Christine Lambrecht
Berlin (Weltexpresso) - Verehrte Gäste, sehr geehrter Herr Joffe, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, sehr geehrter Herr Gelbart, sehr geehrter Herr Neumann, Repräsentanten von Keren Hayesod, liebe Kolleginnen und Kollegen und vor allem, lieber Herr Feinstein, herzlich willkommen hier im Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, hier im Fritz Bauer-Foyer.
Berlin (Weltexpresso) - Verehrte Gäste, sehr geehrter Herr Joffe, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, sehr geehrter Herr Gelbart, sehr geehrter Herr Neumann, Repräsentanten von Keren Hayesod, liebe Kolleginnen und Kollegen und vor allem, lieber Herr Feinstein, herzlich willkommen hier im Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, hier im Fritz Bauer-Foyer.
Ich freue mich sehr, Sie zu einem feierlichen Ereignis begrüßen zu dürfen: zur Einweihung der Fritz Bauer-Büste. Sie, lieber Herr Pavel Feinstein, haben diese für uns gestaltet, damit sie hier in diesem Foyer ihren Platz finden kann.
Eine Fritz Bauer-Büste – nicht eine Justitia-Statue. Das ist durchaus ungewöhnlich. Denn, wenn Sie die Justizministerien und Justizpaläste dieser Welt betreten, dann empfängt Sie in aller Regel die Göttin der Gerechtigkeit. Sie erscheint uns als junge Frau in erhabener Geste. Eine Toga bedeckt ihre anmutige Gestalt. Aus welchem Grund thront hier in diesem Haus – im Herzen der deutschen Justizpolitik – nicht auch eine Justitia, anmutig und erhaben? Warum soll uns ihrer statt der kritisch dreinblickende Charakterkopf Fritz Bauers in Empfang nehmen? Das möchte ich Ihnen gerne erläutern.
Erlauben Sie, dass ich mich dafür einer Passage aus einem Roman des deutsch-israelischen Lyrikers Jehuda Amichai bediene. Verfasst knapp zwanzig Jahre nach Kriegsende, lautet sein Titel: „Nicht von jetzt, nicht von hier“. Der Roman handelt von Joel, einem jüdischen jungen Mann. Seine Familie musste vor den Nationalsozialisten fliehen, wanderte nach Jerusalem aus – und überlebte so die Shoa. Im Traum begegnet ihm Ruth, seine im KZ ermordete Jugendfreundin. Da beschließt er, seine Vergangenheit zu ergründen. Auf der Suche nach Sühne. Auf der Suche nach Gerechtigkeit. Vor dem Justizgebäude seines deutschen Heimatstädtchens fällt Joel eine Statue ins Auge.
Hier beginnt mein Zitat:
„Über dem Eingang stand die Göttin Justitia mit verbundenen Augen, in der einen Hand ein Schwert, in der andern eine Waage. Ihre Augen waren verbunden, damit sie nicht sah, was sie tat. All die Menschen, die da geschäftig die Treppen auf und ab hasteten, waren wie sie: ‚Wir haben nichts gewusst, nichts gesehen, nichts gehört.‘
Wozu das gezückte Schwert in der Hand der Göttin der Gerechtigkeit? Um den Bösen die Köpfe abzuhacken. Aber da ihre Augen verbunden waren, hieb sie größtenteils auf Unschuldige ein. Die Bösen wussten, dass sie blind war. Und wozu die Waage? Was sollte sie abwägen? Die Waage sollte sie lieber den Krämern überlassen.“
Zitat Ende.
Meine Damen und Herren, es waren auch und gerade Juristen, die die Shoa – das größte Verbrechen der Menschheitsgeschichte – organisiert und routiniert verwaltet haben. Es waren auch und gerade Juristen, die nach dem Krieg ihre Karrieren bruchlos fortgesetzt haben, als wäre nichts gewesen. Die um das unmenschliche Unrecht den Mantel des Schweigens gehüllt, die Taten vertuscht und die Täter gedeckt haben. Diese furchtbaren Juristen haben Recht und Gerechtigkeit mit Füßen getreten. Und sie haben sich nicht geschämt, das unter den Augen von Justitia zu tun.
