Klaus Philipp Mertens
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Die Berliner „Volksbühne“ sah sich zu einer Richtigstellung veranlasst.
Auf ihrer Internetseite stellte sie am 19. April klar: „In letzter Zeit finden regelmäßig Versammlungen des Vereins „Kommunikationsstelle Demokratischer Widerstand“ auf dem Rosa-Luxemburg-Platz statt. Der Verein benutzt dabei die Adresse der Volksbühne auf Drucksachen und im Impressum seiner Website. Wir stehen in keinerlei Verbindung zu diesem Verein. Die Adresse der Volksbühne wird ohne unsere Zustimmung verwendet. Wir prüfen aktuell rechtliche Schritte.“
Es geht um eine im März dieses Jahres in Berlin neu gegründete Gruppe namens „Kommunikationsstelle Demokratischer Widerstand (KDW)“. Sie geht auf eine Initiative der ehemaligen „taz“-Autoren Anselm Lenz, Batseba N’Diaye und Hendrik Sodenkamp zurück. Diese hatten 2014 bereits dem „Haus Bartleby“ (benannt nach Herman Melvilles „Bartleby, der Schreiber“) angehört. Das war ein loser Zusammenschluss von Aktivisten, die sich in verkennender Selbstüberschätzung als „Künstler, Denker und Autoren“ verstanden und aus dem „Zentrum für Karriereverweigerung“ hervorgegangen waren.
Für den 28. März hatte die KDW zu einer Demonstration am Rosa-Luxemburg-Platz vor der „Volksbühne“ aufgerufen. Das Motto des Protestes: „Die erste Hygienedemo für Verfassung, Grundrechte & transparente Gestaltung der neuen Wirtschaftsregeln durch die Menschen selbst“.
Diese Demonstration sowie die auf sie folgenden richteten sich gegen die mit der Bekämpfung der Corona-Pandemie in Deutschland verbundenen angeblichen Grundrechtseingriffe. Letztere werden als „Angriff auf das Grundgesetz mit der Tendenz zur Diktatur“ diffamiert. Die Organisatoren bestreiten die von der Mehrzahl der Fachwissenschaftler (Virologie, Epidemiologie, Global Health) angenommene besondere Gefährlichkeit des sich pandemisch ausbreitenden SARS-CoV-2-Virus. Sie verstehen sie hingegen als von herrschenden Eliten gesteuerte „moralische Panik“ und „Hysterie“.
Zum 11. April 2020 hatte die „Kommunikationsstelle Demokratischer Widerstand“ zur „3. Hygienedemo“ vor der Volksbühne Berlin am Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin aufgerufen. Laut Polizeiangaben nahmen an der unangemeldeten Demonstration – es hatte „weder eine Anmeldung noch den Versuch einer Anmeldung gegeben“ – etwa 300 bis 350 Demonstranten teil. Rund 180 Polizisten waren im Einsatz und lösten die Aktion auf, wobei ein harter Kern der Aktivisten den Aktionsort nicht verlassen wollte. Laut dem Sender „rbb24“ wurden von 26 Frauen und 54 Männern die Personalien festgestellt und Anzeigen wegen Straftaten und Ordnungswidrigkeiten geschrieben. Hierbei soll es sich um Verstöße gegen das Infektionsschutzgesetz, aber auch um Beleidigung, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und tätlichen Angriff auf Vollstreckungsbeamte gehandelt haben. Zwecks Identitätsfeststellung kam es zu „vorübergehenden Freiheitsbeschränkungen“. Von vielen Demonstranten wurde die Parole „Wir sind das Volk“ gerufen. An einer vierten nicht genehmigten Demonstration der KDW am 18. April 2020 beteiligten sich nach Polizeiangaben „etwas mehr als 500 Menschen“. Die Personalien von 79 Menschen wurden erfasst; zwei Teilnehmer wurden vorübergehend für eine erkennungsdienstliche Behandlung in Gewahrsam genommen. Der Berliner „Tagesspiegel“ charakterisierte die „Hygienedemo“ als „Querfrontdemonstration von weit links bis rechtsextremistisch“.
Die Initiatoren von KDW betreiben auch die Webseite www.nichtohneuns.de, auf der sie nach „Kolleg*innen ohne parteipolitische Belastung“ suchen. Für eine zukünftige Wirtschaftsordnung sammeln sie Vorschläge per E-Mail. Und einige Forderungen wurden bereits notiert: „Wir bestehen auf die ersten 20 Artikel unserer Verfassung, auf die Würde der Alten & der Kranken, auf Verhinderung obrigkeitsstaatlicher Schikanen, auf Beendigung des Notstands-Regimes, auf Wahlen & umfassende Transparenz“ und „auf demokratische Regeln für unser künftiges Wirtschaftssystem“. Und es fehlt auch kein Hinweis zum eigenen Selbstverständnis: „Wir arbeiten fürs Grundgesetz (GG): »Rückwärts« vom liberalen Grundgesetz ist bei uns kein Platz! (Logisch)“. Die „Kommunikationsstelle Demokratischer Widerstand“ veröffentlicht auf „nichtohneuns“ eine Chronologie der Ereignisse und schreibt u.a.: „Der deutsche Bundestag beschließt sein Ermächtigungsgesetz. Wir sollen ein Jahr lang in einer de-facto-Diktatur leben. Deren System ist derweil am Ende.“ Angesichts solch geballter Legasthenie, Dummheit und Ignoranz muss das Schlimmste befürchtet werden.
