Bildschirmfoto 2020 03 15 um 09.10.43Ein Buch über die Verharmlosung des Rechtsextremismus

Conrad Taler

Bremen (Weltexpresso) – Es war wirklich reiner Zufall, dass ich wenige Tage nach der Bundestagsdebatte über ein Gesetz zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und politischer Hetze  auf die Besprechung eines Buches gestoßen bin, das ich vor acht Jahren über die Verharmlosung des Rechtsextremismus  unter dem Titel „Skandal ohne Ende“ veröffentlicht habe. (PapyRossa Verlag, Köln 2012).

Weder der Verfasser der Rezension, Michael Lausberg, noch die Redaktion des Magazins „tabularasa“, das die Besprechung  2013 veröffentlichte, haben mir wie üblich ein Belegexemplar geschickt. Entsprechend groß war meine Neugier, als mir der Text jetzt zu Gesicht kam. Geschrieben hatte ich das Buch im Zusammenhang mit der Mordserie einer rechtsextremistischen Gruppe, die sich Nationalsozialistischer Untergrund“ nannte. Seither ist viel geschehen. Dennoch scheint es, als sei die Zeit in gewisser Hinsicht stehen geblieben. Sowohl das Buch als auch die Rezension könnten gestern geschrieben worden sein, wie ein Blick in die Rezension zeigt. Sie beginnt so:

Die lang unaufgeklärte Mordserie des Nationalsozialistischen Untergrundes (NSU) ist auch eine Folge der jahre- und jahrzehntelangen Verharmlosung der extremen Rechten in der BRD. In seinem Buch setzt sich Conrad Taler mit der Verharmlosung der extremen Rechten und den Versäumnissen bei ihrer Bekämpfung auseinander.  Dabei prangert Taler die in Politik und Justiz weit verbreitete Unwilligkeit, sich mit den extremen Rechten auseinanderzusetzen und sie als Gefahr für die Demokratie einerseits und für Leib und Leben ihrer Feinde andererseits zu begreifen, an.

Die Auseinandersetzung mit den extremen Rechten war bis zum Zusammenbruch der sozialistischen Staaten in Osteuropa vom „Kalten Krieg“ zwischen West und Ost geprägt. Seit ihrer Gründung 1949 war die BRD darum bemüht, im Ausland als demokratischer Staat wahrgenommen zu werden, der sich von der NS-Vergangenheit losgesagt hat. Neonazistische Aktivitäten wurden auch als „Ergebnis einer böswilligen Einwirkung von außen“ verstanden; verschiedene „Nachrichtendienste des Ostblocks und ihrer deutschen Helfershelfer würden sich nicht scheuen, nationalsozialistische Gruppen zu gründen.

Kurt NelhiebelP1050269 1Vor allem auf die antisemitischen Vorfälle Ende der 1950er Jahre anspielend, bemerkt Taler: „Jeder Hinweis und jedes Eingeständnis über das Fortbestehen  oder das Wiederaufleben nazistischen Ungeistes wurde als politische Niederlage empfunden, und die Versuchung, den Kommunisten im eigenen Landes oder jenseits des Eisernen Vorhangs die Urheberschaft für antisemitische oder ähnliche Provokationen anzulasten, siegte in der Regel über die eigentlich notwendige Selbstbesinnung und Selbstreinigung.“

Die mangelnde Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und die Verdrängung in der Nachkriegszeit führte zur Beibehaltung von nationalsozialistischen Mentalitätsbeständen, was die Etablierung der extremen Rechten in der BRD erleichterte. Der damalige Bundeskanzler Konrad Adenauer stellte im Parlament klar, dass „mit der Naziriecherei einmal Schluß gemacht“ werden müsse. Adenauer begünstigte nach der Gründung der BRD im Zuge des sich ausbreitenden „Kalten Krieges“ die Reinwaschung und die Einsetzung von durch den Nationalsozialismus belasteten Personen wie Globke oder Oberländer in gesellschaftliche und politische Schlüsselpositionen.

Die steilste Karriere machte wohl das frühere NSDAP-Mitglied Kurt Georg Kiesinger, der drei Jahre als Bundeskanzler den wohl wichtigsten politischen Posten in der BRD besetzen durfte. Das 131er Gesetz, das Recht auf Wiederbeschäftigung im Öffentlichen Dienst für ehemalige Nationalsozialist_innen, ermöglichte den Täter_innen die Rückkehr in ihr altes Beamt_innenverhältnis. Beim Verfassungsschutz oder beim Bundeskriminalamt kamen viele ehemalige Nationalsozialist_innen unter, für die sich damit im Kampf gegen den Kommunismus eine ideale Beschäftigungsmöglichkeit ergab.

