Der Kaufhof in Oberhausen. Postkarte von 1962Die Krise der Warenhäuser und ihre Ursachen

Klaus Philipp Mertens

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Frankfurts Konstabler Wache wird demnächst noch öder sein als bislang, denn das Warenhaus Karstadt wird geschlossen.

In Dortmund muss das traditionsreiche Karstadt-Haus an der Kreuzung Westenhellweg/Hansastraße schließen, das 1904 von der damaligen Althoff-Gruppe eröffnet worden und das größte seiner Art in Westfalen war. Der etwa 300 Meter entfernte Kaufhof auf dem oberen Westenhellweg ist ebenfalls von der Schließungswelle betroffen. Im Zentrum Essens, jahrzehntelang Sitz von Althoff bzw. Karstadt, wird Galerie Karstadt Kaufhof bald nicht mehr vertreten sein. Auch auf Hamburgs Einkaufsmeile Mönckebergstraße sind die Tages des Kaufhof gezählt. Ebenso am Paradeplatz in Mannheim. Das sind nur wenige besonders exponierte Filialen von insgesamt 62, die geschlossen werden.

Die Krise der Warenhäuser geht auf unternehmerische Fehlentscheidungen zurück, die bereits in den 1980er Jahren getroffen und später nie korrigiert wurden. Damals gab es noch kein Internet für Privatpersonen und erst recht keine Online-Versandhändler. Für die Ursachen des Übels sind die kurzsichtigen Profitinteressen der Aktionäre (hauptsächlich vertreten durch Commerzbank, Dresdner Bank und Deutsche Bank), ein inkompetentes Management und die inneren Strukturen der Häuser verantwortlich.

1980 hatte der Mischkonzern Metro, ein Selbstbedienungsgroßhandel für Einzelhändler unterschiedlicher Warengruppen, 24,9 Prozent der Anteile an der Kaufhof AG erworben, deren Aktien sich mehrheitlich im Besitz von Commerzbank und Dresdner Bank befanden. Die Kapitalverschiebung bedeutete massive Unvereinbarkeiten hinsichtlich der Zielgruppen (Einzelhändler contra Endkunden). Diese ließen sich auch durch das gemeinsame wirtschaftliche Ziel, nämlich eine höchstprofitable Kapitalverwertung, nicht neutralisieren. Im Gegenteil: Erträge der einen Gruppe führten zwangsläufig zu Renditeproblemen bei den anderen.
Sechzehn Jahre später wurde die Diversifikation auf die Spitze getrieben durch die Verschmelzung der „Metro Cash & Carry“ mit der „Kaufhof Holding“. Ab diesem Zeitpunkt standen den Fachabteilungen der Warenhäuser namhafte Vertriebskonkurrenten aus der eigenen Kapitalfamilie gegenüber: beispielsweise Primus Sportwelt, Pelikan oder Media-Saturn. Im September 2015 trennte sich Metro von der Kaufhof-Kette und veräußerte sie an die kanadische Handelsgesellschaft Hudson’s Bay Company (HBC), die selbst unter Absatzproblemen litt. Drei Jahre später vereinbarte HBC ein Joint Venture mit der österreichischen Signa Holding des Investors René Benko. Signa hatte bereits die insolvente Karstadt-Gesellschaft aufgekauft und durch Kosteneinsparung (überwiegend in überlebenswichtigen Bereichen) saniert. Nur wenige Monate später, Anfang 2019, fusionierte Galeria Kaufhof mit Karstadt unter dem Dach der Signa Holding. Seither treten beide Unternehmen unter dem gemeinsamen Namen Galeria Karstadt Kaufhof auf. Nun wird auch für diese das vorletzte Signal geblasen.

Karl Marx hätte möglicherweise diagnostiziert, dass sich die Enteigner nunmehr selbst enteigneten und sich der Kapitalismus selbst zerstöre. Letzteres wäre zu begrüßen, stünden nicht Tausende Einzelhandelskaufleute arbeitslos auf der Straße.

