taz vom 14.06.20taz und AfD in seltener Eintracht

Klaus Philipp Mertens

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Kritik an nicht akzeptablen Zuständen in der Gesellschaft darf auch in polemischer oder satirischer Weise geäußert werden.

Aber sie muss sich an den Tatsachen orientieren und das Übel, seine Bedingungen und seine ursprünglichen Verursacher präzise benennen. Die Diskriminierung dunkelhäutiger Menschen in den USA und die Rolle, welche die Polizei dabei spielt, lässt sich nicht mit dem offenen sowie dem unterschwellig tolerierten Rassismus in der Bundesrepublik vergleichen – wobei mir bewusst ist, dass es zwar keine Rassen, aber Rassisten gibt. Beide Haltungen sind zu verabscheuen, beide sind illegal, beide verstoßen gegen die Menschenrechte. Aber zu ihrer jeweiligen Überwindung bedarf es unterschiedlicher Strategien, die sich an den Realitäten des jeweiligen Landes bemessen. Und diese Forderung gilt auch für Publizisten, denn sie tragen durch die Art und Weise, in der sie ihren Dienst versehen, in erheblichem Umfang zum demokratischen Bewusstsein der Bevölkerung bei.

Die taz-Kolumnistin Hengameh Yaghoobifarah veröffentlichte in ihrer Kolumne einen Beitrag zur Debatte um Rassismus innerhalb der Polizei, in dem es u.a. heißt:
„Wenn die Polizei abgeschafft wird, der Kapitalismus jedoch nicht, in welche Branchen kann man Ex-Cops dann überhaupt noch reinlassen? Schließlich ist der Anteil an autoritären Persönlichkeiten und solchen mit Fascho-Mindset in dieser Berufsgruppe überdurchschnittlich hoch.“ Als letzte Möglichkeit bliebe nur eine Beschäftigung auf Müllhalden übrig.

Der taz ist vorzuwerfen, dass sie Meinungsfreiheit mit Vorurteilen verwechselte, als sie den Beitrag veröffentlichte. Gegen diese notwendige Trennung zwischen dem, was nach Rechtslage zwar gesagt werden darf, aber niemals gesagt werden sollte, scheint in dieser Zeitung auffallend häufig verstoßen zu werden. So haben die ehemaligen taz-Autoren Anselm Lenz, Batseba N’Diaye und Hendrik Sodenkamp im März die „Kommunikationsstelle Demokratischer Widerstand (KDW)“ gegründet, die eine unübersehbare Nähe zu Verschwörungsideologen und rechten Querfrontpopulisten aufweist und durch so genannte „Hygiene-Demos“ auf sich aufmerksam macht. Durch ihre dissoziale Aktionen haben sie die Freiheit der Publizistik ad absurdum geführt.

Frau Yaghoobifarahs Kommentar erinnert mich an das, zu dem Alexander Gauland auf einer Wahlkampfveranstaltung im August 2017 aufforderte. Nämlich die seinerzeitige Staatsministerin Aydan Özoguz in Anatolien zu entsorgen. Die Deutsche mit türkischen Wurzeln in Vorderasien abladen, Ex-Polizisten auf eine Müllhalde schicken, wo sie mit dem Unrat eins werden können. Das sind zwei Seiten derselben Phrase aus dem Wörterbuch des Unmenschen.

Der Rassismus der USA ist im irregeleiteten Bewusstsein eines großen Teils der Bevölkerung und folglich auch im Selbstverständnis vieler Polizisten verankert. Der Schauspieler John Wayne, der in seinen Filmen den vermeintlich freien Amerikaner verkörperte, äußerte auf die Frage, wie er den Genozid an den Ureinwohnern beurteile: „Ich denke nicht, dass wir etwas falsch gemacht haben, als wir ihnen dieses große Land weggenommen haben. Da waren eine Menge neuer Menschen, die viel Land brauchten. Die Indianer waren egoistisch und wollten es behalten“. Und angesichts der offenen Diskriminierung Schwarzer bekannte er: „Ich glaube so lange an die weiße Überlegenheit, bis die Schwarzen gebildet genug sind, Verantwortung zu übernehmen.“ Damit dieses vielgestaltige Gefälle bis zum Ende der Welt festgeschrieben bleibt, sorgen „Social Media“ und Organisationen wie die „John Birch Society“ für die notwendigen Rahmenbedingungen.

