DSC04313 2 optimiertZuvor wurde die Deutsche Bahn AG als Parade-Beispiel eines scheiternden materiellen Reproduktionsprozesses behandelt – ein Resümee

Heinz Markert

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Die Sensibilität, die die Bildung des Menschen erfordert, wird ebenfalls unter den Blick des egoistischen Reproduktionsprozesses von Unternehmen gezwungen, die es wie Lemminge zur großen Gleichmacherei zieht.

Und genau eben das bedingt das Übel des kapitalistischen Reproduktionsprozesses, weil ihm das blinde, hohle Selbstinteresse vorgeschaltet ist. Nach dem archaischen Gesetz des bürgerlichen Gleich um Gleich.- Trump macht es uns vor. Er markiert die Spitze der Perversion eines verfehlten Gesellschafts- und Wirtschaftsmodells, das die besten Anlagen nicht hebt, sondern ablehnt

Und Politik schaut zu und setzt sich an die Spitze einer Maschinerie, die Menschen nicht gerecht werden kann und will, so wie es Herbert Marcuse vor über 65 Jahren schon prophetisch erkannte ('Der eindimensionale Mensch'). Er hatte den Blick des Sehers. Vieles traf erst nach ihm ein. Tim Engartner hält es für einen Irrglauben, dass Privatisierung Dienstleistungen besser, billiger und bürgernäher macht. Sie müsse gebrochen werden. „Doch Vater Staat schüttelt immer mehr Aufgaben ab, wie der Baum seine Blätter im Herbst“. Engartner beschreibt, wie seit der Ära Kohl ab 1982 sich der Bund von mehr als 900 Beteiligungen getrennt hat. Dieser Prozess beinhaltet Theater, Museen, Schwimmbäder, Hochschulen, Kliniken, Wohnungsgesellschaften, Wasser-, Klär- und Elektrizitätswerke u.a.m. Von der üblen Art war das Verticken von 11 350 Wohnungen in Ostdeutschland an den Hamburger TAG-Konzern durch Wolfgang Schäuble 2012 und 32 000 Wohnungen der GBW-Gruppe an Patrizia durch Markus Söder in Bayern 2018. Diese Wohnungen fielen aus dem gemeinnützigen Bestand heraus, der jetzt gute Dienste bei der Begrenzung der durch die Decke schießenden Mieten leisten könnte.

ÖPP

Die Öffentlich-private Partnerschaft hat sich, wie vorauszusehen, als Variante der Kapitulation öffentlicher Eigentumseigner herausgestellt. Hierbei plant, baut und betreibt eine Firma öffentliche Einrichtungen über 15-30 Jahre zu festen jährlichen Zahlungen. Dieser Firma wird die Grundsteuer erlassen, ohne ihre Bonität vorher streng zu bewerten. Peer Steinbrück, der Dampfplauderer der SPD vor geneigtem Wirtschaftspublikum, hatte das ÖPP-Beschleunigungsgesetz aufgesetzt. Die Verträge mit den Unternehmenspartnern sind geheim, dürfen nicht durchgestochen werden. Es hat sich herausgestellt: am Schluss zahlt der Staat mehr als er hätte aufbringen müssen, wenn er die Projekte selbst entwickelt und durchgeführt hätte.

Der Bildungsmarkt – die contradictio in adjecto

Größte Gefahr droht mit dem Bildungsmarkt, den immer mehr Firmen zum Anlass nehmen, auf jugendliche Gehirne einzuwirken. Alles dreht sich um ein umworbenes Humankapital. Die Voraussetzung für den überzogenen Anspruch der Wirtschaft auf den Einfluss aufs Bildungswesen ist die chronische Unterfinanzierung des Bildungssystems. Im Vergleich der Länder zeigt sich, dass in diesem Land die Bildung dauernd unterfinanziert ist. Tatsache ist eine mangelnde Sachausstattung, der sinkende Schulbuchetat, das gedeckelte Kopierkontingent und die heimlich still und leise untergrabene Lehrmittelfreiheit. Dadurch finden Private die Gelegenheit, in den Schulmarkt einzudringen. Mit dabei ist die Deutsche Bank, die Allianz, die Telekom und die Volksbank AG. Es findet sich auch der Trend, eigenes Personal unmittelbar in die Schulen zu entsenden und etwa auch Lehrerfortbildung anzubieten. Das Eigeninteresse an diesen Anstellungen dürfte sich von selbst verstehen. In seinem Material für Schulen hat McDonalds die Meinung aufgeworfen, dass Fast-Food eine Frage der Definition sei. Fast-Food sei alles, was keiner weiteren Zubereitung bedürfe. Dazu würden auch Obst und Gemüse hinzuzählen. Mit den manipulativen, irreführenden Materialen für Schulen trifft Gewinn- und Gemeinwohlorientierung aufeinander. Vor- und Grundeinstellungen wollen geprägt werden. Auch Schulfeste bieten die Gelegenheit, buntes Material zu verteilen und rosa Wolken aufsteigen zu lassen.

