Bildschirmfoto 2020 02 29 um 00.32.59Israels Premier Netanyahu lässt kurz vor den Wahlen neue Baupläne in der Westbank veröffentlichen, was Wasser auf die Mühlen der Gegner ist

Jacques Ungar

Tel Aviv (Weltexpresso) - Israeli scheinen markige Worte gerne zu vernehmen, die durch den Äther gejagt werden, wenn Politiker mit eiserner Faust in alle Richtungen Drohgebärden aussenden. Gerade mit der jüngsten, wohl kaum aber letzten Ausnutzung militärischer Situationen zu politischen Zwecken zum Beispiel lässt sich dieser Missbrauch sehr einfach beweisen.

Da weist Premier Netanyahu die zuständigen Stellen an, zwölf unbewilligte (um nicht zu sagen illegale) Aussenposten in der Westbank «umgehend» an die israelische Stromversorgung anzuschliessen. Umgehend? Jeder mit den Gepflogenheiten einigermas­sen Vertraute weiss, dass für solche Anliegen auch dann ein ganzer Bewilligungskatalog durchlaufen werden muss, wenn der Auftraggeber kein anderer als der Regierungschef selber ist. Bis ein solcher Antrag alle Instanzen passiert hat, verstreichen in der Regel Wochen, wenn nicht Monate. Was aber soll die Aufregung? Das gilt auch für die Zeit vor den Knessetwahlen. Aber in einer derart geladenen Periode wird jeder Pieps, jedes Wort, jeder Schritt eines Ministers oder Möchtegernministers in Israel in der Regel sofort in Schlagzeilen umgemünzt. Welche Zeitung, welche Radio- oder gar TV-Station will zur richtigen Zeit auf der falschen Seite stehen?


Gegner warnen

Doch bleiben wir den israelischen Entscheidungsträgern auf der Spur der letzten Tage. Premier Netanyahu etwa benutzte einen Aufenthalt in der Westbank dazu, Baupläne für die Jerusalemer Quartiere Har Homa und Givat Hamatos im vorwiegend palästinensischen Gebiet zu veröffentlichen. Bei den Plänen für Har Homa handelt es sich um die Wiederbelebung eines von Netanyahu bereits 2012 auf den Tisch gebrachten, damals aber von der Administration Obama gekappten Vorhabens. Angesichts der jetzt unter Trump herrschenden, ungleich deutlicheren proisraelischen Stimmung im Weissen Haus sollen die beiden Projekte nochmals gefördert werden und daneben noch in den letzten Tagen der Wahlkampagne Netanyahu und seinem Likud Stimmen und Mandate einbringen. Für diesen Plan mit doppeltem Boden will Netanyahu 4000 Neubauwohnungen in den zwei Quartieren im Ostteil Jerusalems auf die Beine stellen.

Dieser doppelte Zweck rief erwartungsgemäss die Europäische Union (EU) auf den Plan. Vier EU-Mitgliedstaaten – Frankreich, Italien, Deutschland und Irland – verurteilen den Plan, Har Homa zu vergrössern und ein neues Quartier in Givat Hamatos zu schaffen. Solche Bauprojekte seien «bedeutsame Schritte», die die Lebensfähigkeit und den territorialen Zusammenhang eines künftigen Palästinenserstaates untergraben würden, sagte Simon Coveney, der irische Minister für Äusseres und Handel. Er fuhr fort: «Ich ersuche die israelische Regierung dringend, von irgendwelchen künftigen Schritten in Bezug auf diese spezifischen Siedlungspläne Abstand zu nehmen und alle Siedlungsbauten einzustellen.» Auch Frankreich, Italien und Deutschland bemängelten, dass die Bauprojekte die Fähigkeit der Palästinenser beeinträchtigen würden, in jenen Gegenden über ein zusammenhängendes Territorium zu verfügen. Alles in allem plant Netanyahu nach eigenen Angaben die Bewilligung von 4000 Wohneinheiten in Givat Hamatos – 3000 für Juden und 1000 für Palästinenser. Zusätzlich will er weitere 2200 Wohneinheiten im benachbarten Har Homa erstellen lassen. Gegner der Projekte warnen, dass diese Bauten einen Keil schaffen würden, der arabische Viertel von Jerusalem vom benachbarten Bethlehem und von der Westbank abschneiden würde. Effektiv würden diese Projekte, wie die «Jerusalem Post» die Gegner zitierte, den Palästinensern verunmöglichen, ihre Vision von einem Staat mit einem zusammenhängenden Territorium entlang der Linien von vor 1967 mit Ostjerusalem als Hauptstadt zu verwirklichen.

Der vorläufige Höhepunkt von Netanyahus nicht immer ganz realistischen Siedlungsplänen sind die 3500 Wohneinheiten, die er in der E1 genannten Zone unweit der Siedlerstadt Maale Adumim planen will. Am Dienstag rief er dazu auf, unverzüglich anzufangen, entsprechende Pläne auszuarbeiten.


Lieberman so oder so

Glaubt man den letzten Umfragen israelischer TV-Stationen, so scheint Netanyahus Rechnung auf den ersten Blick aufzugehen. Seine Likud-Partei dürfte demnach nach den Wahlen vom 2. März mit 32 von total 120 Mandaten die grösste Partei ins Parlament schicken, gefolgt von Blauweiss (Benny Gantz) mit 32 Mandaten. Diese Umfrage gelangt auch zum Schluss, dass 44 Prozent der Wähler sich trotz möglicher negativer Einflüsse (wie den Beginn des Prozesses gegen den heutigen Regierungschef am 17. März) für Netanyahu als besten Premierminister entscheiden, und nur 30 Prozent Blauweiss-Chef Benny Gantz vorziehen würden. Wie fleissig solche Positionen nur wenige Tage vor dem Wahltermin gezählt werden, lässt sich etwa daran ablesen, dass der Mitte-links-Block 57 Mandate erringen würde und der rechtsgerichtete Block nur eine Stimme weniger. Wiederum als Zünglein an der Waage dürfte sich laut einer anderen TV-Umfrage Avigdor Liebermans Partei Israel Beiteinu mit sieben Mandaten positionieren und damit seinen inoffiziellen Titel als «Kaisermacher» bestärken, denn jede der beiden Grossparteien bräuchte das Mitwirken von Lieberman, um die für die Knesset nötige Mehrheit von 61 der 120 Mandate auf die Waage zu bringen. Da Lieberman aber für seine teils unannehmbaren Forderungen bekannt und gefürchtet ist, könnte sich am 
2. März das abzeichnen, was im Grunde Volk und Politiker und inzwischen auch die meisten Berichterstatter gleichermassen verabscheuen: ein vierter Wahlgang.

Foto:
Der israelische Ministerpräsident Binyamin Netanyahu überprüft die Gebietskarte während des Besuchs der Siedlung Ariel im Westjordanland am 
24. Februar
© tachles

Info:
Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 29. Februar  2020