Bildschirmfoto 2020 05 31 um 04.39.26Ehrenbriefe des Landes  Hessen im Frankfurter Kaisersaal überreicht, Teil 2/2

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Sie haben heute im Frankfurter Römer aus der Hand des Frankfurter OB Peter Feldmann den Ehrenbrief des Landes Hessen samt Medaille erhalten. Welche Gefühle waren das, insbesondere bei der Übergabe?

Bildschirmfoto 2020 05 28 um 21.19.42In erster Linie Dankbarkeit. Natürlich die pure Freude. Für Stolz war keine Zeit.
Bei den anderen Geehrten konnte ich dies auch beobachten. Die Musik, die Ansprache des Oberbürgermeisters, Sie nehmen das alles ganz anders war. Sehr intensiv. Die Zeit, es ist wirklich so, man verliert das Zeitgefühl.



Haben Sie die Coronamaßnahmen, wie die Zulassung von nur 36 Personen und der Mund- und Nasenschutz beeinträchtigt?

Bildschirmfoto 2020 05 28 um 21.23.59Definitiv ja! Es ist äußerst bedauerlich, das ich nur drei Gäste mit in den Kaisersaal hineinnehmen durfte.
Nicht einmal die gesamte Fachpresse durfte in den Saal. Bei 36 Personen war Schluß. So wurde z. B.  das Jüdische Europa nicht eingelassen. Eigentlich gehören Familie, mein Vorstand und der Bundesvorstand sowie Spitzen der verschiedenen  Organisationen mit hinein. Aber es ist schon richtig, ich erinnere nur an diese Karnevalsveranstaltung als zwei Karnevalisten über 500 Gleichgesinnte auf einen Schlag ansteckten. Sehr üble Sache. Wir müssen da alle zusammen durch. Daher habe ich das zähneknirschend halt so hingenommen.


Der OB hatte als Stichworte für Ihre Ehrung, die aus einer ehrenamtlichen gesellschaftlich relevanten  Tätigkeit resultiert, genannt: Gebetsraum der Religionsgemeinschaften auf der Messe, Vizepräsident der Zionistischen Organisation Deutschland und Europapolitisches. Können Sie das bitte ausführen.

Ja gerne, ich zog damals 1989 von Frankfurt nach Aschaffenburg, bin damals gleich in Junge Union eingetreten und später auch in die CSU, Junge Europäer sowie Europa Union. Eine jüdische Organisation gab es nicht. Scheinbar habe ich das Funktionärstum in die Wiege gelegt bekommen. Zunächst war ich einige Jahre Stellvertretender Kreisvorsitzender der JE Aschaffenburg, dann Kreisvorsitzender. Das war eine sehr gute Schule. Habe hier viele Seminare und Delegiertenversammlungen besucht, aber auch organisiert. Hier habe ich gelernt, Events zu organisieren und auch mal Niederlagen einzustecken. Ganz wichtig auch, das Fundraising zu lerernen und gerade bei der Europa Union, das europäische und überparteiliche Denken.

Und genau diese Fähigkeiten kommen mir heute zu Gute. Denn die Zionistische Organisation ist heute in erster Linie ein Netzwerk – Dachverband der Jüdischen Vereine und Verbände. Durchgesetzt haben sich die Jüdischen Gespräche und die Kinoevents mit Diskusion zum Film.

Bildschirmfoto 2020 05 28 um 21.22.33Zur Messe: meine Mutter arbeitete früher bei der Messe Frankfurt. Ich fragte mich, warum haben die Christen und Muslime einen Gebetsraum und wir Juden nicht. Es gibt ja bei vielen Messen jüdische Besucher und Aussteller. Da ich ein Mann der Tat bin, habe ich mich mit dem Besucherservice der Messe sowie den damaligen Oberrabbiner der Jüdischen Gemeinde, Herrn Rabbiner Klein, zusammengesetzt und den Raum initiiert. Er gab mir den Auftrag, mich um ihn zu kümmern. Als Partner fungiert bis heute das Chabad Haus Frankfurt. Die Studenten der Chabad Yeschiva besuchen jüdische Aussteller und sorgen dafür, dass im Gebetsraum immer  ein Minjan vorhanden ist. Also 10 Männer. Der Raum ist nie am gleichen Ort, da die jüdischen Aussteller mal z. B. vermehrt in der neuen Halle 12 oder auch mal in der Halle 6 usw. sind. Also muss er bei jeder Messe in Kooperation mit der Messe Frankfurt und dem Chabad Haus koordiniert werden.


Sie leben in Frankfurt, kamen aus Aschaffenburg, zuvor jedoch ... Können Sie den Lebensweg Ihrer Familie durch die Hölle Drittes Reich skizzieren und wie es zur Ansiedlung in der Nachkriegszeit kam. Worin unterscheiden sich die beiden Städte im normalen Leben, auch im jüdischen Leben?