In Deutschland ist Rassismus nicht das Erbe von Kolonialisten, die einerseits von ihren Herkunftsländern unabhängig sein wollten und andererseits Ureinwohner verdrängten, sogar systematisch ermordeten, und Arbeitssklaven importierten, um den erträumten Wohlstand zu Lasten anderer erreichen zu können.

Hierzulande weist Rassismus eine andere Struktur auf und wird vielfach subtiler praktiziert. Die völkisch-reaktionäre Variante musste, nachdem sie über 50 Millionen Tote produziert hatte, zwar am 8. Mai 1945 bedingungslos kapitulieren. Dennoch ist dieser Ungeist nicht verschwunden. Vielmehr wird er regelmäßig dann beschworen, wenn Schuldige gesucht werden. Insbesondere die Klimakatastrophe, die Massenflucht von Menschen aus Kriegs- und Dürregebieten, Seuchen wie Corona überfordern die Deutungsversuche des „gesunden Volksempfindens“ und rufen rassistische Verschwörungsideologien auf den Plan. Hier sind rechtsextreme Strömungen wie Pegida, Identitäre, Freie Kameradschaften, Reichsbürger und die AfD zu nennen.

Auch ein unterschwelliger und möglicherweise unbewusster Rassismus („Woher kommen Sie ursprünglich?“, „Sie sprechen aber gut Deutsch“) wird von Betroffenen als Diskriminierung verstanden.

Zudem hat die auf Kostenreduzierung und Profitmaximierung angelegte Konsumwirtschaft das Entstehen von Parallelgesellschaften begünstigt, in denen eingewanderte Arbeiter aus autoritär regierten Ländern mit fundamentalistischer Staatsreligion sowohl isoliert wurden als auch sich selbst isolierten. Die daraus entstandenen Konflikte reichen bis in die vielbeschworene Mitte der Gesellschaft. Dort treffen Lebensauffassungen aufeinander, die auf der einen Seite von einer sichtbar demonstrierten Religiosität, verbunden mit Obrigkeitshörigkeit, und auf der anderen Seite von einem Sich-nicht-hineinreden-lassen-wollen bestimmt sind. Diese Auseinandersetzungen können rassistische Formen annehmen, sind aber eigentlich vielschichtiger.

Kopftuchträgerinnen werden es hinnehmen müssen, dass andere, auch Aufgeklärte der eigenen Religion, mit diesem Symbol männliche Vorherrschaft bis hin zur offenen Frauenunterdrückung, aber auch Homophobie und antidemokratische Einstellungen assoziieren. Von einer notwendigen und differenzierenden Beschäftigung mit diesem Phänomen ist die zu verwerfende pauschale Abqualifizierung des Islam zu unterscheiden.
Und selbst Straftaten von Muslimen gibt Polizisten nicht das Recht, Drohbriefe an eine Rechtsanwältin muslimischen Glaubens zu senden (wie in Frankfurt am Main geschehen). Oder Deutschland-, Landes- und Europaflagge nach Reichsbürgersitte vor der Dienststelle umgekehrt aufzuhängen (wie in Fulda). Ebenso wenig gibt es eine Rechtfertigung für Kontrollen nach der verbotenen Racial-Profiling-Methode. Damit aus Einzeltaten kein Massendelikt wird, ist die Polizei aufgerufen, durch einen tief verankerten Bewusstwerdungsprozess in ihren Reihen Fehlentwicklungen entgegenzuwirken.

Und Publizisten (Frauen und Männer) wie Hengameh Yaghoobifarah werden es verinnerlichen müssen, dass Fremde nicht nur zu achten sind, weil sie fremd sind und unserer Hilfe bedürfen, sondern vor allem, weil sie Menschen mit unveräußerlichen Rechten sind. Genau wie Polizisten.

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taz vom 14.06.20
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