Corona Warn fur Acrobat und iOSKommerzielle Telemedizin verursacht Krankheiten, die sie angeblich verhindern will

Klaus Philipp Mertens

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Alles hat mit Politik zu tun. Auch die keinesfalls zufällige Freisetzung des Corona-Virus und seine fahrlässige Verbreitung.

Ebenso die Kapitulation staatlicher Daseinsvorsorge vor den Begehrlichkeiten der großen Digitalunternehmen. Die haben längst den Gesundheitssektor als Wachstumsbranche entdeckt. Das Marktvolumen typischer Digital-Health-Produkte steigt nach Ansicht von Experten bis 2025 auf mindestens 16 Milliarden Euro. Die Aktivitäten der dort tätigen Unternehmen gehen weit über die Kooperation von Google und Apple bei der Entwicklung einer Corona-Tracing-App hinaus. Die Aktien des US-Fitnessanbieters Peloton, der Online-Training inklusive dazugehörender Geräte vertreibt, gelten an der Börse als sichere Anlage. Die Gesundheitsanfragen bei Google steigen rapide an. Dabei geben die Ratsuchenden so viel Privates preis, dass der Datenkrake detaillierteste Profile erstellen und verkaufen kann. In den USA handelt Amazon bereits mit Pillen, der Einstieg in den deutschen Apothekenmarkt ist geplant. Lediglich Facebook tut sich noch etwas schwer in diesem Segment. In den USA organisiert das kommerzielle Netzwerk vor allem Arzttermine.

Um erkennen zu können, was speziell dem Gesundheitswesen droht, ist eine faktenbasierte Information über Qualitätsmedien notwendig. Zu letzteren zählen Facebook, Instagram, Whatsapp, Twitter, Skype, Google (Acrobat), Apple (iOS) etc. ausdrücklich nicht. Denn sie dienen ausnahmslos der Schaffung ahnungsloser und beliebig manipulierbarer Konsumenten (= politischer Analphabeten). Als soziale Medien könnten sie nur in einer völlig dissozialen Gesellschaft gelten.

Vor diesem Hintergrund verwundert es, dass die Corona-Warn-App sich der Funktionen von Acrobat bzw. iOS bedient, wobei sie deren Datenhunger angeblich zähmt. Mir ist es allerdings nicht gelungen, die App auf mein neueres Smartphone herunterzuladen. Vermutlich, weil ich die „Komfortfunktionen“ von Acrobat deaktiviert habe (App Shop, Standort, Google, PayPal, EBAY, Amazon u.a.). Würde ich sie ganz oder teilweise wieder aktivieren, flössen meine Daten an Firmen, denen ich nicht vertraue.

Für 20 Millionen Euro Entwicklungskosten (etwa dem Zehnfaches des üblicherweise anzusetzenden Honorars) hätte man von vermeintlichen Profis wie Telekom und SAP erwarten dürfen, dass sie eine Lösung auf der Basis von LINUX bzw. UNIX zustande brächten. Doch die haben anscheinend vor allem um die Unbedenklichkeitserklärung des Chaos-Computer-Clubs gerungen, der bereits seit längerem nur noch mit abgestandenem Wasser kocht und längst kein Gütezeichen mehr ist.

Aus diesen Gründen halte ich Abstand, Maske und Hygiene nach wie vor für die Gebote der Stunde. Ebenso die Meidung von Menschenansammlungen, wo diese Vorsichtsmaßnahmen erkennbar nicht umgesetzt werden. Denn Corona wird allem Anschein nach in der Welt bleiben; lediglich seine Wachstumsbedingungen werden sich beeinflussen lassen. Das Ziel bleibt die Schutzimpfung, die allerdings exakte Kenntnisse über die Beschaffenheit des Virus voraussetzt.

Die Rückkehr zu einem „normalen“ Leben ist dennoch möglich, falls diese Normalität an ein neues Bürgerbewusstsein geknüpft wäre. Wir werden, um langfristig überleben zu können, neu denken müssen hinsichtlich Arbeit und deren Organisation, Mobilität und Verkehr, Energiegewinnung und -verbrauch, Ernährung und Landwirtschaft, Natur und Umwelt, Kommunikation und Information sowie Datensicherheit, zeitgerechte Veranstaltungsformen, Freizeit und Urlaub und nicht zuletzt Kultur. Dieser Wandel wird auch zu wesentlichen Veränderungen bei den Produkten, deren Anpreisung und Vertrieb sowie ganz generell beim Konsum führen. Wohlgemerkt: Nicht nach Corona (das wäre Utopie), sondern ab sofort. Damit wir mit dieser und allen weiteren Seuchen und Katastrophen leben lernen.

Die Kultur habe ich bereits erwähnt. Den Blick möchte ich speziell auf die Frankfurter Theaterlandschaft richten. Vor allem von den dort Verantwortlichen erwarte ich, dass sie in und an der Krise wachsen. Wenn ich mir beispielsweise die Entwürfe für das geplante Schauspielhaus und die neue Oper anschaue, stelle ich fest, dass Architekten, Dezernenten und Intendanten offensichtlich unfähig sind, die gegenwärtig sich entscheidend verändernden Rahmenbedingungen wahrzunehmen (abgesehen davon, dass ich beide Projekte für nicht notwendig halte). Ohne kleinteilige Glasabtrennungen in den Zuschauerräumen, ohne eine optimale Be- und Entlüftung sowie ohne Aerosole-Filter wird Theater künftig nicht mehr möglich sein. Ähnliches dürfte für Musikveranstaltungen und Kinos gelten.

Wir befinden uns seit diesem Frühjahr in einer Zukunftswerkstatt. Und wir können es uns nicht leisten, dass das Bewusstsein darüber an der Mehrheit der unmittelbar Betroffenen spurlos vorüber geht.

Foto:
Corona-WarnApp für Acrobat und iOS
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