Bildschirmfoto 2020 07 23 um 01.35.39Zum 117. Geburtstag von Fritz Bauer, Teil 5

Peter Menne

Offenbach am Main (Weltexpresso) - Tote können sich nicht wehren – wer wüßte das besser als die Religionsgesellschaften, die ihre Mitglieder sei‘s im Himmel oder in der Hölle wähnen? Fritz Bauer lebte gottlos glücklich – doch 75 Jahre nach Aufhebung der Nürnberger Rassegesetze wird der Humanist wieder zum Juden gemacht.

Eine Büste von Fritz Bauer ziert seit dem 30. Juni 2020 den Innenhof des Bundesministeriums der Justiz – was eigentlich sehr löblich ist. Weniger löblich, eher erschreckend sind die Umstände der Einweihung: als Pressevertreter war lediglich die „Jüdische Allgemeine“ eingeladen und Justizministerin Christine Lambrecht lobte den Künstler Pavel Feinstein, weil der sich so „intensiv“ mit „jüdischem Glauben und jüdischer Kultur“ beschäftige.

Was aber hat Fritz Bauer mit dem Judentum zu tun? Wo hätte er seine Bar Mitzwa abgelegt? Nirgends – weder Jüdisches Museum noch Fritz Bauer Institut konnten da einen Beleg präsentieren, während sie zugleich in der gemeinsamen Presseerklärung zur Ausstellung "Fritz Bauer - der Staatsanwalt" im Jüdischen Museum (10.04. – 7.09.2014) in der ersten Zeile schrieben: „Fritz Bauer gehörte zu den bedeutendsten   j ü d i s c h e n   Remigranten nach 1945“ – obwohl Bauer kein Jude war, sondern aufgeklärter Humanist. Er lebte gottlos glücklich. Auf die Frage, ob er Jude sei, hatte er geantwort: „nach den Nürnberger Rassegesetzen: ja“. Nur nach den Nürnberger Gesetzen!

Das ist der springende Punkt: der Alliierte Kontrollrat hob vor 75 Jahren – am 20. Sept. 1945 in seinem ersten (!) Dekret die Nürnberger Rassegesetze auf. Die Nazis unterschieden bei ihrer Verfolgung nicht, ob jemand gläubiger Jude war, bloß aus familiären Gründen der Religionsgemeinschaft noch angehörte oder nur von ihnen, den Nazis, zum Juden gemacht wurde: auf das persönliche Bekenntnis kam es nicht an. Damit hätte in der Bundesrepublik Schluß sein sollen: Religionsfreiheit sollte hier die Freiheit sein, entweder an beliebige Götter [nach eigener Wahl] zu glauben – oder aber frei von Religion zu leben.

Negative Religionsfreiheit: die war Fritz Bauer wichtig. Wenn er selbst nirgends eine Bar Mitzwa abgelegt hat, dann war er persönlich kein Jude – anders als die Sicht der Nürnberger Nazi-Gesetze. Doch geht es nicht nur um die Person, sondern gerade bei einem so politischen Menschen wie Fritz Bauer um sein Wirken. Sein Werk war bestimmt von der Abgrenzung von religiöser Bevormundung. Gemeinsam mit Gerhard Szczesny gründete Bauer 1961 die Humanistische Union (HU), die sich (bis zu ihrer religiösen Wende) als kirchen- und religionskritische Bürgerrechtsvereinigung verstand. Im Gründungsaufruf der Humanistischen Union heißt es: „Wir sind zu Mitläufern einer Verschwörung geworden, die unsere Entmündung und Gleichschaltung diesmal im Namen der christlichen Heilslehre verlangt.“
(https://web.archive.org/web/20180806150623/http://www.humanistische-union.de/nc/wir_ueber_uns/geschichte/geschichtedetail/back/geschichte/article/aufruf-zur-gruendung-einer-humanistischen-union/). Doch Szczesny und Bauer wandten sich nicht nur gegen christliche Bevormundung, sondern gegen das moralisierende Diktat aller Konfessionen und Religionen!

