Bildschirmfoto 2020 03 05 um 20.45.06Bildschirmfoto 2020 03 05 um 20.47.56Zu Wolfgang Schäubles Rede im Bundestag und der Wiederwahl Bodo Ramelows

Kurt Nelhiebel

Bremen (Weltexpresso) - Selten hat ein Redner Abgeordnete und Besucher des Bundestages so bewegt wie Wolfgang Schäuble am 5. März bei seiner Eröffnungsrede zur Debatte über die Morde von Hanau und die Gefahr des Rechtsextremismus in Deutschland. An seinen Worten werden sich künftig alle messen lassen müssen, die Verantwortung tragen für unser Gemeinwesen und seine Institutionen, nicht zuletzt die CDU auf ihrer Suche nach dem künftigen Weg. Angesichts der „langen Spur mörderischer Übergriffe“ reiche Betroffenheit längst nicht mehr, sagte der Bundestagspräsident. Hanau fordere vor allem Aufrichtigkeit. Der Staat müsse sich eingestehen, die rechts-extremistische Gefahr zu lange unterschätzt zu haben.

Konkret sah das unter anderem so aus, dass immer wieder eine falsche Fährte gelegt wurde.  Die vom Bundesminister des Innern herausgegebenen „Texte zur Inneren Sicherheit“ behaupteten 1992 auf Seite 78: „Feinde der freiheitlich-demokratischen Grundordnung machen sich die rechtsextremen Erscheinungen zu Nutze, um unter dem Vorwand des Antifaschismus die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu bekämpfen.“ Auf dieses Grundmuster griff jetzt die AfD im Bundestag zurück. Sie bezeichnete den Linksextremismus als die eigentliche Gefahr.

Die Verharmlosung des Rechtsextremismus durch Vertreter der so genannten politischen Mitte zieht sich wie ein brauner Faden durch die Nachkriegsgeschichte. Immer wurde der Hauptfeind auf der linken Seite gesucht oder im Osten. Hakenkreuze auf jüdischen Grabsteinen waren für den CSU-Vorsitzenden Strauß das Werk der Geheimdienste kommunistischer Staaten. Hinweise von Überlebenden des Holocaust auf das Wiederaufleben neonazistischen Gedankenguts in der Mitte der Gesellschaft wurden überhört.

Nach den Worten des Bundestagspräsidenten hängt die Zukunft unserer offenen Gesellschaft davon ab, ob es gelingt, Verschiedenheit zu akzeptieren und die eigenen Vorstellungen nicht zum Maß aller Dinge zu erklären. Dass die CDU laut Parteitagsbeschluss „Koalitionen und ähnliche Formen der Zusammenarbeit sowohl mit der Linkspartei als auch mit der Alternative für Deutschland“ ablehnt, ist Ausfluss eines überholten Denkens. Mit der Lebenswirklichkeit hat der Beschluss wenig zu tun, wie die Wiederwahl des linken thüringischen Ministerpräsidenten Bodo Ramelow am Ende gezeigt hat.

Inwieweit die Partei Wolfgang Schäubles gewillt ist, dessen Wunsch nach Aufrichtigkeit zu entsprechen, wird sich schon nächsten Monat auf dem Sonderparteitag der CDU zur Wahl eines neuen Vorsitzenden zeigen. Dem Einfluss der AfD durch einen Rechtsschwenk begegnen zu wollen, ließe sich mit verstärkter Bekämpfung des Rechtsextremismus nicht vereinbaren. Ob allerdings ein Friedrich Merz der Versuchung widerstehen kann, den Teufel durch Beelzebub austreiben zu wollen, darf bezweifelt werden, zumal da es bei der nächsten Bundestagswahl für die CDU um die Wurst gehen kann. Der Gedanke an einen grünen Bundeskanzler dürfte die Hemmschwelle auch jedes anderen CDU-Kandidaten sinken lassen, im Kampf um den Machterhalt auf Methoden zurückzugreifen, wie sie nach dem Machtverlust 1969 an der Tagesordnung waren, Rechtsradikalismus hin oder her.

Fotos:
Schäuble © mdr.de
Ramelow © tagesschau.de