Ja gerne, meine Familie kommt ursprünglich aus Leipzig. Mein Großvater Emil Hofmann, hochdekorierter Offizier im 1. Weltkrieg, war sich sicher, dass ihm die Nazis nichts antun werden und schickte meinen Onkel Elias Hofmann in die damals zum British Empire gehöhrende Provinz Palästina, bzw Eretz Israel. Später stieß er dann zur Hagana und kämpfte für die Unabhängigkeit Israels. Dabei lernte er auch meine Tante Ruth kennen. Beide bekamen später Kinder, meine Cousine Hanni und meinen Cousin Ralph.
1940 wurde mein Vater in Krakau geboren. Meine Großeltern und das kleine Baby Norbert flüchteten mit Hilfe befreundeter Partisanen aus dem Ghetto und überlebten in den Wäldern. Mein Vater erlitt zu dieser Zeit eine Mittelohrenentzündung, die nicht behandelt werden konnte. Mehrfach stand er kurz davor, getötet zu werden, da befürchtet wurde, dass er,  wenn er vor Schmerzen heulen musste, die Flüchtlinge verraten könnte. Heute ist mein Vater schwerhörig und ohne Hörgerät nahezu taub.

Ich selber stelle mir das Leben damals so vor wie in dem Film "Difiance", als die Bilsky Brüder die Juden aus den Ghettos holten und im Wald überlebten.

Mein Onkel Elias kam 1947 zurück aus Israel und baute die Rauchwaren Firma Emil Hofmann & Sohn zusammen mit meinen Großvater Emil in Leipzig an der Leipziger Brühl wieder auf. Allerdings mussten sie 1948 Leipzig verlassen und zogen nach Frankfurt. Dort wird die Firma von meinen Cousin Ralph mit seinen Sohn bis heute erfolgreich weitergeführt.
Meine Mutter konvertierte 1968 orthodox zum Judentum.

Zum 2. Teil Ihrer Frage, Frau Schulmerich, möchte ich eines sagen, Aschaffenburg und Frankfurt sind grundverschieden. In Frankfurt gibt es ein lebendiges Judentum, Vereine und Verbände. Am Schabbat und an Feiertagen bis zu drei G“ttesdiensten unter einem Dach im Westend gleichzeitig. Einmalig. Jeder kann hier dem G“ttesdienst folgen, bei dem er teilnehmen möchte. Liberal oder Orthodox. Alternativ haben wir ja auch das Chabad Haus und die Baumwegsynagoge. Wir haben den Sportverein Makkabi, der jüngst den Integrationspreis der Stadt gewann. Es gibt religiösen Unterricht sowie zwei Altersheime. Das ist doch wunderbar, oder?

In Aschaffenburg, leider das genaue Gegenteil. Nichts!! Auf einmal bekamen wir 75 sogenannte Kontigentflüchtlinge aus der damaligen Sowjetunion nach Aschaffenburg. Des Weiteren zehn Israelis, darunter ein Orthodoxer. Wir gründeten die „Initiative zur Neugründung der Jüdischen Gemeinde Aschaffenburg.“

Bildschirmfoto 2020 05 28 um 21.20.37Das Theater Storystage stellte uns deren Räumlichkeiten kostenfrei zur Verfügung. Das Chabad Haus Frankfurt unterstützte uns aktiv bei Feiertagen und dem Unterricht. Die Russen mussten erst einmal lernen, was ist Judentum überhaupt. Eine schöne Zeit war das mit denen. Aber, jetzt kommt das Aber, die Stadt wollte uns nicht. Bekämpften uns bis aufs Messer. Ganz ehrlich, wenn ich daran denke, wie die uns behandelt haben, wird mir heute noch schlecht! Soviel Ignoranz und Antisemitismus habe ich noch nie erlebt. Aber Gedenken und Steine legen. Irgendwann wollten die Juden nicht mehr. Mit soviel Feindseligkeit seitens der Stadt hatte niemand gerechnet. Und ich rede von allen Parteien, CSU, SPD, Grüne. Es war furchtbar. Zu hoffen ist, dass der neue Oberbürgermeister nicht so verbohrt ist. Aber die einzige Möglichkeit, eine Untergemeinde von Würzburg zu gründen, wurde zerstört.

Auch ich zog meine Konsequenzen. Ich trat aus der CSU aus und trat in die CDU Frankfurt ein. Später zog ich ja auch zurück nach Frankfurt.
Ich war ja in der Zeit in Aschaffenburg u.a. Gründungsmitglied von Jewish Experience in Frankfurt, dem religiösen jüdischen Jugendverband, bei dem ich bis heute als Jugendleiter aktiv bin.

