Bildschirmfoto 2020 06 23 um 03.30.34Eine unterbesetzte Massenveranstaltung und steigende Covid-Erkrankungen markieren die tiefste Krise der Trump-Präsidentschaft

Andreas Mink

New York (Weltexpresso) - Als er Samstagnacht aus Oklahoma ins Weiße Haus zurückkehrte, wirkte Donald Trump erstmals in seiner Präsidentschaft wie ein geschlagener Mann. Der 74-Jährige hatte sein Markenzeichen – eine roten Seidenkrawatte – abgelegt und liess die Schultern ebenso hängen wie die Miene. Der Abend in Oklahoma muss Trump tief schockiert haben. Erstmals seit seiner Präsidentschaftsbewerbung vor fünf Jahren waren die Massen ausgeblieben.

Beim Auftakt seiner Kampagne in Tulsa war die Halle bei einer Kapazität von 19.000 Besuchern nur zwei Drittel voll. Da mögen Streiche von Teenagern eine Rolle gespielt haben, die in Massen Tickets reserviert haben und dann nicht erschienen sind.

Aber selbst in einer der konservativsten Regionen in den USA blieben die Unterstützer wohl auch aufgrund der Covid-Pandemie zuhause: die Region um Oklahoma ist in den letzten Wochen seit der voreiligen Aufhebung von Notstandsmassnahmen durch von Trump bedrängte, konservative Gouverneure ein gigantischer Covid-«Hotspot» geworden. Am Samstag erreichten die Infektionszahlen 32'000 und damit den höchsten Tageswert seit Anfang Mai. Der Rekord lag im April bei rund 36'000 Infektionen. Experten wie Scott Gottlieb, der unter Trump die Pharma-Behörde FDA geleitet hat, warnen nun vor einer exponentiellen Steigerung der Ansteckungsraten in den konservativen Regionen des Mittelwestens und Südens.

Offenkundig haben selbst eingefleischte Anhänger heute weniger Vertrauen in Trump als in offizielle Statistiken. Lebensangst scheint über «Make America Great Again»Fantasien zu obsiegen. Dies geht aus einer aktuellen Umfrage von Trumps Haussenders FoxNews hervor: Nur ein Viertel der Befragten hält Massen-Kundgebungen – und noch dazu solche in geschlossenen Hallen wie in Tulsa – während der Virus-Pandemie für eine gute Idee.

Trump hatte zu Covid-19 in Tulsa nur zu sagen, er habe seine Bürokratie zu einer Verlangsamung von Tests gedrängt, um die Ansteckungszahlen niedrig zu halten. Diese bizarre und destruktive Realitäts-Verweigerung steht hinter dem Absturz Trumps bei Umfragen. Seine Beliebtheitswerte sind mit 43 Unterstützung zu 55 Punkten Ablehnung zwar schlechter, als der Abstand von nur zehn Prozent auf den Herausforderer Joe Biden. Der Demokrat distanziert den Präsidenten jedoch in Schlüsselstaaten wie Florida und Ohio, in denen Trump 2016 Hillary Clinton souverän schlagen konnte. Zudem läuft ihm Biden nun auch in zuverlässig konservativen Gliedstaaten wie Arizona den Rang ab. Hier weisen Analytiker auf einen weiteren, wichtigen Wert hin: Biden ist persönlich zumal bei älteren Wählern, die zuverlässig an Stimmgängen teilnehmen, sehr viel beliebter, als es Clinton 2016 war und Trump heute ist.

Vor diesem Hintergrund könnten bereits die nächsten Tage über das Schicksal der Trump-Präsidentschaft entscheiden. Erreichen die Fall-Zahlen neue Höhen, dürfte auch die von Billiarden-Hilfen der Regierung für Wirtschaft und Verbraucher beflügelten Kurssprünge an der Wall Street einer neuen und womöglich anhaltenden Panik weichen. Die Wirtschaft kann unter solchen Voraussetzungen nach Menschenermessen nicht bald wieder auf die Beine kommen.

Doch was fällt Trump dazu ein? Er eskaliert die Hass-Propaganda und denunziert Demonstranten gegen Polizeigewalt und Rassismus als «bezahlte Akteure». Und dahinter soll angeblich einmal mehr George Soros stehen, die Lieblings-Inkarnation alter, judenfeindlicher Klischees und Verschwörungs-Theorien amerikanischer und europäischer Rechtsextremisten. Am Samstag hat Trump eine entsprechende Geschichte von «BreitbartNews» auf sein Twitter-Konto gestellt. Der Artikel ist selbst für diese Plattform extrem dünn.

Parallel dazu betreiben Trumps Getreue in der Regierung eine Zerstörung der amerikanischen Gewaltenteilung, an deren Horizont eine Art Staatsstreich erkennbar wird. Eine besonders infame Rolle spielt hier einmal mehr Justizminister Bill Barr mit der Entlassung von Bundesstaatsanwalt Geoffrey Berman in Manhattan am Wochenende. Die Details dieser makabren Posse sind kompliziert. Aber unter dem Strich ist damit offenkundig geworden, dass seine Minister und Mitarbeiter ihre Aufgabe nun endgültig primär darin sehen, Trumps Probleme aus dem Weg zu schaffen. Diese hat er vorwiegend durch Inkompetenz und/oder Korruption und Machtmissbrauch selbst geschaffen. So war der angesehene Profi Berman mit diversen Ermittlungen gegen Trump selbst und seine Firma ein besonderes Ärgernis.

Damit steht Amerika nun bis zum Wahltag am 3. November ein unheimlicher Wettlauf zwischen der Covid-Pandemie, dem zunehmend autoritären Benehmen Trumps und der Fähigkeit der Demokraten bevor, eine glaubwürdige Alternative zu diesem Präsidenten anzubieten. Doch womöglich geschieht vorher doch noch das von so vielen Beobachtern ersehnte Wunder: Womöglich geben zumindest republikanische Politiker in Gliedstaaten ihre bedingungslose Unterwerfung Trump gegenüber auf und stellen das Wohl – und das Leben – ihrer Bürger in den Vordergrund.

Foto:
© tachles

Info:
Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 22. Juni 2020