Diese Entwicklung war absehbar, aber sowohl die Politik als auch die Gewerkschaften erwiesen sich als blind. Das gilt insbesondere für die damaligen Gewerkschaften HBV und DAG, die als kapitalhörige „Lahmärsche“ verschrien waren. Sie hatten es bereits seit den späteren 1960er Jahren hingenommen, dass die Angestellten von Kaufhof und Karstadt durch das so genannte Harzburger Führungsmodell weitgehend fachlich entmündigt wurden; ein Modell, das von dem Juristen und ehemaligen SS-Oberführer Reinhard Höhn entwickelt worden war. Statt der proklamierten Delegation von Verantwortung wurden lediglich Routineentscheidungen auf den Ebenen von Verkäufern, Erstverkäufern, Substituten und Abteilungsleitern getroffen. Faktisch war „Harzburg“ nichts anderes als eine autoritär-bürokratische Hierarchie, die von oben nach unten funktionierte. Weder die Warenkunde noch die Verkaufserfahrung der Mitarbeiter an der Basis genossen einen besonderen Stellenwert. Die Geschäftsführer der Filialen und die Zentraleinkäufer in Köln (Kaufhof) und Essen (Karstadt) erließen Direktiven im Sinn der Kapitaleigner und setzten diese nach unten durch.

Hätten die Konzernleitungen auf die Erfahrungen ihrer Mitarbeiter am „Point of Sale“ gehört, wäre spätestens in der Mitte der 1980er Jahre die Umwandlung der Warenabteilungen zu wirklichen Fachgeschäften das Gebot der Stunde gewesen. Mit einem Sortiment, das auch in der Tiefe hätte gefächert sein müssen und das von kompetenten Verkäufern zu betreuen gewesen wäre. Stattdessen wurde ein vermeintlich kostenreduzierendes Einheitsangebot, nur notdürftig kaschiert durch aufwendige Ladendekoration, durchgesetzt, die der Kundschaft keine wirkliche Auswahl ermöglichte. Die Folge war die Abwanderung langjähriger Stammkunden, vor allem der jüngeren. Der ab Ende der 1990er Jahre einsetzende Online-Handel hat diese bereit bestehende Strukturkrise der Warenhäuser für seine Zwecke genutzt.

Im Schicksal von Kaufhof spiegelt sich auch ein Abschnitt deutscher Geschichte. Das 1879 von Leonhard Tietz in Stralsund gegründete Unternehmen wurde 1933 von den Nationalsozialisten zwangsarisiert. Alfred Leonhard Tietz, der Nachfolger des Gründers, war zum Rücktritt aus dem Unternehmensvorstand gezwungen worden und musste seine Geschäftsanteile zu einem Bruchteil des tatsächlichen Wertes an die Dresdner Bank verkaufen. Das Unternehmen wurde umbenannt in „Westdeutsche Kaufhof AG“, zunächst noch mit dem Zusatz „Leonhardt Tietz“; mit der zunehmenden Judenfeindschaft des NS-Staats wurde letzterer in den späteren 1930er Jahren gestrichen.
Ähnlich erging es Karstadt. 1881 gründete Rudolph Karstadt sein erstes Geschäft in Wismar. 1920 wurde das Warenhaus Althoff, das seinen Sitz im westfälischen Dülmen hatte und über mehrere Filialen verfügte, von Karstadt übernommen und das Unternehmen in eine Aktiengesellschaft umgewandelt. Durch die Weltwirtschaftskrise verlor die Firma einen großen Teil ihrer Kapitalreserven. Doch der NS-Staat gewährte dem Konzern 1933 einen umfangreichen Kredit. Im Gegenzug verpflichtete sich der Konzern zur Arisierung; dadurch verloren vier Vorstandsmitglieder, 47 Geschäftsführer und 830 Angestellte jüdischer Herkunft ihre Arbeitsplätze. Noch nach dem Zweiten Weltkrieg trugen mehrere Niederlassungen den Namen Althoff. Erst 1962 wurden endgültig sämtliche Zweigbetriebe in Karstadt umbenannt, obwohl sie bereits seit 1920 zur Gesellschaft gehörten.

Das ehemalige Kaufhof-Prinzip „Tausendfach alles unter einem Dach“ könnte auch heute noch erfolgreich sein. Vielleicht betritt demnächst ein chinesischer, taiwanesischer oder südkoreanischer Milliardär die Bühne und zeigt deutschen Managern, dass sie seit vierzig Jahren die Zeichen der Zeit falsch verstanden haben.

Foto:
Postkarte des Kaufhofs in Oberhausen 1962
© Industriemuseum des Landschaftsverbands Rheinland