Die Spitzen von Stadt und Polizei zeigen sich ratlos
Klaus Philipp Mertens
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Man wolle nicht die Falschen treffen, erklären Oberbürgermeister und zuständige Mitglieder des Magistrats.
Und begründen so die Entscheidung, an Wochenenden den Opernplatz vor Mitternacht nicht zu sperren. Diejenigen, „die bislang friedlich am Opernplatz zusammenkamen, um zu chillen“, stünden nicht im Visier. Diese Sichtweise irritiert. Denn die „Corona-Kontakt- und Betriebsbeschränkungsverordnung“ vom 7. Mai 2020, die am 06.07.20 zum letzten Mal geändert wurde und vorläufig bis 16. August 2020 gültig ist, sieht in der Ansammlung vieler Menschen auf engem Raum die typische Voraussetzung für Infektionen. Paragraf 1 der Verordnung („Zusammenkünfte und Veranstaltungen“) lautet:
„(Absatz 1) Aufenthalte im öffentlichen Raum sind nur alleine, in Gruppen von höchstens zehn Personen oder mit den Angehörigen des eigenen und eines weiteren Hausstandes gestattet. Bei Begegnungen mit anderen Personen ist ein Mindestabstand von 1,5 Metern einzuhalten. Öffentliche Verhaltensweisen, die geeignet sind, das Abstandsgebot des Satz 2 zu gefährden, wie etwa Tanzveranstaltungen, sind unabhängig von der Personenzahl untersagt.“
Foto- und Videoaufnahmen vom frühen Abend des 18. Juli zeigen, dass das Abstandsgebot mehrheitlich nicht eingehalten wurde und dass eng beieinander Stehende überwiegend keinen Mund- und Nasenschutz trugen. Spätestens seit der Müllorgie der Vorwoche am selben Platz, aber auch seit den Krawallen in Stuttgart, weiß man, dass die bewusste Ignorierung der Maßnahmen zur Corona-Gefahrenabwehr bei einfach Strukturierten unheilvolle Kettenreaktionen auslösen, die in Gewalt gegen Sachen und Menschen münden. Insofern sind diese Gewaltausbrüche und die dabei offensichtlich gewordene Zerstörungswut leider keine zu vernachlässigende Entgleisungen.
Ein Video, das der Hessische Rundfunk ins Netz stellte, weckt schlimmste Befürchtungen. Machos in der Altersgruppe von älteren Jugendlichen und jungen Erwachsenen schleudern unter lautem Gejohle Mülltonnen auf die Straße und präsentieren sich in aggressivem Imponiergehabe. Eine junge Frau wirft mit einer Flasche in Richtung einer Polizeistreife.
Hier offenbarten sich die charakteristischen Erscheinungen einer Parallelgesellschaft, in der Ignoranz, Dummheit und Brutalität zu den geforderten Zugangsvoraussetzungen zählen. Die 38 polizeibekannten Festgenommenen, die am Sonntagmorgen wieder freigelassen wurden, sind lediglich die Spitze einer verhängnisvollen Fehlentwicklung. Denn ihre applaudierenden Mitläufer sind genauso gefährlich.
Wer in einer Pandemie, die überall dort besonders viele Opfer verursacht, wo die gebotenen Beschränkungen nicht eingehalten werden, nach Feiern im Freien ruft und aus seiner übersteigerten Genusssucht Ansprüche auf ein „normales“ Leben ableitet, verhält sich unzivilisiert und erweist sich als im gleichen Maß bedrohlich wie die Krankheit selbst. Möglicherweise hatten in Zeiten vor Corona so genannte Clubs die Funktion eines offenen Vollzugs für Verhaltensauffällige. Aber mittlerweile gelten andere Regeln und was früher toleriert wurde, ist nun unwiederbringlich vorbei.
Die Gesellschaft muss alle schützen, die vom Virus bedroht sind. Dabei kann sie nicht ständig Rücksicht nehmen auf jene, die sich als sozial nichttherapierbar erweisen. Deren Probleme lassen sich durch zusätzliche Mülltonnen oder Toilettenhäuschen nicht lösen. Wasserwerfer und Sondereinsatzkräfte der Polizei könnten die angemesseneren Antworten auf solche Herausforderungen sein.
Oder sind solche Mittel dem Einsatz gegen vermeintliche oder tatsächliche linksradikale Demonstranten vorbehalten, wie beispielsweise bei der Einweihung der EZB am 18. März 2015?
Noch etwas anderes ist mir beim Ansehen der Videos über die zwei Frankfurter Opernplatz-Tumulte aufgefallen. Mich erinnern die Randalierer in Aussehen und Outfit an jene unsympathischen Zeitgenossen, die mir regelmäßig auf Gehwegen mit E-Rollern entgegenkommen oder mich dort überholen, manchmal gar anrempeln. Vielfach zu zweit auf einem Gefährt. Und die meinen Protest mit dem Stinkefinger beantworten. Nach meinem Eindruck entstammen die feiersüchtigen Gewalttäter und die rücksichtslosen E-Roller-Fahrer demselben Milieu. Bis vor ca. 1 ½ Jahren habe ich solche Typen selten wahrgenommen, vielleicht waren sie damals noch in ihren Clubs kaserniert.
Wenn die Behörden sowohl die Nichteinhaltung der Corona-Regeln als auch die verbotswidrige Nutzung des E-Rollers tolerieren, scheinen sich die Tore der Hölle zu öffnen. Man darf darauf gespannt sein, was an Widerwärtigem noch folgt.
Foto:
Die Stadt, die Feier und der Müll – eine Woche vor den Krawallen am selben Platz
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