Unter der deutschen Juristenschaft gab es leider nur wenige mutige Ausnahmen. Fritz Bauer war eine solch mutige Ausnahme. Er wollte, wie er selbst sagte, „ein Jurist sein, der dem Gesetz und Recht, der Menschlichkeit und dem Frieden nicht nur Lippendienst leistet.“ Und das war Fritz Bauer: Der engagierte Sozialdemokrat und Sohn einer jüdischen Familie warnte früh vor den Nationalsozialisten. Als Richter beteiligte er sich am Generalstreik gegen ihre Machtübernahme. Er wurde zweimal verhaftet und monatelang interniert. Er floh, tauchte unter und schrieb aus dem Exil gegen die nationalsozialistischen Verbrechen an. Auch nach seiner Rückkehr aus dem Exil scheute er sich nicht, als engagierter Richter und Beamter politisch Stellung zu beziehen. Er setzte sich dafür ein, die Vergeltungsstrafe als ein Relikt autoritärer Denk- und Handlungsmuster abzuschaffen, weil er sie als unvereinbar mit dem Grundgesetz ansah. Und als Generalstaatsanwalt gehörte er zu den ersten Juristinnen und Juristen, die in der jungen Bundesrepublik ernst gemacht haben mit der Verfolgung des NS-Unrechts. Fritz Bauer war es, der den ersten Frankfurter Auschwitz-Prozess initiierte. Zurecht hat die UNESCO die Akten dieses Prozesses in das Weltdokumentenerbe „Memory of the World“ aufgenommen.
Meine Damen und Herren, wir wollen uns hier im Bundesjustiz- und Verbraucherschutzministerium nicht nur zu einer abstrakten Idee von Gerechtigkeit bekennen. Eine Idee, die sich viel zu oft als bloße Floskel entpuppt hat. Vor allem wollen wir uns Menschen zum Vorbild nehmen, die Haltung und Tatkraft bewiesen haben, die sich mutig und engagiert um Menschlichkeit und Frieden verdient gemacht haben. Deshalb soll hier nicht – anmutig und erhaben, aber auch distanziert und abstrakt – eine Statue von Justitia thronen. Stattdessen soll uns in diesem Foyer von nun an Fritz Bauers Charakterkopf mit kritischem Blick empfangen.
Auf dem alltäglichen Weg zur Arbeit hält uns Fritz Bauer dazu an – nach seinen eigenen Worten –: „Seid Juristinnen und Juristen, die dem Gesetz und Recht, der Menschlichkeit und dem Frieden nicht nur Lippendienst leisten.“
Meine Damen und Herren, ich freue mich sehr, dass wir für die Gestaltung der Büste einen renommierten Künstler gewinnen konnten: Pavel Feinstein. Er lebt und arbeitet seit 40 Jahren in Berlin. Für dieses Projekt hat er sich angeboten wie kein zweiter. Denn in seiner Kunst beschäftigt er sich intensiv mit seinem jüdischen Glauben und jüdischer Kultur. Und die ZEIT adelte ihn als einen „neuen Altmeister“, dessen „schwindelerregende Bildwelten“ von „Schuld und Sühne, Fluch und Erlösung“ handeln.
Sehr geehrter Herr Feinstein, ich finde, dass Ihnen eine sehr eindrucksvolle und stimmige Darstellung von Fritz Bauer gelungen ist. Er begegnet uns in Ihrer Darstellung mit kritischem, vielleicht etwas ernstem, doch zutiefst zugewandtem und offenem Blick. Als standfester Charakterkopf. Ich danke Ihnen sehr herzlich!
Vor wenigen Tagen wurde ich gefragt, ob ich die Schirmherrschaft übernehmen möchte für ein Spendenprojekt der Organisation Keren Hayesod. Die 1920 gegründete Organisation Keren Hayesod ist in mehr als 45 Ländern der Welt tätig und ermöglicht es, gezielte Spenden an zahlreiche Projekte in Israel weiterzuleiten. Keren Hayesod unterstützt unter anderem in Israel die „Amigour-Zentren“, die sich um die noch lebenden Holocaust-Überlebenden kümmern. Sie kümmern sich um sozial-benachteiligte Senioren und stellen ihnen Wohnungen und umfassende Betreuungsangebote zur Verfügung.
Genau 60 Jahre nach der Ergreifung von Eichmann, die ohne Fritz Bauer nicht möglich gewesen wäre, möchte Keren Hayesod zur Erinnerung an seine großartige Leistung drei Etagen in einem neuen Amigour-Zentrum in Beer Sheva nach ihm benennen. Dieses Anliegen – die Unterstützung der Überlebenden und die Erinnerung an Fritz Bauer – unterstütze ich gerne aus vollem Herzen.
Aber auch hier im BMJV wird Fritz Bauer uns nun tagtäglich daran erinnern, was Justitia eigentlich bedeutet. Und an dieser Stelle möchte ich mit einem Zitat Fritz Bauers enden:
„[...] Justitia‘ bedarf keiner mechanischen Waage, sie ist keine Gewürzkrämerin. [...] Mit ihren Händen wiegt sie nicht Sachen und Taten, sondern Täter und Menschen, die – gemessen an ihrer Größe, der Übermenschlichkeit von Recht und Gerechtigkeit – winzige Kreaturen sind [...]
Foto:
Die Ministerin und der Künstler
© BMJV, Henning Schacht
Die Ministerin und der Künstler
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