Die Privatisierung von Bahn, Straße und Autobahn

Die Bahn war schon Thema des vorigen Teils. Die maulwurfsartig wirkende Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft hält den Sozialstaat für nicht mehr zeitgemäß und wertete ihn zum staatlichen Zwangskorsett ab. Welcher Zwang aber mit rigider Ökonomisierung verbunden ist, lässt sie unbedacht. Immer mehr Autobahnen sind im Besitz von Investoren, so die A8 zwischen Augsburg – München – Allach, die A1 zwischen Bremen und Buchholz. Die derzeit diskutierte Bundesfernstraßengesellschaft ist als Kapitalsammelstelle für Fernstraßen als eine Form von ÖPPs angelegt. Sigmar Gabriel hatte sie eingesetzt, um die Kosten in der gegenwärtigen finanziellen Umbruchszeit auf die Verbraucherinnen und Verbraucher zu verlagern. Klar ist, dass die – nur europäisch-juristisch abgewehrte – deutsche PKW-Maut ganz ähnlich der LKW-Maut (wie unter Toll-Collect) funktionieren sollte. Im Vertrag für die LKW-Maut war ausgerechnet das Naheliegendste auf 17 000 Seiten nicht festgelegt, nämlich was im Fall der verspäteten Bereitstellung passieren sollte. Für den Konfliktfall gab es nur die private Schiedsgerichtsbarkeit. Die Verspätung hatte 5 Mrd. an Einnahmeausfall zur Folge. Parlamentariern, die Einsicht in die Verträge nehmen, ist verboten, darüber reden.

Die Privatisierung der Nebenbetriebe der Bundesautobahnen betrifft auch die Autobahn-Rast-und-Tank GmbH. Entgegen Münteferings Versprechen sind nun doch für jeden Toilettengang 70 Cent zu berappen, weil die Tank-und-Rast-Tochter Sanifer zur Kasse bittet. Der Schreiber gesteht freudig, dass er davon nicht betroffen ist, weil er als Ästhet seit Jahren nicht mehr auf unsäglich schrecklichen Autobahnen bereit ist zu fahren.

Soziale Sicherungssysteme und Rente

Das kurzfristige Rentabilitätsinteresse börsennotierter Unternehmen möchte immer mehr in die Humansphäre eindringen und sie bestimmen, bzw. übernehmen. Eine Parole der 2000er-Jahre lautete: nur ein schlanker Staat ist ein guter Staat. Aufsteiger Schröder ließ sich beschwatzen und baute im Konzern-Auftrag den Sozialstaat auf breiter Front ab. Das war einer pseudointellektuellen Mode geschuldet. Auch die Solidarität wurde als unzeitgemäß schlechtgemacht. Der Dritte Weg war angebrochen. Die regelnde Hand des Staates wurde als Zwangssystem diffamiert. In der Rente wurde die Abkehr vom Umlageverfahren hin zum Kapitaldeckungsverfahren losgetreten. Die SPD war wie närrisch von ihren Wurzeln abgerückt und wollte partout keine Arbeiterpartei mehr sein. Dabei ist die feine Handarbeit das Fundament der Kultur. Ganze Parteiapparate gingen dazu über, in lobbyistischen Kategorien zu tönen. Die Kategorie ‚Finanzdienstleister‘ wurde zum Zauberwort. 1994 war das Deutsche Institut für Altersvorsorge gegründet worden. Es wurde von der Commerzbank, Morgan Stanley, von Finch und Goldman Sachs, sowie den Finanzdienstleistern AWD und MLP finanziert. Die ARD-Dokumentation ‚Das Märchen von der sicheren Rente‘ (2003) wurde denkwürdig, indem es vor dem Rentencrash warnte. Es kam aber zu einem Crash der gesamten Finanzszene. Wie traurig...