Beklemmungen auslösen kann auch die Liste angeblicher Fachleute in Wissenschaft und Publizistik, auf welche sich die Gruppe explizit beruft. So auf Daniel Wachter, einen rechts-katholischen Hochschullehrer an der Internationalen Akademie für Philosophie im Fürstentum Liechtenstein, der vormals an der katholische Universität Chile tätig war und als Wissenschaftler ohne Eigenschaften gilt. Ebenso auf den emeritierten Professor Sucharit Bhakdi, dessen krude Berechnungen nur noch auf YouTube und diversen Foren der Verschwörungstheoretiker veröffentlicht werden – die seriöse Wissenschaft verschließt sich vor seinen unhaltbaren Thesen. Auch der auf dieser Plattform vielzitierte Schriftsteller Gunnar Kaiser, ein Lehrer für Deutsch und Philosophie in Bonn, erschöpft sich in gewagten Spekulationen. Ein Privatdozent namens Knut Wittkowski, der an der Rockefeller Universität in New York gelehrt haben will, wo ihn keiner kennt, sorgt in seinen Beiträgen in der Verschwörungs-Szene für Fake-News. Nicht fehlen darf das Ehepaar Helene und Ansgar Klein aus Würselen (Landkreis Aachen), das durch seinen unreflektierten Aktionismus gegen die Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie bekannt wurde. Wo Qualitätsmedien als Foren fehlen, muss auf die Organe der Verschwörungstheoretiker ausgewichen werden. Hier stehen die Internetseiten „Rubikon-News“ (beispielsweise durch Beiträge des hinreichend bekannten Journalisten Jens Wernicke) und „KenFM“ an vorderster Stelle. Der Gründer von KenFM ist der Journalist Ken Jebsen, dem auch eine Nähe zum Antisemitismus nachgesagt wird. Da passt der zunehmende Beifall aus dem extrem rechten Lager (AfD, Identitärer Bewegung und QAnon) gut ins Bild.
Nach dem inhaltlichen Muster der erwähnten Berliner Demonstrationen, wenn auch weniger spektakulär und von lediglich etwas mehr als 20 Aktivisten getragen, liefen am 18. und 25. April Demosauf dem Karolinenplatz in Darmstadt ab. „Geist ist geil – weg vom betreuten Denken“ war auf einigen Plakaten zu lesen. Letzteres wurde am 28. April in einer telefonischen Beschwerde bestritten; auf dem Plakat habe lediglich "Geist ist geil" gestanden. Dem steht u.a. ein Bericht des "Darmstädter Echos" entgegen, in dem der Wortlaut des Plakats so wie hier zitiert wiedergegeben wurde (https://www.echo-online.de/lokales/darmstadt/demo-in-darmstadt-fur-die-grundrechte_21568625). Aber möglicherweise handelt es sich dabei um eine jener Fake-News, von der sich Gruppierungen wie "nichtohneuns" verfolgt fühlen.
Die Demo sei vom Verwaltungsgericht unter Auflagen genehmigt worden, berichtete eine der Verantwortlichen. „Wir gehören zu einer Gruppe von Menschen, die sich im aktuell verordneten lock down für die Bewahrung unserer Grundrechte gemäß der deutschen Verfassung einsetzen“, erklärte Celia von Hoerschelmann, eine erkennbar schlecht informierte Dame vom Typ „Mutti-Tussi“, gegenüber dem HR. Ausdrücklich beruft sie sich auf die Online-Plattform „nichtohneuns.de". Man erkennt, wie gefährlich Einfalt werden kann.
Das Hessische Fernsehen sendete in der „Hessenschau“ am 25. April einen erstaunlich unkritischen Bericht, den man unter https://www.hessenschau.de/tv-sendung/demo-mahnt-grundrechte-an,video-120576.html nachverfolgen kann.
Foto:
Plakat auf der Demo von „nichtohneuns“ in Darmstadt am 25. April
© hessenschau.de
Info:
Celia von Hörschelmann hat sich ein zweites Mal beim Autor gemeldet: „Solche Schmutzblätter wie Ihre muss man in solchen Zeiten wohl lernen auszuhalten. Bin da aber ganz zuversichtlich.“
Das Hessische Fernsehen sendete in der „Hessenschau“ am 25. April einen erstaunlich unkritischen Bericht, den man unter https://www.hessenschau.de/tv-sendung/demo-mahnt-grundrechte-an,video-120576.html nachverfolgen kann.
Foto:
Plakat auf der Demo von „nichtohneuns“ in Darmstadt am 25. April
© hessenschau.de
Info:
Celia von Hörschelmann hat sich ein zweites Mal beim Autor gemeldet: „Solche Schmutzblätter wie Ihre muss man in solchen Zeiten wohl lernen auszuhalten. Bin da aber ganz zuversichtlich.“