Fritz Bauer gehörte dem Frankfurter Ortsverband der Humanistischen Union (HU) an, der seine Ziele bis zur religiösen Wende der HU 2013 vertrat. Dem Ortsverband, der im Sept. 2011 die Protestveranstaltung „Papa Ratzi unerwünscht“ organisierte, als vor dem Deutschen Bundestag das Oberhaupt der letzten Diktatur in Europa reden durfte: der Chef des von Mussolini 1929 gegründeten Vatikanstaats. Dem Ortsverband, über den die Frankfurter Rundschau am 27. Februar 2013 titelte: „Humanistischer Union droht das Aus. Drei Viertel des Frankfurter Vorstands treten im Streit mit der Bundesebene zurück“. Die Rücktrittserklärung des Ortsvorstands ist auf http://archive.is/yF0kP
archiviert. Gründung und Aufbau der Bürgerrechtsorganisation „Humanistische Union“ war die große Leistung Bauers außerhalb seines Berufslebens; die Geschichte seines Ortsvereins findet sich im Vereinswiki https://vereins.fandom.com/wiki/Humanistische_Union_Frankfurt – inclusive zahlreichen Quellen und Nachweisen, bis hin zur verbandsinternen Warnung vor der „christlichen Übernahme mit Anschleichen“ von Prof. Theodor Ebert.

Fritz Bauers berufliches Werk wird von Zeitzeugen eindrucksvoll in Ilona Zioks Film „Fritz Bauer – Tod auf Raten“  http://www.fritz-bauer-film.degezeigt. Aus den Interviews werden vier große Themenblöcke deutlich: der Remer-Prozeß in Braunschweig 1952, die Ergreifung von Adolf Eichmann in Argentinien 1960 und der Prozeß gegen ihn in Jerusalem 1961, der Auschwitz-Prozeß 1963 – 65 und das unvollendete Werk der Verfolgung der Euthanasie-Verbrecher: der Mörder an psychisch Kranken v.a. in der psychiatrischen Klinik Hadamar.

So würdigt man ein Werk – während andere Filmemacher mit hollywoodesken Sperenzchen das Andenken an eine großartige Persönlichkeit stören. In diese Kategorie gehört der Spielfilm „Der Staat gegen Fritz Bauer“ von Lars Kraume. In dem Film wird Fritz Bauer als schwul dargestellt. „Was ist denn daran schlimm? Schwul-sein ist doch ganz normal“, fragten manche Gäste, als das Fritz Bauer Institut Ausschnitte aus Kraumes Film am 11. Januar 2016 im Casino des IG-Farben-Hauses zeigte – und nicht bemerkten, wie sehr sie Ansehen und Werk von Bauer mit solchen Bemerkungen schädigen.

Denn der Jurist Bauer kämpfte für eine Sexualstrafrechtsreform: in der prüden Bundesrepublik der 1950er Jahre war es Gastwirten verboten, ein Zimmer an Unverheiratete zu vermieten: damit hätten sie sich der „Kuppelei“ strafbar gemacht. Der Ehebruch war in dieser kleinbürgerlichen Welt strafbar – und die Homosexualität selbstverständlich auch. Wie gesagt: Bauer kämpfte gegen diese rigide Regulierung des Intimlebens – sehr zu recht. Aber zu seinen Lebzeiten war Schwulsein noch ein Verbrechen. Wer also schein-liberal mal eben behauptet, Fritz Bauer wäre schwul gewesen, der behauptet damit zugleich, dass an der Spitze der Generalstaatsanwalt ein Verbrecher gestanden hätte!

Dabei gibt es keinerlei Hinweis, dass Fritz Bauer homosexuell gewesen wäre: weder ein „Coming Out“ seinerseits noch einen anderen Beleg. Eben weil Bauers Idee eines liberalisierten Sexualstrafrechts noch nicht umgesetzt war, eben weil es zu seinen Lebzeiten noch definitiv ein Verbrechen war: darum verbietet es sich, eine solche Spekulation über einen Verstorbenen anzustellen.

Wer dennoch behauptet, Bauer sei schwul gewesen, und auch noch behauptet, Bauer sei Jude gewesen, der bedient ein übles antisemitisches Klischee. Denn mit dem Bild eines schwulen jüdischen Generalstaatsanwalts würde dann ein jüdischer Verbrecher an der Spitze der Justiz gestanden haben. So ein Bild paßt ins Weltbild eines jeden Rechtsextremisten. Wer aber der Person von Fritz Bauer ehrendes Angedenken bieten will, der würdigt den Humanisten, der gottlos glücklich lebte. Der spekuliert nicht über private Intimitäten (von denen einfach nichts bekannt ist), sondern lobt das Werk, das die sexuelle Liberalisierung in prüder Gesellschaft vorangebracht hat.

Foto:
Aus der Bildleiste der Köpfe auf dem Titel
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