Kommen wir auf Riester zu sprechen. Zur drastischen Ausführung einer lobbyistischen Persönlichkeit wurde Walter Riester (Stichwort Riesterrente). Die Riesterrente wurde zum Schuss in den Ofen, ist gescheitert, ist nicht mal mehr ein Ladenhüter. Kurz vor seinem Ausscheiden aus dem Bundestag verdiente er neben seinem Mandat mindestens 180 000 Euro, vor allem durch Vorträge bei AWD, Provinzial und Sparda-Banken-Investment. Er war vom Fliesenleger zum Panegyriker der Finanzindustrie aufgestiegen. Dazugelernt scheint er bislang noch immer nichts zu haben. Er ist und bleibt uneinsichtig. Aber er hat sich seine Dienstleistung wenigstens vergolden lassen.

Please Mister Postman

Die Privatisierung der Deutschen Post erscheint als mustergültig für den Fall einer Filetierung und Kapitalisierung eines lang profitablen Unternehmens, das auf Abwege gelenkt wurde. Beklagt werden bis heute: steigende Preise, Demontage von Briefkästen oder Briefmarkenautomaten, ausbleibende oder nach einem Sammlungsprinzip eingeworfene Postzustellung. Das gilt auch für Köln. Schräg ist die Kombination von Kiosk, Lottoannahmestelle, kleiner Supermarkt und Postdienstleistung mit Schlangenbildung. Der Erfolg der Aktie und die Milliardengewinne resultieren daraus, dass der Bund am Beginn der Neunziger Jahre sämtliche Pensionen und deren Lasten für die Angehörigen übernommen hat. Zwar ist Telefonieren billiger geworden. Das aber wurde durch die Ausgründungspraxis in Personal-Service-Agenturen und mit Stellenabbau erreicht. Die Allgemeinheit trifft das mit geschrumpften Steuer- und Sozialabgaben, die der ausgleichende Staat auf Kosten der noch nach Tarif entlohnten umfänglicheren Allgemeinheit kompensieren muss. Der - noch - besser bestallte Rest finanziert ein Aufstocker-Heer von herabgestuften, atypisch oder illegal beschäftigten Sozialversicherungspflichtigen, die eine Form der Sklaverei darstellen.

Betriebswirtschaftlicher Imperialismus schlägt Gesundheit

Gesundheitsdienste werden nicht freiwillig angefragt. Sie liegen in der physischen Existenz beschlossen. Gesundheitskonzerne wie Sana, Asklepios, Helios sind medizinwidrig nach ökonomischen Benchmarks ausgerichtet. Sie wachen darüber, dass das nicht zu sehr auffällt. Als Medienvertreter wird man nach der PK gefragt, woher man komme, für wen man arbeite, wer man sei. Die Zweiklassenmedizin ist zementiert, die Fallpauschale wurde zum Unwort, weil sie eine längere, angemessene Verweildauer nicht vorsieht. ‚Der Medicus‘ hat abgedankt. Das kann zur englischen, d.h. blutigen Entlassung führen. Hygiene wurde zum Problem. Multiresistente Keime sind in den Kliniken zu gewärtigen. Der Mensch darf überwiegend nur noch als Fall betrachtet werden, die Bilanz muss stimmen.

Bei Abfall, Reinigung und Wasser deutet sich der Trend zur Rekommunalisierung an

Es hat sich eine ‚Orangene Revolution‘ eingestellt. Recycling, Kreislaufprinzip und ausufernde wie sich verdoppelnde Gebühren für Müll und Wasser haben für eine Gegenreaktion gesorgt. In Bergkamen, Leichlingen, Aachen, Hannover wurde die Müllentsorgung „wieder unter das kommunale Dach geführt“. Beschäftigtenzahlen wurden aufgestockt. Beschäftigte werden in die Beschaffungsentscheidungen eingebunden. Sie können beispielsweise darüber befinden, ob die Klobürsten in Schultoiletten auf den Boden gestellt oder an der Wand angebracht werden. Das wirkt sich auf die Geschwindigkeit mit der sinnvollerweise gearbeitet werden kann aus und macht das Arbeiten rationaler, weniger umständlich, weniger frustrierend. Eine Katharsis fand in Freiburg statt: die Reinigung der öffentlichen Hochschulen, Kindergärten und Sportstätten wurde rekommunalisiert. Die Abkehr von Privaten wie Remondis oder Sulo hat also begonnen.

Abschließend ist zur aufschlussreichen Kenntnis zu geben: Das lateinische Verb privare bedeutet auf Latein auch berauben. Die Privatisierer haben die im Wort verschlossene Botschaft nicht bedacht. Sie wäre ein Denkanstoß gewesen.

Foto:
© Heinz Markert
 
Info:
Vortrag: 'Staat im Ausverkauf', Prof. Dr. Tim Engartner, Teleakademie 2018, gehalten am 24.05.20 auf 3sat
Vorhergehend: ‚Zerfall mit Abwicklung‘
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