Zu Beginn der 1980er Jahre kam heraus, dass Beiträge und Spenden für die später verbotene neonazistische „Aktionsfront nationaler Sozialisten“ (ANS) von den Finanzämtern in Hamburg als steuerlich abzugsfähig anerkannt wurde. Die Führungsakademie der Bundeswehr lud 1995 den bundesweit bekannten Neonazi Manfred Roeder zu einem Vortrag über die Ansiedlung von „Russlanddeutschen“ in den nördlichen Teil des ehemaligen Ostpreußens ein. Der für die Einladung verantwortliche Oberst bekam keine disziplinarischen Folgen zu spüren. Ein weiteres Beispiel für die Verharmlosung der extremen Rechten zeigte sich laut Taler in der Darstellung der Opferzahlen rechter Gewalt. Nach Angaben der Potsdamer Beratungsstellen für Opfer rechter Gewalt starben von 1990 bis 2008 136 Menschen. Die Bundesregierung gab für denselben Zeitraum lediglich 40 Tötungsdelikte an.

Zu der Auflistung der Fälle der Blindheit auf dem rechten Auge noch einige notwendige Ergänzungen:

Die in weiten Teilen verfehlte Entnazifizierungspolitik begünstigte das Wiederaufleben der extremen Rechten. Zahlreiche nationalsozialistische Täter_innen wurden nicht bestraft und konnten somit bei der Neugründung rechter Strukturen mitwirken. Aufgrund der Tatsache, dass die Masse der ehemaligen Nationalsozialist_innen ein großes Wähler_innenpotential darstellte, schwangen sich vor allem bürgerliche Parteien[1] wie die CDU/CSU und FDP zu Interessenvertretern von „Beschuldigten“ oder „Entnazifizierungsgeschädigten“ auf.

Es wird häufig vergessen, dass es in einer im politischen Establishment etablierten Partei wie der FDP in der frühen Nachkriegszeit antidemokratische und teilweise neonazistische Tendenzen gab. Seit Beginn der 1950er Jahre entwickelte sich die FDP vor allem in NRW, Niedersachsen und Hessen zu einer Rechtspartei, in der ehemalige Nationalsozialist_innen wichtige Positionen einnahmen. Werner Naumann, der letzte Staatssekretär von Joseph Goebbels, startete mit nationalsozialistisch orientierten Gesinnungsgenossen den Versuch, die FDP und andere rechte Parteien und Organisationen zu unterwandern und eine völkisch-autoritäre zu installieren, was die britischen Behörden Anfang 1953 durch deren Verhaftungen verhinderte.

Wie Taler beim Portrait des Antifaschisten Alfred Hausser zeigt, wird antifaschistisches Engagement immer noch delegitimiert und kriminalisiert. Die Politikwissenschaftlerin Antonia Grunenberg verbreitete schon im Siegestaumel des kapitalistischen Systems nach der „Wiedervereinigung“ in ihrem Buch „Antifaschismus – ein deutscher Mythos“[2] unter Bezugnahme auf die ideologisch zurechtgestutzte „Kronzeugin“ Hannah Arendt die These, dass der Antifaschismus Teil einer totalitären Doktrin darstellen würde. Bei Verfassungsschutzämtern und Vertreter_innen der Extremismusdoktrin auch in wissenschaftlichen Zusammenhängen wird der Antifaschismus als linker politischer Kampfbegriff abgelehnt. Für den Extremismustheoretiker Armin Pfahl-Traughber ist „Antifaschismus (...) nicht per se demokratisch“, da „Linksextremisten die Agitation mit dem Antifaschismus“ nutzen würden, um „ihnen unliebsame politische Auffassungen zu diskreditieren.“[3]

Insgesamt gesehen ist Conrad Talers Buch aufgrund seiner detaillierten Recherchen in Bezug auf die jahrzehntelange Verharmlosung der extremen Rechten in der BRD lesenswert und daher als Lektüre empfehlenswert.

So weit die Rezension aus dem Jahr 2013, für die ich mich als Verfasser des besprochenen Buches nachträglich bedanke.

Anmerkungen:
[1] Den BHE und die DP sieht der Autor als nationalistische und revanchistische Parteien an, die in der Grauzone zwischen den extremen Rechten und dem rechten Rand der bürgerlichen Parteien einzuordnen sind.
[2] Grunenberg, A.: Antifaschismus – ein deutscher Mythos, Reinbek 1993
[3] www.bpb.de/politik/extremismus/linksextremismus/33612/antifaschismus

Fotos:
Cover
Conrad Taler: Kerstin Thompson