: Die Behörde entschied im Oktober 2019, dass der nordrhein-westfälische VVN/BdA-Landesverband trotz ursprünglich gegenteiligen Beschlusses als gemeinnützig anerkannt bleibt. Auch für das Berliner Finanzamt hätte es sehr wohl Spielraum gegeben: Denn der VS Bayern nennt die VVN nicht „extremistisch“, wie das für den Gemeinnützigkeitsentzug nach dem Gesetzeswortlaut nötig wäre, sondern nur „linksextremistisch beeinflusst“ – und im übrigen wäre auch dies widerlegbar. Inzwischen hat die VVN Einspruch gegen die Entscheidung des Finanzamts eingelegt und die existenzbedrohende Steuernachzahlung in fünfstelliger Höhe verweigert. Nachdem sich bundesweit und international breiter Protest formierte, hat das Finanzamt die Steuernachforderung wegen „unbilliger Härte“ auf unbestimmte Zeit ausgesetzt. (Schluss folgt).
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Karikatur ©Privatarchiv Kurt Nelhiebel
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Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung des Autors und der NachDenkSeiten vom 23. Januar 2020