Kaum in Frankfurt, bekam ich von der Zionistischen Organisation in Deutschland den Auftrag, einen neuen Snif bzw Verband in Frankfurt aufzubauen. Heute heißen wir Zionistische Organisation Rhein Main e. V. und ich wurde zum Vizepräsidenten beim Bundesverband. gewählt.  Meine Mitglieder habe ich aus den bestehenden Verbänden akquiriert  und sind heute einer aktivsten Verbände innerhalb der ZOD.


Hat sich das Verhalten Ihrer Mitbürger zum Nationalsozialismus und dem Massenmord an den Juden in den Jahren, seit Ihnen das bewusst ist, verändert?  Welche Entwicklung stellen Sie fest?

Ja, da gibt es drei Entwicklungen.

Für die einen gibt es eine Zeit des Gedenkens und eine Zeit des Feierns. Das ist auch richtig so.
Andere sind reine Gedenkfanatiker. Gedenken und Gedenken,  Die muß man manchmal stoppen.
Einmal hörte man auf mich, als ich meinte, dass die doch keinen Holocaust Gedenkmarsch am Israelischen Unabhängigkeitstag machen können. Da feiern wir und gedenken nicht.

Die dritte Entwicklung und - leider die am meisten verbreitete. Deutsche neigen  leider zum Vergessen. Schließen zum Thema Shoa die Ohren. Aber eines war interessant, vor zwei Jahren lief der wunderbare Film "Ballon" im Kino. Hier ging es um das Leben in der DDR und der Angst vor Stasi und VoPo. Es wurde eine Lehrervorstellung organisiert. Frau Schulmerich, raten Sie mal wie viele Lehrer kamen. Es kam kein einziger!!!


Was ist heute der Schwerpunkt ihrer ehrenamtlichen Arbeit?

Mein Schwerpunkt heute, darauf bin ich ja vorhin ja schon ein wenig eingegangen. In erster Linie Networking. Zwischen den Vereinen und Verbänden. 
Hasbara ist ganz wichtig. Nichtjuden aufklären, was in Israel wirklich jeden Tag geschieht. Für ein Miteinander von Juden und Nichtjuden einstehen. D. h., auch Veranstaltungen auf die Beine stellen, die nicht nur für Juden sind. Da ist die Kooperation mit Verbänden wie z.B. DIG, Makkabi oder WIZO extrem wichtig. Um heute eine erfolgreiche Veranstaltung auf die Beine zu stellen, benötigt man Netzwerke.

Durchgesetzt haben sich ja auch die Jüdischen Gespräche und bei Wahlen das Spezial.

Ganz wichtig. Unser Kinoprojekt. Jeder  geht gerne ins Kino, Mehr Freude gibt es bei gemeinsamen Kinobesuchen. Aber, da machen wir immer was daraus. Immer eine Diskussion zum Film mit interessanten Gästen. Das Kinoprojekt wird auch aktiv von der Filmindustrie sowie den Frankfurter Kinos gefördert.


Wer hatte Sie vorgeschlagen und fallen Ihnen Frauen ein, die man dringlich für den Ehrenbrief des Landes Hessen vorschlagen sollte, wenn - wie heute - allein fünf Männer ausgezeichnet werden.

Bildschirmfoto 2020 05 28 um 21.21.49Mich hat der ehemalige Bundestagsabgeordnete und heutige Stadtverordnete Gregor Amann - im Fotot rechts neben Daniel Hofmann stehend - vorgeschlagen. Er war damals bei den Jüdischen Gesprächen  in der Budge Stiftung als Podiumsteilnehmer dabei und war in den folgenden Jahren regelmäßig im Publikum zu finden. Das Format und mein ganzes Tun hat ihm sehr gefallen. So kam es dazu.

Das mit den Frauen, ja da haben Sie recht, Frau Schulmerich, aber eine Mindestvoraussetzung ist nun einmal mindestens 12 Jahre das Ehrenamt. auszufüllen. Da würde ich die Gründerin und aktive Präsidentin von Jewish Experience e. V. , Frau Polina Lisserman, vorschlagen. Allerdings ist dieser Verein Jews Only. Aber ein erster Anlaufpunkt für junge Juden aus aller Welt, die nach Frankfurt kommen. Gerade jetzt zu Schavuoth hat sie wieder einen sehr gut besuchten „Schabaton“ auf die Beine gestellt. Eigentlich wollte ich auch dabei sein, hatte aber wegen der Ehrung und meines 50. jüdischen Geburtstags zu viele Termine.


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Der erste Teil von "Ehrenbriefe des Landes  Hessen im Frankfurter Kaisersaal überreicht":
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