kpmKlagerin in BundesverfassungsgerichtZur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts

Klaus Philipp Mertens

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Die Bundesländer können Rechtsreferendarinnen das Tragen eines Kopftuchs im Gerichtssaal verbieten.

Das hat das Bundesverfassungsgericht am 27. Februar entschieden. Einige Kritiker sehen in dem Urteil einen Freibrief für Populisten. Doch ist das Urteil tatsächlich ein solcher, gar eine Unterwerfung vor der AfD? Nein!
Sollen sich Gesellschaft und Staat an der unreflektierten Gegnerschaft (mutmaßlich sogar Feindschaft) der rechtsextremen AfD gegenüber Muslimen orientieren und diese zum Maßstab rechtsstaatlichen Handelns machen? Nein!
Soll das Bundesverfassungsgericht Referendarinnen und in der Folge muslimischen Richterinnen, Staatsanwältinnen oder Anwältinnen (letztere sind ebenfalls Organe der Rechtspflege) nur deswegen das Kopftuch nicht verbieten, weil die AfD daraus politisches Kapital schlagen könnte? Nein!
Die Bundesrepublik ist kein AfD-Staat und wird bei korrekter Anwendung der Verfassung (Abwehr sämtlicher verfassungsfeindlichen Gefahren) hoffentlich auch nie einer werden.

Die vom Grundgesetz verbürgte weltanschauliche Neutralität des Staates gilt normativ ohne Einschränkung. Und die immer wieder von fundamentalistischen Querulanten zitierte Religionsfreiheit beinhaltet ebenfalls die Freiheit vor religiöser Bedrängung. Denn Artikel 4, Absatz 1 des GG schützt auch die Überzeugungen der Gott- und Religionslosen. Daraus folgt insbesondere, dass der öffentlichen Raum frei von religiösen Begehrlichkeiten bleiben muss. In Privatwohnungen sowie in Gebets- und Versammlungshäusern können sich religiöse Menschen ohne Einschränkungen voll entfalten. Und sie können über ihren Glauben mit jedem reden, aber sie sollten es mit offenem Visier tun.

Während die Islamophobie der AfD de facto einer rassistischen Grundhaltung entspringt, sind die Vorbehalte des aufgeklärten Teils der Mehrheitsgesellschaft von völlig anderer Natur. Sowohl äußere Symbole als auch das offensichtliche Festhalten an archaischen Rechts- und Sittenvorstellungen im Islam werden als Bruch mit den Wertvorstellungen dieses Landes wahrgenommen. Gespräche mit muslimischen Gemeinden beschränken sich in der Regel auf das freundliche Anbieten von Tee und Gebäck. Der theologisch Interessierte erfährt jedoch nichts über den Stand der historisch-kritischen Erforschung des Korans. Weil es letztere in den fundamentalistischen Kreisen nicht gibt.

Im Gegensatz zu Schülern des Religions- oder Ethikunterrichts, die seit etwa fünf Jahrzehnten lernen, dass die Bibel nicht vom Himmel gefallen ist, sondern von Menschen verfasst wurde, welche sehr unterschiedliche Vorstellungen von Gott und Göttern, der Welt und der Zukunft der Menschen hatten. Und außerdem davon, dass Jesus als historische Person nicht verifizierbar ist und dass die neutestamentlichen Schriften keine historischen Dokumente darstellen, sondern Zeugnisse religiöser Verkündigung sind. Sie spiegeln einen innerjüdischen Konflikt wider, der um menschliche Freiheit vor dem Hintergrund religiöser Normen kreist. Man darf davon ausgehen, dass Mohammed und seine unmittelbaren Nachfolger von ähnlichen Zielen angetrieben waren, nämlich verkrustete gesellschaftliche Strukturen, die sich in religiösen Vorschriften tarnten, auflösen zu wollen. Das wird allein an den vielfach widersprüchlichen Textpassagen des Korans deutlich. Statt diese Widersprüche als zeitlich bedingte Aussagen anzuerkennen und darauf keine Dogmatik zu errichten, werden die Fundamente heiliggesprochen; die Menschen aber, um die es eigentlich gehen sollte, werden zu Unterworfenen degradiert.

Religiöse Bekenntnisse müssen permanent reflektiert werden - und das gilt für alle Weltreligionen. Denn in der säkularen Welt, welche den Hintergrund für Religion liefert, wird das Althergebrachte ständig einer Prüfung anhand der Maßstäbe von Vernunft und Wirklichkeit unterzogen (die Lektüre von Hegels „Die Grundlinien der Philosophie des Rechts“ hilft hier weiter).

Folglich formulierte der Philosoph Jürgen Habermas vor etwa acht Jahren: „Der liberale Staat ist [...] mit religiösem Fundamentalismus unvereinbar. In diesem Konflikt tritt eine Gestalt der Moderne einer anderen, als Reaktion auf entwurzelnde Modernisierungsprozesse entstandenen Gestalt der Moderne entgegen. Der liberale Staat kann seinen Bürgern gleiche Religionsfreiheiten – und ganz allgemein gleiche kulturelle Rechte – nur unter der Bedingung garantieren, dass diese gewissermaßen aus den integralen Lebenswelten ihrer Religionsgemeinschaften und Subkulturen ins Offene der gemeinsamen Zivilgesellschaft heraustreten.“ Und weiter: „Religiöse Anschauungen müssen sich dem liberal-säkularen Diskurs unterwerfen.

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Klägerin im Bundesverfassungsgericht
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